"Den Jugendlichen bleibt nur das AfD-Büro"
Zu den Usedomer Literaturtagen sind prominente Autoren wie Martin Walser oder Peter Sloterdijk geladen. Für den Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel sind solche Leuchtturm-Veranstaltungen jedoch nicht besonders nachhaltig für die Menschen im Land.
Über Kultur in Mecklenburg-Vorpommern wird überregional meist nur dann berichtet, wenn es um Theaterzusammenlegungen und Einsparungen geht, oder – wie es die Landesregierung lieber nennt – große kulturelle Strukturreformen. Andererseits gibt es auch die Usedomer Literaturtage, zu denen in diesem Jahr prominente Gäste wie Martin Walser, Peter Sloterdijk oder Donna Leon anreisen.
Keine nachhaltige Wirkung
Für Hans-Eckardt Wenzel, Liedermacher aus Meckenburg-Vorpommern, sind solche Veranstaltungen jedoch der falsche Weg, weil einzelne Kultur-"Leuchttürme" seiner Meinung nach keine nachhaltige Wirkung entfalten.
"Wenn man, sie bei der Theaterreform, bestimmte Strukturen abschafft, dann bleibt in den kleinen Städten wie Neustrelitz den Jugendlichen letzten Endes nur die Tankstelle oder der Parkplatz vor dem Supermarkt oder das AfD-Büro übrig."
Er halte Marketing-Aktivitäten in seinem Bundesland für verfehlt, die Mecklenburg-Vorpommern "nur als Kulisse" benutzen, aber nicht wirklich etwas mit der Region und ihren Menschen zu tun hätten. Ein Beispiel seien die Usedomer Literaturtage, die Prominenz in den Ort holten. So sei etwa für ihn der Philosoph und Autor Peter Sloterdijk eine fragwürdige Wahl.
Sloterdijk als fragwürdige Gallionsfigur
"Er ist ein Mann, der eine eigenartige Aufkündigung des universalen Ansatzes der Aufklärung betreibt – die davon ausgegangen ist, dass die Menschen alle gleich sind – und das braucht man im Moment nicht mehr. Es geht um Selektion, und er ist ein Mann der da philosophisch Vorreiter ist."
Er finde es deshalb problematisch, Sloterdijk "als Gallionsfigur für ein Festival einzusetzen".
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Über Kultur in Mecklenburg-Vorpommern wird zumindest überregional nur dann berichtet, wenn es um Theaterzusammenlegungen und Einsparungen geht, oder, wie es die Landesregierung lieber nennt, um große kulturelle Strukturreformen. Da geht es dann konkret darum im Moment, sowohl im Westen in Mecklenburg als auch im Osten in Vorpommern zwei große zentrale Theater zu schaffen an verschiedenen Standorten. Aber es gibt auch ganz andere Nachrichten, gerade dort im Osten, in Ostvorpommern.
Da beginnen nämlich heute die Usedomer Literaturtage. Das mag man jetzt von außen für eine Provinzveranstaltung halten, das ist sie aber, wenn überhaupt, nur geografisch gesehen. Große Gäste werden da erwartet wie Peter Sloterdijk, Martin Walser oder auch die Krimiautorin Donna Leon. Wir wollen darüber, aber vor allen Dingen auch überhaupt über die Situation der Kultur im Norden jetzt mit dem Musiker, Poeten, Autoren und noch so manchem mehr, Hans-Eckart Wenzel reden, der gar nicht so weit weg von Usedom in Mecklenburg-Vorpommern lebt. Hallo, Herr Wenzel!
Hans-Eckardt Wenzel: Schönen guten Tag!
Kassel: Sie haben ja im Moment so eine kleine Auftrittspause. Am 22. März war Ihr letzter Auftritt, der nächste ist am 14. April in Neubrandenburg, da müssen Sie auch nicht so weit fahren. Da hätten Sie ja im Prinzip Zeit, und Usedom ist nicht weit weg. Werden Sie hinfahren zu den Literaturtagen?
