Kultur muss "widerständig" sein
Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Grütters (CDU), hat sich für eine nonkonformistische Form der Kulturförderung ausgesprochen. Gleichzeitig wies Grütters die Thesen des Buches "Der Kulturinfarkt" zurück, in dem vorgeschlagen wird, die Kunstsubventionen radikal zu kürzen.
Liane von Billerbeck: Kultur für alle, das sei eine Illusion aus den 70er-Jahren, die sich fast erledigt habe. Wie wäre es also, wenn von all den schönen deutschen Konzert- und Opernsälen nur noch halb so viele vorhanden wären? Das unter anderem fragen vier Autoren provozierend in ihrem jetzt erschienenen Buch mit dem Titel "Der Kulturinfarkt". Bevor wir darüber mit Monika Grütters sprechen, die als CDU-Parlamentarierin den Bundestagsausschuss für Kultur und Medien leitet, hier ein Auszug aus dem "Gespräch mit einem der Buchautoren, mit Stephan Opitz." Er ist Professor für Kulturmanagement an der Uni Kiel und hat bei uns Folgendes gesagt:
Stephan Opitz: Die Autoren, alle vier, behaupten in dem Buch und auch in dem Artikel nicht, dass man die Summe, also diese knapp zehn Milliarden, einzusparen hätte. Sie sagen: Baut den Apparat um! Er ist an seine Grenzen gelangt, er ist erstarrt, er sorgt nicht für die berühmte Innovation. Der Slogan Kultur für alle, das hat nicht geklappt. Beispiel Musikschulwesen: Wir wissen ganz genau, dass wir nicht die berühmten bildungsfernen Schichten mit dem Musikschulsystem erreichen. Niemand wird einen Vorschlag machen, dass man keinen Musikunterricht mehr geben sollte. Die Frage ist, wie man das im Zusammenhang mit einem Bildungssystem, zum Beispiel, in Zukunft organisiert. Das ist eine strukturelle Frage, das heißt, das sind ordnungspolitische Fragestellungen, und die sind eben in der Kulturpolitik ganz, ganz selten. Wir müssen hin zu einer ordnungspolitischen Betrachtung der Dinge.
von Billerbeck: Das sagt Professor Stephan Opitz, einer der Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt". Am Telefon ist jetzt Monika Grütters, die CDU-Bundestagsabgeordnete ist im Parlament Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Frau Grütters, ich grüße Sie!
Monika Grütters: Ich grüße Sie auch, Frau von Billerbeck.
von Billerbeck: Wir müssen hin zur ordnungspolitischen Betrachtung der kulturellen Dinge, der kulturpolitischen Dinge. Müssen wir?
Grütters: Natürlich müssen wir. Ich finde nur, wir tun das längst. Ich weiß nicht, was die Autoren sich angeschaut haben, aber keine einzige Kulturförderung, keine einzige Einrichtung ist sakrosankt, sondern in Deutschland stellen sich alle, wirklich alle öffentlich geförderten Institutionen regelmäßig einer Überprüfung. Sei es durch den Staat – öffentlich geförderte Einrichtungen werden vom jeweiligen Kulturministerium betreut. Die Haushälter und Kulturpolitiker begleiten und hinterfragen sie mindestens jährlich, nämlich gegenüber dem Steuerzahler in den Haushaltsberatungen am Ende eines Jahres. Und da finden natürlich strukturpolitische, insgesamt natürlich institutionelle Fragestellungen, aber natürlich auch gesamtgesellschaftliche ihren Ort, und dafür gibt es die Kulturausschüsse. Ich lade die drei oder vier Herren gerne einmal ein.
von Billerbeck: Aber das von Stephan Opitz eben genannte Beispiel ist ja eines, das man nicht von der Hand weisen kann. Von den Musikschulen, die er erwähnt hat, da werden ja ohnehin nur die Kinder der bildungs- und musikaffinen Eltern erreicht. Muss sich da nicht was ändern, wie Opitz sagte, auch strukturell?
