Kulturarbeit mit Flüchtlingen in Hessen

Neue Bühnen in einem fremden Land

Zusammen mit syrischen Flüchtlingen (2./3.v.l. und ganz rechts) stehen am 08.08.2015 Schauspieler als "Räuber" in dem Stück "Der Postraub" bei den Schlossfestspielen im mittelhessischen Biedenkopf während einer Probe auf der Bühne.
Zusammen mit syrischen Flüchtlingen spielen Schauspieler im Stück "Der Postraub" im mittelhessischen Biedenkopf. © picture alliance / dpa / Martina Koelschtzky
Von Ludger Fittkau |
Kulturarbeit in Flüchtlingscamps – ist das nicht Luxus? Wer sich bei Theaterprojekten und anderen Angeboten rund um die Unterkünfte von Flüchtlingen umschaut, erkennt schnell: Kulturelles kann ebenso wichtig sein wie drei Mahlzeiten am Tag.
Eine Bombenexplosion wird bei der Theaterprobe akustisch nachgestellt. Als die Bombe einschlägt, purzeln rund 20 Schauspieler übereinander. Nach einiger Zeit beginnen einige pantomimisch, den Staub abzuschütteln, unter dem sie begraben wurden. Andere bleiben liegen und werden später nebeneinander aufgereiht. Ihre Gesichter werden mit Tüchern überdeckt.
Es sind überwiegend syrische Flüchtlinge, die den Kriegsalltag nachspielen, den sie noch vor kurzem in Homs oder Aleppo erlebt haben. Einer von ihnen ist Hamsa A Lahmd:
"Weil in Syrien Krieg ist und Tote jeden Tag. Jeden Tag Bomben."
Die Flüchtlinge stellen ihre Situation gestalterisch dar
Die Theaterprobe findet in einem evangelischen Gemeindehaus im mittelhessischen Gladenbach statt. 20 Flüchtlinge aus den örtlichen Asyl-Unterkünften nehmen teil. Die meisten sind Syrer, aber auch einige aus dem Irak, einer aus Äthiopien. Ausschließlich Männer, etwa zwischen 20 und 35 Jahren alt. Die Flüchtlinge haben die Bombenszene selbst vorgeschlagen, die gerade geübt wird. Das sagt Helmut Kretz, der Leiter der Diakonie Biedenkopf-Gladenbach, die den Workshop veranstaltet. Kretz erläutert den Sinn des Theaterprojekts:
"Der Workshop hat den Sinn, die Flüchtlinge selbst zu Wort kommen zu lassen beziehungsweise, weil es mit der sprachlichen Situation noch etwas hapert, gestalterisch ihre Situation darstellen zu können."
(Regisseur:) "Wait, wait, wat. You have to get the coats..."
Für die Regie hat man einen britischen Musical-Spezialisten engagiert, der seit einiger Zeit auch in Deutschland arbeitet. Sein Name ist Paul Graham Brown. Er übt mit den Flüchtlingen das erste Lied in deutscher Sprache ein. Der Titel ist programmatisch: "Für ein neues Leben".
Blick in gebeutelte Seelen
(Birgit Simmler:) "Man kriegt ja in den Medien immer die Flüchtlinge so als amorphe Masse. Und hier, in so einer Art von Arbeit haben wir die Möglichkeit, Individuen zu zeigen. Mit dem, was sie fühlen, mit ihren Hintergründen, mit dem, was sie durchgemacht haben. Und damit diese Nähe zu erzeugen, a) das sind ja auch alles keine Schauspieler, dass man in eine Seele blickt, die von Krieg, Verfolgung und Flucht gebeutelt worden ist. Und das teilen mit Leuten, die wagen sich das zuzumuten und das teilen. Und dann am Ende auch Frage und Antwort stehen und dadurch entsteht eine ganz anderer Art von Kontakt zu dem, was natürlich wertvoll auf der politischen Ebene geleistet wird."
Birgit Simmler ist die Initiatorin der Theaterarbeit mit Flüchtlingen in Mittelhessen, die bundesweit vorbildlich ist. Simmler arbeitet hauptamtlich für die Stadt Biedenkopf als Kulturreferentin. Sie bringt sogar Erfahrungen vom Broadway mit.
Bittere Armut und Auswanderungspläne
"Weil wir verrecken nicht in Armut, egal was ich dabei verlier ..."
