Abgesang auf die italienische Kultur
Italiens Regierung will das kulturelle Erbe des Landes als Wirtschaftsgut neu erschließen. Doch die Realität - etwa das verfallende Pompeji - zeigt, wie wenig die Nachfahren der Römer ihre Kulturgüter wertschätzen.
Von Krise keine Spur. Höchstens von einer Glaubenskrise, die der Agnostiker Verdi in seinem Requiem immer wieder dezent anklingen lässt.
Im großen Saal des römischen Auditoriums proben Chor und Orchester der Accademia di Santa Cecilia die grandiose Totenmesse des italienischen Nationalkomponisten. Die Santa Cecilia ist eines der europäischen Toporchester, dazu kommen ein exzellentes Solistenensemble und mit Sir Antonio Pappano ein international renommierter Stardirigent. Der von Renzo Piano entworfene Konzertsaal macht eine gewöhnliche Probe am Vormittag zu einem echten Hörvergnügen. Ein zeitlos schöner Raum, nicht kühl, eher gemütlich mit abgerundeten Holzwürfeln an der Decke, roten Sesseln und Wänden aus Terrakottaziegeln. Nach so einem Saal sehnt sich so manche deutsche Philharmonie. Wenn sich die Krise der italienischen Hochkultur so anhört, wie muss dann der Idealzustand klingen?
"Es kommt immer wieder der Moment, in dem ich morgens aufstehe und mir sage, jetzt ist Schluss. Doch dann geht's irgendwie. Auch die Bilanz 2013 war ausgeglichen. Ein Wunder."
Abgesang auf die italienische Musikkultur
Für Bruno Cagli könnte dieses Requiem auch der Abgesang auf die italienische Musikkultur sein. Der Präsident der Accademia di Santa Cecilia versucht Jahr für Jahr ein Programm zu realisieren, und Jahr für Jahr kürzen die staatlichen Zuschussgeber die Gelder. Da grenzt es tatsächlich an ein Wunder, dass Cagli auch in der nächsten Saison die Starsopranistin Anna Netrebko nach Rom locken konnte oder die Pianistin Martha Agerich.
"In Italien haben wir eine einzigartige Position. Wir finanzieren uns zu über 50 Prozent aus eigenen Mitteln - das sind Eintritts- und Sponsorengelder. Das ist in Italien ganz außergewöhnlich."
Neben der Scala in Mailand ist die Santa Cecilia in Rom der einzige italienische Klangkörper von Weltniveau. Jahre des staatlichen Spardiktats haben aus einer einst reichen Orchesterlandschaft eine Wüste gemacht: das Orchester der RAI kann kaum mehr an alte Glanzzeiten anknüpfen, der Maggio Musicale in Florenz versinkt in Schulden und die Oper in Rom bringt nur alle paar Wochen eine Aufführung zustande. Ergebnis einer Politik, die nach dem Motto des einstigen Finanzministers Giulio Tremonti handelt: "Kultur kann man nicht essen."
"Das kann so nicht weitergehen. Ich versuche, unsere Politiker zu überzeugen, dass die Musik für Italien immer von großem Nutzen war, auch unter wirtschaftlichem Aspekt. Das muss erkannt werden. Einige Politiker sollten uns deshalb vielleicht auf unseren Tourneen begleiten."
Beste Gelegenheit dazu haben die Politiker am Wochenende: da gehen Chor und Orchester der Santa Cecilia auf eine England Tournee mit Verdis Requiem.
Im Ausland Geld verdienen
Denn die Santa Cecilia macht es wie viele Italiener - sie geht ins Ausland und versucht mit Gastspielen das Geld zu verdienen, das im Inland fehlt: Italien spart sich die Kultur. Im Jahr 2001 waren noch 2,7 Milliarden Euro im Etat des Kulturministeriums. Heute nur 1,5 Milliarden, das sind 0,2 Prozent des Staatshaushalts. Kultur-förderung ist im zentralistischen Land Sache der italienischen Regierung. Zum Vergleich bietet sich Nachbar Frankreich an: dort ist allein der Kulturetat drei mal so hoch, nicht mitgerechnet das, was das französische Außenministerium in die Kunst investiert. Trotz Krise. Kultur hat in Italiens Politik keine Lobby, weiß Joachim Blüher, seit 12 Jahren Leiter der deutschen Künstler-Villa Massimo in Rom.
"Es ist eine gesammelte Unkenntnis und Unmotiviertheit seit Jahren. Ich erinnere mich noch an einen Kulturminister, der unserem Kulturminister Neumann damals sagte: `Sie kämpfen für ihre Etats? Bei uns wird es immer weniger. Aber ich kann da auch nichts machen.´ Diese Gleichgültigkeit demgegenüber ist einfach furchtbar. Hier kämpft keiner für die Kultur."
Und als Begründung für den Notstand hört man immer wieder: zu wenig Geld. Das hat sich mit dem Abtritt des Kulturbanausen Silvio Berlusconi nicht geändert, auch dessen Nachfolger sehen offenbar keine großen Spielräume. Die Kulturschaffenden sind auf sich allein gestellt.