Grütters: Also, sie schreiben in ihrem Artikel im Spiegel, das Buch kennen wir ja alle noch nicht, seit 1977 hat sich die Zahl der Musikschulen knapp verdoppelt. Da kann ich nur sagen, ja, zum Glück. Mir wäre es lieb, wenn es noch mehr wären. Und wir haben große Anstrengungen unternommen, Beispiel "Jedem Kind ein Instrument", dies große Projekt, das die Bundeskulturstiftung zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen und privaten Geldgebern dort in Nordrhein-Westfalen finanziert, damit eben die Instrumente und der Musikunterricht an möglichst jedes Kind herankommen. Das ist nicht so einfach, aber wir tun das natürlich. Und der Bereich kulturelle Bildung, das ist in der Tat ein großes Petitum, das teilen wir mit den Autoren, muss noch viel mehr ausgeweitet werden, aber auch da findet fast in jeder Einrichtung – gibt es Theaterpädagogen, Museumspädagogen, in jeder Schule gibt es Leute, die diese Einrichtungen abfragen und ihre Schulklassen hinbringen in die Museen und in die Konzerthäuser. Das gibt es natürlich längst. Dass das noch mehr sein könnte, will ich nicht in Frage stellen, aber es lohnt sich nicht, deshalb die Hälfte der Einrichtungen nach dem Motto 50 Prozent zuviel des Guten pauschal infrage zu stellen.
von Billerbeck: Nun wissen wir aber auch alle, Sie wissen das auch als Vorsitzende des Kultur- und Medienausschusses, dass viele Gemeinden unter großer Geldnot leiden. Und immer wenn das Geld besonders knapp ist, dann überlegt man natürlich, können wir uns das überhaupt noch leisten: Ein Opernhaus, ein Theater, et cetera, da ist es nun völlig egal, ob das nun in Gelsenkirchen oder in Berlin-Pankow ist, wo wir gerade erleben, dass es den Galerien an den Kragen gehen soll. Das ist doch ein Argument, das man ernst nehmen muss. Die Gemeinden können das ja oft gar nicht mehr stemmen.
Grütters: Ja, nur das ist eine andere Fragestellung. Der Herr Opitz hat ja gerade in der Eingangsfrage gesagt, ihm geht es nicht um Einsparungen, sondern um Umstrukturierung. In den Kommunen geht es um Einsparungen, weil die zuerst die Pflichtaufgaben im Bereich Soziales erledigen müssen, ehe sie freiwillige Aufgaben wie die Kultur leisten können. Und man darf nicht vergessen: In der gesamten bundesrepublikanischen Kulturförderung gehen 44 Prozent auf das Konto der wackeren Kommunen, 43 Prozent leisten die Länder, 12 Prozent der Bund. Und dass die Kommunen im Moment große Probleme haben, das sehe ich mit großem Respekt, und ich finde, da sollten wir gesamtgesellschaftlich eher etwas für die Kultur tun, die insgesamt von den öffentlichen Steuerausgaben gerade einmal lächerliche 1,67 Prozent ausmacht. Und damit saniert man keinen einzigen Haushalt. Weder in den Kommunen noch in den Ländern noch auf Bundesebene. Aber was man dafür bekommt, ist natürlich eine Definition, was die Wertegrundlagen einer Gesellschaft sind, was sie zusammenhält. Das ist eine kulturelle Ausstattung, die nicht eine Nation sich leistet, sondern eine Vorleistung, die allen zugute kommen muss, womit wir wieder beim Thema bildungsferne/bildungsnahe Schichten sind. Das ist natürlich auch ein bildungspolitisches Thema, wird aber nicht gelöst, indem wir in der Fläche ein Theater schließen.
von Billerbeck: Nun ist es doch so, um noch ein Argument der Autoren aufzunehmen, dass vieles des Geldes, das der Kultur zugute kommen soll, in Umfeldkräfte, sage ich mal, um deren Ausdruck zu benutzen, gesteckt wird, aber die eigentlichen Künstler schlecht bezahlt werden. Wir müssen nur junge Schauspieler nehmen oder Sänger oder Tänzer, und selbst in berühmten, oft weltweit bekannten Chören ist es nicht so üppig. Da sind doch Unwuchten im System, wie das Stephan Opitz gestern bei uns sagte, die man sich ansehen muss.
