Kultureller Klimawandel

Von Chemnitz lernen

Sänger Felix Brummer von der Band Kraftklub beim Konzert gegen Rechtsradikalismus und Fremdenhass in Chemnitz
Sänger Felix Brummer von der Band Kraftklub beim Konzert gegen Rechtsradikalismus und Fremdenhass in Chemnitz © imago/STAR-MEDIA
Von Bastian Brandau |
Chemnitz Ende August. Eine Stadt im Fokus. Rechtsextreme Demonstrationen mit Hitlergrüßen und Einwohner, die sich mit Neonazis solidarisieren. Auch die dortige Kulturszene ist aufgewühlt - wovon sie heute profitiert, wie unser Korrespondent berichtet.
Ein Freitagabend im September. Mehrere Tausend Menschen lauschen den Klängen am Ende eines Konzerts, das die Chemnitzer Städtischen Theater organisiert haben und zu dem über 200 Künstler aus zahlreichen Theater- und Opernhäusern bundesweit angereist sind. Als ein Platzregen einsetzt, verharren die Chemnitzerinnen und Chemnitzer fast trotzig in ihren Sitzreihen auf dem Theaterplatz. Es geht an diesem Abend nicht nur um den Musikgenuss:
"Na, wir lassen uns nicht abschrecken, von so ein bisschen Regen schon gar nicht."
"Es war so schön, ich habe Gänsehaut von Anfang bis Ende."
"Es tut gut für Chemnitz, so zu sein."
"Eine ganze Menge Gemeinschaftsgefühl, Freude und eine sehr humanistische Botschaft. Und ein tolles Gefühl, dass so viele Menschen trotz des Regens dageblieben sind und dieses wundervolle Konzert noch bis zum Schluss genossen haben und damit auch ein Zeichen gesetzt haben für eine offene Gesellschaft und Toleranz."

Kultur für Offenheit und Toleranz

"Gemeinsam stärker – Kultur für Offenheit und Toleranz": So lautet das Motto der Veranstaltung. Um zu zeigen: Chemnitz kann auch anders. Ähnlich wie wenige Tage zuvor, als 65.000 Menschen zu einem Konzert von Bands wie Kraftklub und den Toten Hosen gekommen waren. Das klassische Konzert werde sicher einen Platz in der Geschichte der Chemnitzer Theater behalten, glaubt Christoph Dittrich, Generalintendant der Städtischen Theater Chemnitz:
"Ein unglaublich bewegendes Konzert, weil dort ein ‚Framing‘ da war, dass es nicht nur um die ästhetische Seite ging, sondern wirklich um diese Metapher des Humanismus, des Beisammenstehens, die uns Schiller und Beethoven dort gegeben haben. Dieses Konzert hieß bei uns: 'Gemeinsam stärker'. Wir wollten immer davon absehen, auszugrenzen, sondern immer wieder Diskursangebote machen. Und einladen, sich zu verständigen und nicht in Hass und Gewalt auseinanderzugehen. Und das war so imponierend, dass wir aus diesem Konzert 'Gemeinsam stärker' eine Reihe entwickelt haben. Viele Künstler aus der Bundesrepublik haben uns ihre Sympathie bekundet und haben gesagt, wir kommen auch mal zu euch."

"Über das Verstehen hinaus in ein Fühlen hinein"

Ulrich Matthes las im November Schiller-Balladen. Für einen Gala-Abend kehrten vor Weihnachten zahlreiche Künstler in ihre Heimatstadt zurück. Und die Theater stellten auch ihre Programme um. Verstört von der Tatsache, dass Teilnehmer extrem Rechter Demonstrationen weiße Rosen trugen, nahm das Musiktheater die gleichnamige Oper von Udo Zimmermann kurzfristig wieder ins Programm. Christoph Dittrich:
"Mit einer riesigen Resonanz, obwohl das eine ganz ambitionierte moderne Tonsprache und Ästhetik ist. Dass diese Verbindung zwischen konkreter Historie, einem Kunstwerk und unserem heutigen Erleben über diese Brücke dieser zwei Menschen, die dort gezeigt werden, in der Stunde vor ihrer Hinrichtung, dieses Erleben in der Stadt fühlbar macht, weit über das Verstehen hinaus in ein Fühlen hinein. Und darauf sind wir wirklich ein bisschen stolz, dass es uns gelingt, da nicht nur zu polemisieren, sondern wirklich mit der Kunst Wege zu finden, die uns in einen Zusammenhalt bringt."

Neonazi-Strukturen verdrängt

Denn auch vor dieser Frage stehen die Chemnitzer Kulturbetriebe: Wie kann man diejenigen erreichen, die bei den Rechtsextremen mitlaufen und sich von der Demokratie abwenden? Man gehe raus in die Stadtviertel, in die Schulen, um für alle Menschen ansprechbar zu sein, so Dittrich. Das soll so auch im kommenden Jahr fortgeführt werden. Gerade träumt Christoph Dittrich davon, das ehemalige Haus der SED-Parteileitung zu bespielen, direkt hinter der berühmten Marx-Büste. Einen Raum mit politischer Tradition, den sich Künstler und Chemnitzer gemeinsam erarbeiten würden.
Die Auseinandersetzung mit der noch jüngeren Vergangenheit findet in Chemnitz bereits statt: Der NSU suchte sich Chemnitz als Wahlheimat aus, Teile des Unterstützernetzwerks sind weiter in der Stadt aktiv. "Neue unentdeckte Nachbarn" hieß ein Festival, das sich vor zwei Jahren mit dem NSU auseinandersetze. Ein Festivalort, das Kulturzentrum Lokomov, war damals Ziel eines Sprengstoff-Anschlags geworden. Der wurde nicht aufgeklärt, aber der Zivilgesellschaft sei es gelungen, Neonazi-Strukturen aus dem Stadtteil Sonnenberg zu verdrängen, sagt Franz Knoppe.

"Dem Narrativ der Rechtspopulisten etwas entgegensetzen"

Er hat das Nachfolgefestival "Aufstand der Geschichten" im November mitorganisiert. Man habe in diesem Jahr dem weltweit erstarkenden Narrativ der Rechten und Rechtspopulisten etwas entgegensetzen wollen, sagt er:
"In diesem Festival 'Aufstand der Geschichten' haben wir vor allen Dingen gekuckt: Welche historischen Erzählungen haben noch eine Relevanz für heute? Und deshalb haben wir zum Beispiel Stefan Heym als den großen Sohn der Stadt Chemnitz auf die Bühne gebracht, der viele Umbrüche selber erlebt hat, und haben uns seine Biographie angeschaut und haben uns angeschaut: Okay, was können wir davon heute noch mitnehmen?"

"Kunstszene hat letztlich davon profitiert"

Durch die Ausschreitungen im Sommer habe das lange geplante Festival mehr Aufmerksamkeit erhalten, sagt Franz Knoppe. So zynisch das klingen mag: Die Kunstszene habe letztendlich davon profitiert, dass Chemnitz im Fokus der Öffentlichkeit steht:
"Dadurch, dass das ja ein weltweiter Diskurs ist, ist die Frage: Was können wir von Chemnitz lernen? Und welche Maßnahmen müssen wir jetzt umsetzen, damit wir so etwas längerfristig verhindern? Auch die Europäische Kulturhauptstadtbewerbung kann spannend für Europa sein, wenn man sagt: Okay, was hat Chemnitz eigentlich gemacht? Und was können wir für andere Städte übertragen? Und wenn wir in Chemnitz, wenn wir hier keine Lösung finden, dann werden wir das auch in anderen Städten nicht schaffen."
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