Wenzel: Ich glaube, nicht. Ich nutze lieber die Zeit, zu lesen und zu schreiben, und die Autoren sind nicht unbedingt meine Favoriten, die da auftreten.
"Ein altes Problem dieser Provinz"
Kassel: Aber was ist denn überhaupt - für mich war das überraschend, diese Namen zu lesen. Was ist ist denn überhaupt davon zu halten, dass doch so große Namen offenbar nach Usedom zu locken sind?
Wenzel: Wissen Sie, das ist, glaube ich, ein altes Problem dieser Provinz. Vor drei Jahren gab es mal eine Marketingkampagne, "MV tut gut". Da gab es ja eine sehr gute Analyse der Hochschule Wismar zu dieser Untersuchung, dass versucht wird, ein Kulturkonzept aufzubauen, das mit der Region gar nichts zu tun hat, sondern sie quasi wie eine Kulisse benutzt, um sie mit großen, aus Funk und Fernsehen bekannten Namen irgendwie aufzuschicken . Das ist vielleicht ein deutsches Problem. Man schämt sich immer seiner provinziellen Herkunft und versucht dann, über sehr eigenartige Dinge die Welt hinein zu holen. Und das ist, glaube ich, auch ein Problem dieser Literaturtage.
Kassel: Aber kann man das wirklich so sagen? Denn klar, muss man zugeben, Donna Leon hat nun herzlich wenig mit Usedom zu tun, aber es ist ja ein Festival, das unter dem Motto steht (Nächsten-) Liebe. Es findet sowohl an Standorten im deutschen Teil Usedoms statt als auch in Swinemünde in Polen. Es soll um die Nachbarschaft gehen – natürlich, heutzutage kommt man daran nicht vorbei –, um die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen. Ist es nicht doch auch ein örtliches und auch ein politisches Festival?
Wenzel: In dem Sinne, wenn man die Auswahl der Autoren betrachtet, ist es natürlich auch ein politisches Festival. Herr Sloterdijk ist ja in der letzten Zeit mit einigen interessanten Thesen in die Öffentlichkeit getreten, die sich jetzt zum Teil sogar erfüllen. Also dass Leute in Deutschland keine Steuern mehr zahlen müssen, das wissen wir jetzt durch die Panama-Papiere, dass das ein Traum von ihm ist, der sozusagen aufgeht.
Das ist ein Mann, der eine eigenartige Aufkündigung, sage ich mal, des universalen Ansatzes der Aufklärung betreibt, die also davon ausgegangen ist, dass die Menschen alle gleich sind. Und das braucht man im Moment nicht mehr. Es geht um Selektion, und das ist ein Mann, der philosophisch da ein Vorreiter ist, und das finde ich schon ein bisschen problematisch, ihn als Gallionsfigur für so ein Festival einzusetzen.
Kassel: Was halten Sie überhaupt, Herr Wenzel, vom Konzept dieser Festivals, die es ja auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt, natürlich gern im Sommer auch für die Touristen, aber nicht nur, und von denen manche ja sagen, das ist halt heute so, so verkauft man Kultur, das alte, was wir kennen vom Stadttheater bis zu den Kulturhäusern, das sind halt Methoden von gestern, die will auch heute keiner mehr haben.
"Die Kultur ist hier unter die Räder gekommen"
Wenzel: Ja, ich glaube, das ist das Konzept, früher hieß es, Leuchttürme aufzubauen, also besonders strahlende Unternehmungen. Aber das ist etwas, was nicht wirklich wirkt in einer Region. Wenn man, so wie zum Beispiel in der Theaterreform, bestimmte Strukturen abschafft, dann bleibt in den Kleinstädten wie Neustrelitz oder so den Jugendlichen letzten Endes bloß noch die Tankstelle oder der Parkplatz vorm Supermarkt, oder das AfD-Büro übrig.