Grütters: Ja, das stimmt, das kann man sich angucken, und er sagt in dem "Spiegel"-Artikel – ich kenne das Buch noch nicht – in dem "Spiegel"-Artikel schreiben sie, die Kulturmanager streben alle in den Beamtenstatus. Ja, die vier Autoren sitzen auch in öffentlich geförderten Einrichtungen. Also können sich das aus einer sicheren Position heraus anschauen. Was wir tun, ist, den Künstlern – wir leisten ja ungefähr die Hälfte unseres gesamten steuerlichen Aufkommens geht in die sogenannte freie Szene und in die Künstlerförderung mit so großen Instrumenten wie der Künstlersozialkasse, wie dem verminderten Mehrwertsteuersatz, den sie eingangs angesprochen haben, und natürlich auch mit ganz großen Maßnahmen wie dem Urheberrecht. Da versuchen wir natürlich, gerade der produzierenden Gruppe gerecht zu werden, weil wir wissen, dass die Kunst- und Institutionenförderung das kulturelle Erbe zu bewahren das Eine ist. Was uns in Deutschland aber mindestens genauso wichtig ist, ist das Ermöglichen zeitgenössischer Kultur- und Kunstproduktion, also das avantgardistische, nonkonformistische Element. Und das kommt von den Kreativen in ihrer jeweiligen Ausdrucksform. Das ist auch etwas, was mich hier an der Denkweise der Autoren stört: Das Wort, das am häufigsten wiederholt wurde in dem fünfseitigen "Spiegel"-Artikel, ist tatsächlich das Wort Markt.
Also sie reden ja auch einem Kulturbegriff das Wort, der so ein bisschen Kultur als Produkt begreift und es marktgängig machen möchte. Wir folgen einem vollkommen anderen Kulturbegriff in der Förderpolitik in Deutschland.
von Billerbeck: Ein Argument ist ja, um nochmals zwei Begriffe aus dem Marktbereich zu bringen, dass die Autoren sagen, man liefere ein kulturelles Angebot und frage aber nicht, was eigentlich die Nachfrage ist.
Grütters: Ja eben. Sie sagen: Erst müsst ihr nachfragen, was ist denn der Publikumsgeschmack, dann wird er bedient und dann ist ein Kulturprodukt gut, weil es am Markt angekommen ist. Wir denken genau umgekehrt als Kulturförderer in Deutschland: Nonkonformismus im besten Sinne, spröde, widerständige Kulturleistungen, gerade das, was Kreative, wenn sie Grenzen ausloten, ja tun, halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Also gerade nicht marktgängige Produkte. Und ich glaube, ein solches kritisches Korrektiv braucht jede Gesellschaft. Nur so wird sie ja vor neuerlichen auch – ich sage mal ehrlich mit Blick in unsere Geschichte – totalitären Anwandlungen geschützt. Und dieses avantgardistische Element, das braucht das Experiment, das kann scheitern, das alles wollen wir, und dadurch – das können wir nur sicherstellen, die Freiheit der Künstler, wenn wir sie staatlich auskömmlich finanzieren. Und das heißt, sie geradezu unabhängig zu machen von Zeitgeist und Geldgebern. Und das ist ein echter, vollkommen anderer Kulturbegriff als der, den ich hier in dem Artikel herauslese.
von Billerbeck: Aber braucht unsere Gesellschaft dann nicht auch solche kritischen Debatten, wie sie die Autoren angestoßen haben? Ist es eher der Ton der Debatte, der die Diskussion jetzt gleich wieder so hochkochen lässt, wo jeder noch so kleine Vorschlag in Richtung: Wir könnten ja da mal was kürzen und da was umwuchten, gleich für des Teufels gehalten wird.
