Kulturelle Aneignung
Noch zeitgemäß? Winnetou reitet jedenfalls noch immer, bei den Karl May-Festspielen in Bad Segeberg. © picture alliance / dpa
Wer kann für wen sprechen?
Identitätspolitik und Universalismus müssen kein Widerspruch sein, sagt der Künstler Julian Warner. Hinter beiden stehe der Kampf für gleiche Teilhabe und soziale Rechte.
„Wer darf für wen sprechen?“ Diese Frage löst bei vielen Menschen heute Unbehagen aus. Doch was ist die Geschichte hinter diesem Ausspruch? Es folgt der Versuch einer Antwort.
Als in den 2010er-Jahren an deutschsprachigen Theatern die Blackfacing-Skandale wüteten, hatte die Losung „keine schwarzen Figuren ohne schwarze Schauspieler“ eine emanzipatorische Qualität. Denn was in Michael Thalheimers „Unschuld“-Inszenierung und Bruce Norris' Boykottaufruf der hiesigen Theater deutlich wurde, war mehr als nur ein unreflektierter Umgang mit schwarzer Schminke. Es war ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem eigenen Anspruch der Stadt- und Staatstheater, Gesellschaft abzubilden, und der exklusiven Auswahl ihrer Ensembles.
Auf der Suche nach Selbstvergewisserung
60 Jahre nach den Anwerbeabkommen und gute zehn Jahre nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts war der Universalismus der Guckkastenbühne nur ein hohles Versprechen.
Eine postmigrantische Gesellschaft im Werden blickte auf das Theater auf der Suche nach Selbstvergewisserung und entdeckte nur ein Zerrbild ihrer selbst. Denn diesen neuen bürgerlichen Stimmen reichte der Universalismus von Karl Mays „Winnetou“ oder Jean Genets „Die Neger“ nicht mehr aus. Sie wollten sich dem etablierten Bürgertum nicht mehr als edle Wilde oder existentialistische Beweisführung zur Verfügung stellen. Sie wollten selbst Mensch sein dürfen.
So, wie sich einst das Bürgertum gegen eine absolutistische Herrschaft Repräsentation auf der Bühne erkämpft hatte, so stritten nun Aktivisten und Schauspieler Hand in Hand gegen Theaterkritiker, Intendanten und Regieteams.
Blackfacing und struktureller Rassismus
Das Symbol dieses Kulturkampfes war die Blackface-Maske. Doch deren Skandalisierung legte den Blick erst für das eigentliche Problem frei: Denn die Maske entpuppte sich weniger als streitbarer Regie-Einfall als vielmehr Ausdruck eines strukturellen Rassismus.
Generationen an Intendanten hatten keine schwarzen Schauspieler in ihre Ensembles aufgenommen, aus dem Glauben, sie nur für bestimmte Rollenfächer einsetzen zu können. Diese hegemoniale Vorstellung informierte das Urteil von Agenturen und Schauspielschulen. Letztere gingen gar so weit, mit Verweis auf den schwierigen Arbeitsmarkt, angehende schwarze Schauspieler proaktiv von der Ausbildung abzubringen.
Dies resultierte in einem ausgedünnten Angebot an schwarzen Absolventen und schlussendlich dem Fehlen einer älteren schwarzen Schauspieler-Generation. Denn ohne regelmäßiges Engagement oder Aussicht auf eine feste Anstellung wechselte das Gros dieser Arbeitssuchenden schlichtweg den Beruf, während die wenigen Verbliebenen als Gäste immer wieder um die gleichen schwarzen Rollen kämpften.
Markt und Ideologie
So reproduzierte der Markt Tag für Tag die Ideologie, die ihn erst hervorbrachte, und das Schwarzsein wurde eine inszenatorische Setzung, die man mal mit Gast, mal (Achtung, V-Effekt!) mit Schminke umsetzte.
Wenn heute in den Theatern von einem Klima der Angst gesprochen wird, weil Schauspieler unsicher sind, was sie noch dürfen und Kritiker um die Geltungskraft ihrer Kriterien fürchten, wenn bei der Verkündung der Zehner-Auswahl des Berliner Theatertreffens Jahr um Jahr Kunst gegen Diversität zu Felde getragen wird, dann hilft ein Blick in die nähere Geschichte, um nachzuvollziehen, dass wir mitnichten in den identitätspolitischen Ruinen des Theaters wandeln, sondern im Gegenteil durch das Nadelöhr der Identität uns einem unvollendeten Universalismus entgegenbewegen.
Der Slogan „Wer darf für wen sprechen?“ mag einst eine wirksame Taktik innerhalb des Kulturkampfes gewesen sein, aber die eigentliche Frage lautet: „Wer kann für wen sprechen?“