Ausschnitt aus dem Musical "Der Postraub", das Birgit Simmler und Paul Graham Brown im Sommer 2015 bei den Biedenkopfer Schlossfestspielen inszenierten. Ein historischer Stoff aus der Region. Er dreht sich um bittere Armut und Auswanderungspläne der hungernden Bauern in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Deren Elend hat Georg Büchner im "Hessischen Landboten" angeprangert.
"Nun ist die Zeit, die Stunde da,
wir ziehen nach Amerika.
Die Pferde sind schon angespannt,
wir fahren in ein fremdes Land."
Filmmusik aus dem Spielfilm "Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach" aus dem Jahre 1971, durch den der Postraub-Stoff bekannt wurde.
"Kartoffeln gibt's, wie Marzipan,
an jedem Stock zwei Scheffel dran,
wir ziehen ins Land, wo immer grün,
sogar im Winter Rosen blühn..."
Schloss Biedenkopf, Stadt Biedenkopf, Ldkrs. Marburg-Biedenkopf, Hessen, Deutschland, Das Schloss Biedenkopf ist eine Burg in der mittelhessischen Stadt Biedenkopf und das Wahrzeichen der Stadt. Es steht auf dem 386 Meter hohen Schlossberg, einem Bergkegel oberhalb des alten Ortskerns.
Schloss Biedenkopf in Hessen© picture alliance / dpa / Friedel Gerth
Die Regie des sozialrevolutionären Dramas führte damals Volker Schlöndorff, das Drehbuch schrieb Margarethe von Trotta. Sie spielte auch selbst eine aufmüpfige Bäuerin und kein Geringerer als Rainer Werner Fassbinder einen Bauern des hessischen "Hinterlandes", wie die Gegend um Gladenbach und Biedenkopf bis heute heißt. Die Musik steuerte der großartige Jazzer Klaus Doldinger bei, was man nicht in jeder Sequenz des Autorenfilms merkt:
"Im Jahre 1822 wollten ein paar verarmte Bauern und Tagelöhner aus dem Dorfe Kombach ihrem Elend ein Ende machen und zu Reichtum kommen, indem sie einen Überfall auf den Postwagen mit den Kurhessischen Steuergeldern planten."
(Simmler:) "Teil dessen, hier ein großes Musical in der Region zu machen, ist, zu sagen: Wir müssen die Leute auch abholen und ihnen was bringen, was wirklich authentisch ist. Was es nur hier gibt. Und da ist der Postraub eigentlich der größte Stoff, den es hier im Hinterland gibt."
(Filmausschnitt) "Ludwig Acker bestieg zuerst die Stufen des Schaffotts. Entkleidete sich selbst und ließ sich standhaft – gestärkt durch den Trost der Religion auf dem Stuhl nieder, den Todesstreich zu empfangen. Sein Haupt fiel auf den ersten Hieb ..."
Der plötzliche Reichtum der armen Hinterländer Bauern nach dem Postraub endete für die meisten der Protagonisten mit dem Todesurteil. Andere wanderten tatsächlich nach Amerika aus.
200 Jahre später sind es Syrer, die ins Hinterland einwandern und mit den Alteingesessenen für bis jetzt schon rund 5000 Zuschauer die traurige Postraub-Geschichte spielen, die sie an ihr eigenes Schicksal erinnert. Schlossfestspiel-Intendantin Birgit Simmler:
"Wir wollten bei den Schlossfestspielen in diesem Jahr auch Flüchtlinge dabei haben, das ist uns auch gelungen. 10 Prozent unseres Ensembles waren Flüchtlinge. Und um überhaupt erstmal zu gucken, wer interessiert sich da für Kultur – das sind jetzt keine Kulturschaffenden und die haben natürlich auch erst einmal andere Sorgen, Ankommen, Kleidung, Unterkunft, Familie nachholen – haben wir mit Workshops angefangen, damit sie merken, was für eine Arbeit wird da geleistet und wie kommt man über diese Arbeit mit Kultur eben nochmal an ganz andere, weiche Faktoren dran. Und es ist uns in den Schlossfestspielen wirklich gelungen, dass die Flüchtlinge ein ganz normaler Teil des Ensembles waren. Nicht nur während der Probenzeit, sondern auch darüber hinaus, was mich natürlich doppelt freut."