Grütters: Nein, die Debatte finde ich genau richtig. Übrigens haben wir sie alle Jahre wieder. Die ist nicht neu, und ich finde, sie muss auch sein. Wir Kulturpolitiker, die den mit Abstand kleinsten Etat verwalten, müssen uns manchmal am lautesten verteidigen. Weil Kultur häufig als eine Ausstattung begriffen wird, die ein Establishment, wie es hier heißt, sich leistet. Ich halte das für einen Fehlschluss. Eine Kultur ist nicht eine Ausstattung, die eine Gesellschaft sich leistet, sondern sie ist eine Vorleistung, die allen zugutekommt. Sie ist auch Ausdruck von Humanität, sie sagt etwas über den Zustand aus. Und wir müssen natürlich bei der Sinnfrage Kultur – Brauchen wir drei Opernhäuser? – da antworte ich immer, wenn man drei Kinder hat, fragt man nicht, ob man die braucht, sondern man sieht zu, dass aus ihnen etwas wird. Und in Deutschland ist es so, dass wir mit einer 80-prozentigen Auslastung fast aller Bühnen insgesamt gut dastehen. Dass mehr als zehnmal so viele Menschen, wie alle Bundesligaspiele zusammen Besucher haben, in deutschen Museen gehen pro Jahr. Ich glaube, wenn man das mit 1,6 Prozent der Steuergelder erreicht, dann hat man viel geschafft. Die strukturellen Umschichtungsvorschläge, die die vier machen, die finde ich bedenkenswert, darüber kann man sprechen, und das muss auch sein. Im Übrigen tun wir das ja, nichts anderes als das, in unserem Kulturausschuss immer wieder, regelmäßig.
von Billerbeck: Das sagt Monika Grütters, CDU-Bundestagsabgeordnete und dort Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Ich danke Ihnen!
Grütters: Ich Ihnen auch, Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zur Debatte um die Kulturförderung finden Sie auf dradio.de folgende Beiträge:
"Baut den Apparat um!" - Stephan Opitz will Kulturförderung anders verteilen
"Da sind Unwuchten in diesem System" - Stephan Opitz will Kulturförderung anders verteilen
Soziologe: Jede zweite Kulturinstitution kann weg - Dieter Haselbach über die provokanten Thesen seines Buchs "Der Kulturinfarkt"
Städel-Direktor kontert Kritik an Kulturförderung
Max Hollein attestiert "Spiegel"-Autoren Populismus
"Da sollte man nicht so wirtschaftlich denken" - Intendant des Theaters Meiningen verteidigt die deutsche Kulturlandschaft
Stephan Opitz: Die Autoren, alle vier, behaupten in dem Buch und auch in dem Artikel nicht, dass man die Summe, also diese knapp zehn Milliarden, einzusparen hätte. Sie sagen: Baut den Apparat um! Er ist an seine Grenzen gelangt, er ist erstarrt, er sorgt nicht für die berühmte Innovation. Der Slogan Kultur für alle, das hat nicht geklappt. Beispiel Musikschulwesen: Wir wissen ganz genau, dass wir nicht die berühmten bildungsfernen Schichten mit dem Musikschulsystem erreichen. Niemand wird einen Vorschlag machen, dass man keinen Musikunterricht mehr geben sollte. Die Frage ist, wie man das im Zusammenhang mit einem Bildungssystem, zum Beispiel, in Zukunft organisiert. Das ist eine strukturelle Frage, das heißt, das sind ordnungspolitische Fragestellungen, und die sind eben in der Kulturpolitik ganz, ganz selten. Wir müssen hin zu einer ordnungspolitischen Betrachtung der Dinge.
von Billerbeck: Das sagt Professor Stephan Opitz, einer der Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt". Am Telefon ist jetzt Monika Grütters, die CDU-Bundestagsabgeordnete ist im Parlament Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Frau Grütters, ich grüße Sie!
Monika Grütters: Ich grüße Sie auch, Frau von Billerbeck.
von Billerbeck: Wir müssen hin zur ordnungspolitischen Betrachtung der kulturellen Dinge, der kulturpolitischen Dinge. Müssen wir?