"Der Staat hat hier nie viel getan für seine Künstler. Es geht ihnen so, wie es ihnen immer ging, es hat sich nichts groß entwickelt. Es gibt jetzt einige Museen für zeitgenössische Kunst, aber die funktionieren nicht so wie bei uns oben, dass sie wahrgenommen werden, dass sie ein Sprungbrett sind. Es ist eine schwierige Situation, aber für den Einzelnen hat sich die Situation weder verschlechtert noch verbessert."
Das dürften Italiens Künstler anders sehen. In keinem Land Europas hat die Krise so nachhaltige Wirkung auf das kulturelle Leben wie in der Kulturnation Italien. Theater schließen reihenweise ihre Pforten, in den Museen werden die immer gleichen Alten Meister zu immer neuen Ausstellungen komponiert. Für Avantgarde, für Revolutionäres ist da wenig Platz. Das Land zehrt von seiner großen Vergangenheit, die Frage ist: wie lange noch. Denn selbst der Erhalt des antiken Erbes scheint die Italiener zu überfordern.
Pompeji droht Zerstörung
Ein Besuch in Pompeji. Was der Vesuv im Jahre 79 geschafft hat, droht der antiken Ruinenstadt heute erneut: die Zerstörung: Im November 2010 stürzte nach tagelangen Regenfällen das erste Gebäude ein: die Gladiatorenschule. Seitdem macht Pompeji Negativschlagzeilen: Mosaike verwahrlosen, Fresken wie jüngst das der Artemis werden herausgeschnitten und gestohlen und immer wieder stürzen Mauern ein. Für Tsao Cevoli von der Nationalen Archäologischen Vereinigung kamen diese Hiobsbotschaften nicht überraschend.
"Dass es keine kontinuierliche Instandhaltung gibt, ist der Hauptgrund für die Einstürze hier in Pompeji. Als vor Jahren der damalige Finanzminister Tremonti die Gelder gekürzt hat, haben wir gewarnt: es ist so als ob einem chronisch Kranken keine Medizin mehr gegeben würde. Und danach hat es mit den Einstürzen begonnen, nicht nur in Pompeji, das ist nur die Spitze des Eisberges."
Pompeji steht für den Niedergang der Kulturnation Italien und für deren Hilflosigkeit. Zu Unrecht, findet der gerade erst ernannte Superintendent, also der Chefarchäologe in Pompeji, Massimo Osanna:
"Pompeji wird vor allen Dingen oft aus dem Ausland angegriffen, weil es wie der Spiegel Italiens wirkt. Pompeji funktioniert schlecht, weil Italien schlecht funktioniert. Pompeji zerfällt, weil Italien nicht damit umgehen kann. Doch auch bei uns gibt es einige gute Leute. Die Regierung hat uns vor zwei Jahren 22 Beamte geschickt, darunter Architekten, deren Fachgebiet die Restaurierung ist, und Archäologen. Und ich muss sagen, dass wir mit ihnen richtig gute Arbeit machen."
Die Europäische Kommission hat vor zwei Jahren 105 Millionen Euro für die Sanierung und Rettung von Pompeji in Aussicht gestellt. Bisher ist erst ein kleiner Bruchteil der Summe abgerufen worden. Bis Ende 2015 muss Massimo Osanna das Geld investieren, sonst verfallen die Mittel.
"Innerhalb von zwei Jahren will ich die Einsturzgefahr reduzieren. Ich spreche ausdrücklich von Gefahr. Denn es ist nicht auszuschließen, dass gerade jetzt eine Mauer einstürzt. Einige dieser Ruinen stehen seit 1748 unter freiem Himmel, sie sind in jedem Jahrhundert mehrmals restauriert worden und oft stürzen die frisch renovierten ein."
Aus Fehlern der Vergangenheit lernen
Der Superintendent will diesmal aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Ab sofort wacht Massimo Osanna darüber, dass Gelder sinnvoll eingesetzt werden und dass Pompeji nicht in falsche Hände gerät.
"Die Leute, die in Italien schlecht über Pompeji sprechen, sind oft Leute, die ein Interesse daran haben, dass Pompeji privatisiert wird. Davon bin ich überzeugt. Sie sagen: Der Staat funktioniert hier nicht, deshalb muss eine private Stiftung gegründet werden. Dabei ist Pompeji vielleicht der einzige Betrieb in Kampanien, der schwarze Zahlen schreibt. Wir nehmen mit den Eintrittskarten jährlich 20 Mio. Euro ein."
Das weckt Begehrlichkeiten. Immer mehr Privatunternehmer haben entdeckt, dass Kultur der einzige Rohstoff ist, über den Italien im Übermaß verfügt. Der Staat hat daran offensichtlich wenig Interesse. In Rom rettet also Schuhfabrikant Diego della Valle das Kolosseum und hat sich im Gegenzug die exklusiven Werberechte gesichert. Und aus Venedig haben Tourismus- und Kreuzfahrtunternehmen ein gigantisches Freilichtmuseum gemacht.