Vom Flüchtling zum Theatermacher
Der Syrer Hamza A Lahmd gehörte schon im Sommer 2015 zum Ensemble der Biedenkopfer Schlossfestspiele und ist nun beim Theaterworkshop der Diakonie in Gladenbach wieder mit Feuereifer dabei:
"Ich mache jetzt Theater mit der Gruppe Leute aus Syrien."
Regisseur Paul Graham Brown ruft Hamza A Lahmd wieder auf die Probebühne. Die nächste Szene wird in Angriff genommen: Das Wegtragen von Verwundeten und Leichen nach dem Bombenangriff. Die englischen Regieanweisungen werden laufend von einem der Flüchtlinge ins Arabische übersetzt. Alles klappt ziemlich reibungslos.
"So, the next thing is... I need three guys to carry him away..."
Kultur schafft Möglichkeiten, wo es keine gibt
Szenenwechsel. Einige Wochen vorher während der Buchmesse in Frankfurt am Main. In einer Messehalle trifft man sich zur Podiumsdiskussion über die Kulturarbeit in Flüchtlingslagern. Auf dem Podium sitzen Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen, die bereits in libanesischen Flüchtlingscamps Theaterprojekte begleitet haben. Im Publikum sitzen viele, die wissen wollen, was man aus der schon seit Jahren laufenden Kulturarbeit in den Zeltstädten des Nahen Ostens für Deutschland lernen kann.
Die Libanesin Carla Mikhael hat für den UNHCR in ihrem Heimatland mit Flüchtlingsfrauen gearbeitet:
"Sicher ist Kultur ein Luxus, wenn man seit vier Jahren in materieller Not lebt. Denn es gibt so viele wirtschaftliche Herausforderungen, die die Leute vor allem daran denken lassen, wie sie überleben können. Doch dann kommt die Kultur ins Spiel, denn sie kann Möglichkeiten schaffen, wo es eigentlich keine Möglichkeiten gibt."
Susanne Heinke von der Nicht-Regierungsorganisation " Bonn International Center for Conversion", kurz BICC, veranschaulichte das an einem Theater-Projekt, das die Heinrich-Böll-Stiftung im Libanon gefördert hat:
"Ich bin auf ein Projekt gestoßen, das freut uns hier in Frankfurt als Bildungsbürger vermutlich ganz besonders. Und zwar gab es eine Aufführung, die hieß 'Antigone of Syria'. Ein hochqualitatives Kunstprojekt, das ein syrischer Dramaturg, Mohammed Al Attar, mit syrischen Flüchtlingsfrauen, die die Schauspielerinnen waren und die Rahmenhandlung war eben Antigone von Sophokles. Da geht es um Kriegsgräuel, um Schuld, um grausame Strafen. Da geht es um Loyalität, da geht es um Autoritäten, die gestürzt werden."
(Carla Mikhael:) "Es ist ein besonders interessanter Aspekt, dass sich Frauen in Kriegen emanzipieren. Ich habe das in den Flüchtlingslagern in der Bekaa-Ebene erlebt, dass syrische Flüchtlingsfrauen mir erzählten: In Syrien hatte ich alles, ich hatte ein großes Haus, ich war wirklich reich! Aber hier im Flüchtlingslager fühle ich mich frei! Und als ich fragte, was sie damit meinen, sagte sie mir: Hier sind wir aktiv, wir können es vermeiden, zu früh verheiratet zu werden. Es ist sehr interessant, die Emanzipation dieser Frauen in den Kriegszeiten zu erleben."
Kulturschock in der Gemeinschaftsumkleide
Anders als im Libanon sind beim Theaterworkshop in Mittelhessen keine Flüchtlingsfrauen aktiv.
Doch Birgit Simmler, die Intendantin der Biedenkopfer Schlossfestspiele, berichtet, dass die männlichen syrischen Schauspieler bei den Musical-Proben im vergangenen Sommer durchaus ihre Lernerfahrungen mit den deutschen Schauspielerinnen machten:
"Also wir hatten da eine Gemeinschaftsumkleide mit 40 Leuten. Das war Kulturschock. Und die ersten Tanzproben, es war heiß im Probenraum. Da hat eben die Choreografin sich als erstes Mal ihre Hot Pants angezogen und das T-Shirt hochgeknuddelt und dann ging es: Auf geht's! Da wussten die ersten Syrer schon mal nicht, wo sie hingucken sollten. Das war denen erstmal hoch peinlich. Aber dies ist dieses learning by doing. Sie springen in eine fremde Kultur rein, sie entscheiden sich, teilzunehmen und teilzuhaben, und in diesem direkten Miteinander mit einem gemeinsamen Ziel lernen sie am meisten. Also sprachlich und kulturell. Und lernen, zu akzeptieren, dass Sachen, die ganz, ganz anders sind, als sie es kennen, genauso okay sind."