Grütters: Natürlich müssen wir. Ich finde nur, wir tun das längst. Ich weiß nicht, was die Autoren sich angeschaut haben, aber keine einzige Kulturförderung, keine einzige Einrichtung ist sakrosankt, sondern in Deutschland stellen sich alle, wirklich alle öffentlich geförderten Institutionen regelmäßig einer Überprüfung. Sei es durch den Staat – öffentlich geförderte Einrichtungen werden vom jeweiligen Kulturministerium betreut. Die Haushälter und Kulturpolitiker begleiten und hinterfragen sie mindestens jährlich, nämlich gegenüber dem Steuerzahler in den Haushaltsberatungen am Ende eines Jahres. Und da finden natürlich strukturpolitische, insgesamt natürlich institutionelle Fragestellungen, aber natürlich auch gesamtgesellschaftliche ihren Ort, und dafür gibt es die Kulturausschüsse. Ich lade die drei oder vier Herren gerne einmal ein.
von Billerbeck: Aber das von Stephan Opitz eben genannte Beispiel ist ja eines, das man nicht von der Hand weisen kann. Von den Musikschulen, die er erwähnt hat, da werden ja ohnehin nur die Kinder der bildungs- und musikaffinen Eltern erreicht. Muss sich da nicht was ändern, wie Opitz sagte, auch strukturell?
Grütters: Also, sie schreiben in ihrem Artikel im Spiegel, das Buch kennen wir ja alle noch nicht, seit 1977 hat sich die Zahl der Musikschulen knapp verdoppelt. Da kann ich nur sagen, ja, zum Glück. Mir wäre es lieb, wenn es noch mehr wären. Und wir haben große Anstrengungen unternommen, Beispiel "Jedem Kind ein Instrument", dies große Projekt, das die Bundeskulturstiftung zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen und privaten Geldgebern dort in Nordrhein-Westfalen finanziert, damit eben die Instrumente und der Musikunterricht an möglichst jedes Kind herankommen. Das ist nicht so einfach, aber wir tun das natürlich. Und der Bereich kulturelle Bildung, das ist in der Tat ein großes Petitum, das teilen wir mit den Autoren, muss noch viel mehr ausgeweitet werden, aber auch da findet fast in jeder Einrichtung – gibt es Theaterpädagogen, Museumspädagogen, in jeder Schule gibt es Leute, die diese Einrichtungen abfragen und ihre Schulklassen hinbringen in die Museen und in die Konzerthäuser. Das gibt es natürlich längst. Dass das noch mehr sein könnte, will ich nicht in Frage stellen, aber es lohnt sich nicht, deshalb die Hälfte der Einrichtungen nach dem Motto 50 Prozent zuviel des Guten pauschal infrage zu stellen.
von Billerbeck: Nun wissen wir aber auch alle, Sie wissen das auch als Vorsitzende des Kultur- und Medienausschusses, dass viele Gemeinden unter großer Geldnot leiden. Und immer wenn das Geld besonders knapp ist, dann überlegt man natürlich, können wir uns das überhaupt noch leisten: Ein Opernhaus, ein Theater, et cetera, da ist es nun völlig egal, ob das nun in Gelsenkirchen oder in Berlin-Pankow ist, wo wir gerade erleben, dass es den Galerien an den Kragen gehen soll. Das ist doch ein Argument, das man ernst nehmen muss. Die Gemeinden können das ja oft gar nicht mehr stemmen.
