Kultureller Aufbruch am Rhein

Von Ludger Fittkau |
Das Historische Museum der Pfalz in Speyer gehört zu lediglich fünf Prozent der deutschen Museen, die es schaffen, jährlich 200.000 Besucher und mehr in die Ausstellungen zu locken. Auch die neue Salier-Schau dürfte wieder ein Publikumsmagnet werden.
Gleich zu Beginn der Ausstellung ein Flachbildschirm, von dem einem Vertrautes entgegenflimmert:

"Heute Journal" - Stimme Claus Kleber:

"Einen schönen guten Abend. Man sollte ja vorsichtig sein mit großen Worten, aber die Sensation dieses Tages, der 13. April 1111, wird in die Geschichte eingehen."

Der Salier-König Heinrich V. zwingt an diesem Tag in Rom Papst Pachalis II. mit Gewalt, ihn zum deutschen Kaiser zu krönen. Ein Affront, der europaweit Aufsehen erregt. Politisch geht es vor allem darum, wer das Recht hat, Bischöfe zu ernennen: Der Papst oder der Kaiser. Der Investiturstreit. Heinrich V. will seine Macht brachial gegen die römische Kirche durchsetzen, nimmt zu diesem Zweck den Papst sogar in Gefangenschaft.

"Und das ist natürlich etwas, was die Welt erschütterte. Und auch dazu führte, dass Heinrich V. in der späteren Geschichtsschreibung auch als Antichrist dargestellt wurde."

Alexander Koch, der Speyerer Museumschef, bezeichnet die erzwungene Krönung des "Antichristen" Heinrich V. zum Kaiser im Jahr 1111 als Schlüsselereignis für die neue Ausstellung, im Kontrast zur letzten großen Salier-Ausstellung in Speyer 1992. Das Salierreich wurde seinerzeit zum Vorläufe moderner, westlicher Demokratie stilisiert: Wahlen, professionalisierte Verwaltung, Trennung von Kirche und Staat. Die Schau endete damals - wenige Jahre nach dem Mauerfall - mit einer Tafel, auf der die salische Reichskrone und die schwarz-rot-goldene Fahne des wiedervereinigten Deutschlands in trauter Eintracht nebeneinander platziert wurden.

In der neuen Ausstellung geht es weniger um politische Pädagogik, sondern um handfeste Archäologie rund um den Kaiser- und Mariendom zu Speyer, der in Sichtweite des Museums steht. Alexander Koch:

"Und zwar ist es so, dass wir erstmalig in dieser Ausstellung den Dom in all seinen Facetten visualisieren. Sie müssen sich vorstellen, der Dom, wie er heute hier steht, ist ein Produkt einer fast 1000-jährigen Geschichte und Bautätigkeit. Und wir werden in dieser Ausstellung nun die verschiedenen Bauphasen nachzeichnen können, skizzieren können, aber auch so, dass dem Besucher deutlich wird, welche Veränderungen haben sich ergeben über die Barockzeit, über die Zerstörungen im fränkisch-pfälzischen Erbfolgekriegs, die romantisierenden Bilder des 19. und 20. Jahrhunderts bis zum heutigen Zustand. Und damit wird deutlich, dass wir es hier mit einer sehr, sehr komplexen Kirchenbaugeschichte zu tun haben. Und das in unmittelbarer Nähe des Kaiserdoms gelegen. Authentischer, glaube ich, kann eine Ausstellung kaum sein."

Konsequenterweise wird ein zentraler Raum des Museums wie ein Kirchenschiff inszeniert. Die Grabkronen, der goldene Krodo-Altar oder die Thronlehnen Heinrichs IV. aus Goslar und weitere Exponate aus 50 europäischen Museen werden in eine bewusst sakralisierte Atmosphäre eingebunden. Ein Kellerraum des Museums ist wie ein Chemie-Labor gestaltet, in dem exemplarisch an den letzten Kleidern der salischen Kaiser geforscht wird: Den Textilstücken, die man bei der erstmaligen Öffnung der Kaisergräber im Dom im Jahr 1900 entdeckte und an deren Rekonstruktion bis heute gearbeitet wird. Ein Band des dreibändigen Katalogs zur Ausstellung ist allein diesem Bereich gewidmet.

Mit der Salierzeit beginnt auch der kulturelle Aufbruch der Städte am Rhein von Basel bis Köln. Ausgelöst wird er nicht zuletzt durch ein weiteres Ereignis aus dem Jahr 1111: die Veröffentlichung eines sogenannten "Freiheitsbriefes", in dem der Salier-Kaiser den Bürgern Speyers und explizit auch den Juden der Stadt Privilegien einräumt. Ein Gründungsakt der modernen europäischen Stadt. Alexander Koch:

"Es sind Privilegien, was Abgaben anbetrifft, es sind Privilegien, was Rechte anbetrifft, was Versammlungsfreiheit anbetrifft. Also eine ganze Reihe an Rechten, die ganz wichtig waren, dass sich eine Stadt mit ihren Bürgern entfalten konnte."

Die Ausstellungsarchitektur entfaltet sofort eine große sinnliche Wirkung – ohnehin eine der Stärken Alexander Kochs und seiner Kuratoren. Man verzichtet bewusst darauf, zu viele Einzelobjekte in Vitrinen zu versammeln, sondern inszeniert die sparsam eingesetzten Ausgrabungsstücke sorgsam ausgeleuchtet und mit Hilfe raffinierter Digitaltechnik.

Die einzelnen Räume des Speyerer Museums verwandeln sich in kleine Gesamtkunstwerke. Alexander Koch deutet damit an, dass er sich durchaus in einigen Jahren Ausstellungskonzepte denken kann, die gewissermaßen die Perspektive wechseln: Der Betrachter betritt dann keinen Museumsraum mehr, sondern eine mit Hilfe von Computersimulationen rekonstruierte historische Welt, die an einzelnen Stellen reale Fundstücke integriert.

"Die Salier - Macht im Wandel" ist eine überzeugende kulturhistorische Ausstellung. Man wird nicht von der Fülle des Materials erschlagen. Man geht aber auch nicht mit dem Gefühl zurück nach draußen auf den Domplatz, man habe zuwenig zwischen die Zähne bekommen.

Manches, das in der Ausstellung nur angedeutet wird, kann man an anderen Orten in Speyer auf der Stelle vertiefen: Die Bedeutung der jüdischen Kultur, aber auch die besondere Aura des Speyerer Domes als Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte der vier Salierkaiser und ihrer Macht. Ausstellung und Dombezirk sollten darum als Einheit gesehen und begangen werden.