Trotz aller Unterschiede bei der Kulturarbeit in libanesischen Flüchtlingslagern und in mittelhessischen Gemeindezentren gibt es eine große Gemeinsamkeit: In beiden Fällen sind die Flüchtlinge längere Zeit beisammen, es sind keine Erstaufnahme-Einrichtungen, aus denen die Asylsuchenden schon nach wenigen Wochen weiter verteilt werden.
Die Theaterprojekte können mit einer gewissen Kontinuität angegangen werden.
In Erstaufnahme-Lagern ist es schwieriger, Kulturprojekte zu etablieren, für die man Zeit braucht. Das schilderte bei der Diskussion während der Frankfurter Buchmesse Tanja Leute. Sie arbeitet für die "Internationale Bibliothek" der Stadt München, die neu ankommende Flüchtlinge mit Büchern versorgt:
"Was wir von Gemeinschaftsunterkünften hören, mit denen wir zusammenarbeiten, ist, dass es im Moment natürlich auch sehr chaotisch ist. Weil einfach ein sehr großer Wechsel ist, weil die Leute kurzzeitig wo untergebracht sind und es noch gar nicht klar ist, wie die Reise weitergeht. Dann ist es manchmal auch schwierig, lang angelegte Projekte zu machen."
Die "Internationale Bibliothek" ist deshalb schon zufrieden, wenn sie den akuten Lesehunger der Flüchtlinge stillen kann. Tanja Leute:
"Zum einen aufgrund von Bedarfslisten aus Gemeinschaftsunterkünften haben wir erstmal Buchspenden gemacht, von arabischsprachigen oder persischen Büchern, die wir eben als Bibliothek spenden konnten. Dann gab es zum Beispiel Projekte, wo es Begegnungs-Workshops gab mit Jugendlichen, die gerade erst nach Deutschland gekommen waren und eben in einer Unterkunft untergebracht waren und sie sich eben kennenlernen konnten."
Das "Rotzfreche Spielmobil" bringt Spielzeug für die Kinder
Kurzfristige Kulturangebote bietet im südhessischen Darmstadt auch das "Rotzfreche Spielmobil" des Jugendverbandes "Die Falken". Mit einem Bulli fahren studentische Honorarkräfte vor die Flüchtlingsunterkünfte und packen Spielgeräte aus. Die Kettcars werden an diesem Nachmittag sofort von zwei etwa achtjährigen Jungs in Beschlag genommen:
"Ich heiße Jussuf. Ich heiße Naledzar.
Wo kommt ihr her?
Afghanistan.
Wie lange seid ihr hier?
Zwei Monate.
Sie haben schnell gelernt, ich war sehr erstaunt. Viele können jetzt schon auf Deutsch zählen ..."
Freut sich Carol Bikundu. Die französische Export-Kauffrau, die seit acht Jahren in Deutschland lebt, begleitet für das Rote Kreuz ehrenamtlich zwei Mal in der Woche das Spielmobil bei seiner Fahrt zu den Asylunterkünften. Nach einigen Wochen freuen sich die Flüchtlingskinder und ihre Eltern schon auf den Moment, in dem das Spielmobil wieder um die Ecke biegt, beobachtet Carol Bikundu:
"Am Anfang war es sehr chaotisch und danach haben sich die Kinder jedes Mal gefreut, dass sie uns gesehen haben. Meine deutschen Kollegen sind sehr gut bei den Kindern angekommen und ich glaube, die wollen auf jeden Fall mehr von der Kultur mitbekommen. Alle Aktionen, damit die Leute sich besser verstehen, wären gut. Aber das Wichtigste ist, dass die Leute zueinander kommen und dass sie wirklich versuchen, sich kennen zu lernen. Und so kann man auch die Vorurteile abbauen."