Grütters: Ja, nur das ist eine andere Fragestellung. Der Herr Opitz hat ja gerade in der Eingangsfrage gesagt, ihm geht es nicht um Einsparungen, sondern um Umstrukturierung. In den Kommunen geht es um Einsparungen, weil die zuerst die Pflichtaufgaben im Bereich Soziales erledigen müssen, ehe sie freiwillige Aufgaben wie die Kultur leisten können. Und man darf nicht vergessen: In der gesamten bundesrepublikanischen Kulturförderung gehen 44 Prozent auf das Konto der wackeren Kommunen, 43 Prozent leisten die Länder, 12 Prozent der Bund. Und dass die Kommunen im Moment große Probleme haben, das sehe ich mit großem Respekt, und ich finde, da sollten wir gesamtgesellschaftlich eher etwas für die Kultur tun, die insgesamt von den öffentlichen Steuerausgaben gerade einmal lächerliche 1,67 Prozent ausmacht. Und damit saniert man keinen einzigen Haushalt. Weder in den Kommunen noch in den Ländern noch auf Bundesebene. Aber was man dafür bekommt, ist natürlich eine Definition, was die Wertegrundlagen einer Gesellschaft sind, was sie zusammenhält. Das ist eine kulturelle Ausstattung, die nicht eine Nation sich leistet, sondern eine Vorleistung, die allen zugute kommen muss, womit wir wieder beim Thema bildungsferne/bildungsnahe Schichten sind. Das ist natürlich auch ein bildungspolitisches Thema, wird aber nicht gelöst, indem wir in der Fläche ein Theater schließen.
von Billerbeck: Nun ist es doch so, um noch ein Argument der Autoren aufzunehmen, dass vieles des Geldes, das der Kultur zugute kommen soll, in Umfeldkräfte, sage ich mal, um deren Ausdruck zu benutzen, gesteckt wird, aber die eigentlichen Künstler schlecht bezahlt werden. Wir müssen nur junge Schauspieler nehmen oder Sänger oder Tänzer, und selbst in berühmten, oft weltweit bekannten Chören ist es nicht so üppig. Da sind doch Unwuchten im System, wie das Stephan Opitz gestern bei uns sagte, die man sich ansehen muss.
Grütters: Ja, das stimmt, das kann man sich angucken, und er sagt in dem "Spiegel"-Artikel – ich kenne das Buch noch nicht – in dem "Spiegel"-Artikel schreiben sie, die Kulturmanager streben alle in den Beamtenstatus. Ja, die vier Autoren sitzen auch in öffentlich geförderten Einrichtungen. Also können sich das aus einer sicheren Position heraus anschauen. Was wir tun, ist, den Künstlern – wir leisten ja ungefähr die Hälfte unseres gesamten steuerlichen Aufkommens geht in die sogenannte freie Szene und in die Künstlerförderung mit so großen Instrumenten wie der Künstlersozialkasse, wie dem verminderten Mehrwertsteuersatz, den sie eingangs angesprochen haben, und natürlich auch mit ganz großen Maßnahmen wie dem Urheberrecht. Da versuchen wir natürlich, gerade der produzierenden Gruppe gerecht zu werden, weil wir wissen, dass die Kunst- und Institutionenförderung das kulturelle Erbe zu bewahren das Eine ist. Was uns in Deutschland aber mindestens genauso wichtig ist, ist das Ermöglichen zeitgenössischer Kultur- und Kunstproduktion, also das avantgardistische, nonkonformistische Element. Und das kommt von den Kreativen in ihrer jeweiligen Ausdrucksform. Das ist auch etwas, was mich hier an der Denkweise der Autoren stört: Das Wort, das am häufigsten wiederholt wurde in dem fünfseitigen "Spiegel"-Artikel, ist tatsächlich das Wort Markt.
Also sie reden ja auch einem Kulturbegriff das Wort, der so ein bisschen Kultur als Produkt begreift und es marktgängig machen möchte. Wir folgen einem vollkommen anderen Kulturbegriff in der Förderpolitik in Deutschland.
von Billerbeck: Ein Argument ist ja, um nochmals zwei Begriffe aus dem Marktbereich zu bringen, dass die Autoren sagen, man liefere ein kulturelles Angebot und frage aber nicht, was eigentlich die Nachfrage ist.