Die Kultur, die man ja auch im Alltag aufrechterhalten muss, die ist hier unter die Räder gekommen in diesem Land, und die ist auch eine Möglichkeit zu Protest und zu gesellschaftlicher Analyse. Kultur ist letzten Endes ein Produktionsmittel, wo man sich gegen die Ideologien der Politik und auch gegen die Lügen und die falschen Aussagen zur Wehr setzen kann. Man erhält dadurch ein Instrumentarium, um anders denken zu können.
Kassel: Nun sagt aber natürlich die zuständige Politik in Mecklenburg-Vorpommern, wir sparen nicht, wir geben zwar seit 22 Jahren ziemlich genau die gleiche Summe zum Beispiel für Stadttheater und Ähnliches aus, aber die Politik sagt, das ist nicht sparen, das ist das Gegenteil, in dieser Zeit ist die Zahl der Einwohner ja signifikant gesunken. Es leben noch 1,9 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. So gesehen, relativ gesehen, pro Einwohner ist das Geld für Kultur sogar gestiegen.
Wenzel: Ich glaube, man kann in der Kultur nicht so rechnen. Das ist nicht eine Chipfabrik, wo man am Schluss ausrechnen kann, was da für ein Effekt herauskommt. Es ist einfach ein Aufrechterhalten von einer Lebenskultur und von der Möglichkeit von Leuten, die nicht nach Bologna oder so ins Theater fahren, sich auch mal eine Aufführung anzugucken und überhaupt damit in Kontakt zu kommen. Man muss es anders rechnen.
Es ist nicht über den Moment der Effizienz zu erklären, sondern kulturelle Prozesse sind etwas, die sehr lange wirken, und die Bildung erzeugen und Klugheit, um mit Problemen und Widersprüchen umgehen zu können. Und die fehlende Klugheit, die sehen Sie ja in den letzten Wahlergebnissen. Das ist ein Ergebnis von einer kulturellen Konzeption, die ich für sehr gefährlich halte für eine Region, die mit solch einer Kultur groß geworden ist.
Kassel: Aber Herr Wenzel, wenn es so einfach wäre, da wo Kultur ist, da entwickelt sich die Gesellschaft anders als da, wo sie nicht ist, dann könnte es ja nicht die meisten Pegida-Anhänger und die größten Demos ausgerechnet in Dresden geben. Ob man nun Dresden mag oder nicht, ein Mangel an Kultur im eigentlichen Sinne kann man dieser Stadt ja nun nicht unterstellen. Sind Sie wirklich der Meinung, wenn man alle 50 Kilometer ein Stadttheater hat, dann ist die Welt besser?
Wenzel: Nein, ich glaube, da übertreiben Sie ein bisschen. Es ist ja so, ich stamme aus einer Kleinstadt, aus Wittenberge, da gab es ein Theater, und da gab es die wenigen Verrückten, die gegen die Normen der Stadt verstoßen haben, die anders waren. Und das muss man auch als Jugendlicher erleben können. In einer etablierten Welt bin ich ausgegrenzt.
Und es ist nicht die Frage, wie dicht die Theaterlandschaft ist, sondern bloß, dass es die Möglichkeit noch hat. Und in Dresden ist es eher, glaube ich, ein antizyklischer Prozess gegen eine sich als Kulturstadt definierende Metropole, wo sich andere Leute nicht mehr zugehörig fühlen. Die Proteste sind unterschiedlich, die kann man nicht a priori auf die Verhältnisse anwenden.
Kassel: Der in Vorpommern lebende Musiker, Poet, Autor und auch noch vieles mehr. Hans-Eckhart Wenzel über Kultur in Mecklenburg-Vorpommern, so, wie sie inzwischen ist, und so, wie sie vielleicht sein sollte. Die Usedomer Literaturtage, die der Anlass waren für unser Gespräch, beginnen heute in Heringsdorf, wie erwähnt mit Sloterdijk, und finden dann bis Sonntag noch dort sowie in Zinnowitz und auch auf der polnischen Seite in Swinemünde statt. Und Hans-Eckart Wenzel, den kann man dann auch gar nicht so weit weg von da, nämlich in Neubrandenburg am 14. April wieder erleben. Herr Wenzel, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und für das Gespräch!
Wenzel: Bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.