Kulturbetriebe öffnen wieder für Publikum

Die Scheu vor den Anderen

08:37 Minuten
Theaterbesucher an der Garderobe des Admiralspalasts in der Friedrichstraße in Berlin
Neuland: Sich an der Garderobe mit anderen Leuten zu drängen, sei etwas, dass wir nach der Pandemie erst wieder lernen müssen, sagt der Soziologe Hartmut Rosa. © imago images/Steinach
Hartmut Rosa im Gespräch mit Gabi Wuttke |
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Die Museen haben vielerorts schon wieder für Besucher geöffnet. Zu Pfingsten sollen auch Theater und Konzertveranstalter folgen. Der Soziologe Hartmut Rosa glaubt jedoch, dass wir uns erstmal wieder an körperliche Nähe gewöhnen müssen.
Nach und nach sollen die Kulturbetriebe – von Museen über Theater bis Konzertveranstaltern – wieder ihre Pforten für Besucher öffnen. Aber wie werden die Menschen auf die wiedergewonnenen Möglichkeiten reagieren? Kann man nach so langer Zeit einfach so zum alten Normalzustand zurückkehren?

Sehnsucht nach Kultur und Miteinander

"Das ist eine spannende Frage, was da eigentlich passiert. Es war ja schon in dem zweiten langen Lockdown so, dass man sich danach zurückgesehnt hat, wieder ins Museum gehen zu können oder auch zum Fußballspiel oder einfach auch Leuten über den Weg zu laufen, sie vielleicht sogar zu umarmen, wie man das früher getan hat", meint der Soziologe Hartmut Rosa.
Allerdings halte die Coronapandemie jetzt schon so lange an, dass sich inzwischen auch neue Routinen ausgebildet hätten. Man habe sich "eingerichtet im digitalen Lockdown" und daher drohe jetzt, "die alte Welle wieder über uns hereinzubrechen". Eine "Überwältigungswelle", so Rosa.

Scheu vor anderen Körpern

"Ich glaube, wir werden erst mal noch die Scheu vor dem anderen Körper haben, wenn wir uns an der Garderobe oder anderswo drängen. Und dann werden wir wahrnehmen, wie anders es ist, wenn da plötzlich andere Menschen sind, wenn diese feinen Mikrointeraktionen auch stattfinden, wenn Menschen sich begegnen, auch leiblich begegnen."
Das sei etwas, woran man sich erst mal wieder gewöhnen müsse.
Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa
Der Soziologe Hartmut Rosa glaubt, dass es gar nicht sinnvoll ist, wieder komplett zum alten Normalzustand zurückzukehren.© imago images/Thomas Müller
Aus Sicht des Soziologen könnte die Erhöhung des Lebenstempos auch als Problem wahrgenommen werden. "Ich weiß, dass viele im Moment darüber nachdenken, ob sie sich eigentlich das Alte zurückwünschen oder ob sie sich in mancher Hinsicht vielleicht sogar wünschen würden, der Zustand würde noch ein bisschen anhalten."

"Psychophysische Rekonvaleszenz"

Eine Art von "psychophysischer Rekonvaleszenz" müsse erst mal durchlebt werden. Dabei solle man Geduld haben, auch auf langfristige Effekte schauen und sich nicht sofort wieder ständig in Interaktion sein.
"Erst mal werden wir versuchen, den alten Normalzustand von vor der Corona-Krise wiederherzustellen. Dann werden wir aber vielleicht feststellen, dass uns das in einiger Hinsicht gar nicht so guttut und auch gar nicht so gut gefällt."
Das Leben gehe eigenartige Wege, sodass wir uns auch überraschen lassen müssen. Für sich selbst hat Hartmut Rosa festgestellt, dass "die Neigung, sich überraschen zu lassen, eben dann abnimmt, wenn der Zeitdruck steigt."
Daher will er versuchen, nach einem Spruch des Philosophen Hans Blumenberg zu leben, der sagte: "Kultur entsteht durch das Gehen von Umwegen." Und so habe er sich vorgenommen, auch nach der Pandemie mehr Umwege einzuplanen.
(kpa)
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