Grütters: Ja eben. Sie sagen: Erst müsst ihr nachfragen, was ist denn der Publikumsgeschmack, dann wird er bedient und dann ist ein Kulturprodukt gut, weil es am Markt angekommen ist. Wir denken genau umgekehrt als Kulturförderer in Deutschland: Nonkonformismus im besten Sinne, spröde, widerständige Kulturleistungen, gerade das, was Kreative, wenn sie Grenzen ausloten, ja tun, halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Also gerade nicht marktgängige Produkte. Und ich glaube, ein solches kritisches Korrektiv braucht jede Gesellschaft. Nur so wird sie ja vor neuerlichen auch – ich sage mal ehrlich mit Blick in unsere Geschichte – totalitären Anwandlungen geschützt. Und dieses avantgardistische Element, das braucht das Experiment, das kann scheitern, das alles wollen wir, und dadurch – das können wir nur sicherstellen, die Freiheit der Künstler, wenn wir sie staatlich auskömmlich finanzieren. Und das heißt, sie geradezu unabhängig zu machen von Zeitgeist und Geldgebern. Und das ist ein echter, vollkommen anderer Kulturbegriff als der, den ich hier in dem Artikel herauslese.
von Billerbeck: Aber braucht unsere Gesellschaft dann nicht auch solche kritischen Debatten, wie sie die Autoren angestoßen haben? Ist es eher der Ton der Debatte, der die Diskussion jetzt gleich wieder so hochkochen lässt, wo jeder noch so kleine Vorschlag in Richtung: Wir könnten ja da mal was kürzen und da was umwuchten, gleich für des Teufels gehalten wird.
Grütters: Nein, die Debatte finde ich genau richtig. Übrigens haben wir sie alle Jahre wieder. Die ist nicht neu, und ich finde, sie muss auch sein. Wir Kulturpolitiker, die den mit Abstand kleinsten Etat verwalten, müssen uns manchmal am lautesten verteidigen. Weil Kultur häufig als eine Ausstattung begriffen wird, die ein Establishment, wie es hier heißt, sich leistet. Ich halte das für einen Fehlschluss. Eine Kultur ist nicht eine Ausstattung, die eine Gesellschaft sich leistet, sondern sie ist eine Vorleistung, die allen zugutekommt. Sie ist auch Ausdruck von Humanität, sie sagt etwas über den Zustand aus. Und wir müssen natürlich bei der Sinnfrage Kultur – Brauchen wir drei Opernhäuser? – da antworte ich immer, wenn man drei Kinder hat, fragt man nicht, ob man die braucht, sondern man sieht zu, dass aus ihnen etwas wird. Und in Deutschland ist es so, dass wir mit einer 80-prozentigen Auslastung fast aller Bühnen insgesamt gut dastehen. Dass mehr als zehnmal so viele Menschen, wie alle Bundesligaspiele zusammen Besucher haben, in deutschen Museen gehen pro Jahr. Ich glaube, wenn man das mit 1,6 Prozent der Steuergelder erreicht, dann hat man viel geschafft. Die strukturellen Umschichtungsvorschläge, die die vier machen, die finde ich bedenkenswert, darüber kann man sprechen, und das muss auch sein. Im Übrigen tun wir das ja, nichts anderes als das, in unserem Kulturausschuss immer wieder, regelmäßig.
von Billerbeck: Das sagt Monika Grütters, CDU-Bundestagsabgeordnete und dort Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Ich danke Ihnen!
Grütters: Ich Ihnen auch, Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zur Debatte um die Kulturförderung finden Sie auf dradio.de folgende Beiträge:
"Baut den Apparat um!" - Stephan Opitz will Kulturförderung anders verteilen
"Da sind Unwuchten in diesem System" - Stephan Opitz will Kulturförderung anders verteilen
Soziologe: Jede zweite Kulturinstitution kann weg - Dieter Haselbach über die provokanten Thesen seines Buchs "Der Kulturinfarkt"
Städel-Direktor kontert Kritik an Kulturförderung
Max Hollein attestiert "Spiegel"-Autoren Populismus
"Da sollte man nicht so wirtschaftlich denken" - Intendant des Theaters Meiningen verteidigt die deutsche Kulturlandschaft