Am Anfang dominierten Neid, Angst und Perspektivlosigkeit
Marion Kleinsorge ist die Geschäftsführerin des "Rotzfrechen Spielmobils". Sie ist noch in Elternzeit, hat ein Baby auf dem Arm, aber koordiniert bereits wieder die Einsätze des Spiele-Bullis in den Darmstädter Flüchtlingsunterkünften. Sie berichtet, was ihre Kollegen vor Ort erleben:
"Zu Beginn der Einsätze haben sie erzählt, dass es sehr viel Rassismus untereinander gibt, sehr viel Gewalt und Gier. Eltern und Kinder haben sich um die Fahrzeuge gestritten, die wir mitgebracht haben, um die Spielzeuge gestritten. Man hat sich gegenseitig beschuldigt, die Sachen weggenommen, vom Rädchen geschubst und solche Sachen. Sie haben gesagt, der ganze Alltag ist einfach total negativ, es gibt Neid, Angst, Perspektivlosigkeit, dass sie sich selbst da auch gar nicht wohlgefühlt haben."
Doch nach ein paar Einsätzen wurde die Situation Stück für Stück entspannter, so Marion Kleinsorge:
"Man hat gemerkt, das Spielmobil kommt wieder. Das Spielzeug kommt wieder, man muss sich nicht drum streiten. Sie haben ganz schnell auch die Mitarbeiterinnen als Vorbild genommen, wenn die versucht haben, Streit zu schlichten. Da hat man gesehen, dass die Kinder, die am letzten Streit beteiligt waren, jetzt die waren, die den Streit selbst geschlichtet haben. Das Spielmobil ist so ein zentraler Treffpunkt geworden für Eltern und Kinder. Man sitzt am Bus, am Hänger und unterhält sich. Man hat gemerkt, das Spielmobil ist ein ganz wichtiger Punkt in der Einrichtung und ein Höhepunkt auch in der Woche."
"Das sind auch sehr stolze Menschen"
Höhepunkte schaffen gegen die Langeweile – darum geht es ganz stark bei der Kulturarbeit in den Sammelunterkünften. Denn das Warten im Asylverfahren bedrückt Kinder und Erwachsene in den ersten Wochen im Flüchtlingscamp am meisten, schildert auch Birgit Simmler, die Kulturreferentin der Stadt Biedenkopf:
"Sie haben das Gefühl, jetzt sind wir da. Und dann sitzen die rum und warten. Die Untätigkeit, die Abhängigkeit, das nicht mehr selbstbewusst und vor allem selbstbestimmt im Leben Stehen, sondern eben jetzt von ganz vielen Entscheidungen abhängig zu sein – und gerade für jemanden, der jetzt kraftvoll sagt: Ich wage so eine große Reise, um ein neues Leben anzufangen. Und gehe Tausende von Kilometern und dann sitze ich da und bin plötzlich der Empfänger von Almosen. Das sind auch sehr stolze Menschen, das ist so. Und dann auf der Straße diejenigen zu sein, die komisch von der Seite angeschaut werden, die Verständigungsschwierigkeiten haben. Und dann zu merken: Oh, der Weg dahin, dazu zu gehören, der ist noch verdammt weit."
(Musik-Ausschnitt "Der Postraub":) "Weil wir verrecken nicht in Armut, egal was ich dabei verlier..."
Eine Möglichkeit, in die Normalität des Lebens einzusteigen
Für Hamsa A Lahmd war seine Mitarbeit beim Musical "Der Postraub" ein großer Schritt dazu, in der mittelhessischen Kleinstadtwelt dazu zu gehören. Die historisch wahre Geschichte von den armen Bauern der Region, die eine Kutsche mit einem Geldtransport überfallen, um dem gröbsten Elend zu entkommen, war für den syrischen Flüchtling nicht schwer zu verstehen:
"Zweimal im 'Postraub' im Schloss in Biedenkopf – das war sehr schön. Sehr schön! Das war sehr schwer, weil ich nicht gut Deutsch spreche, aber es half mir."
Birgit Simmler beschreibt, wie die syrischen Schauspieler des "Postraub-Ensembles" jetzt mit ihrer Integration vorankommen:
"Die schauen sich jetzt natürlich um, haben es erst einmal geschafft, Wohnungen zu finden. Zum Teil auch über die Kontakte vom Ensemble. Dadurch konnte der eine jetzt bereits seine Verlobte nachholen und hat die Möglichkeit, hier jetzt in die Normalität des Lebens einzusteigen. Einer steckt noch mitten im Asylverfahren, ein anderer ist jetzt angenommen. Und so geht das Schrittchen für Schrittchen weiter und man trifft sich regelmäßig und fährt auch mal miteinander weg und trifft sich regelmäßig auf ein Tässchen Kaffee."
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