Kulturelles Erbe in Not
Wer zuletzt die Formel vom kulturellen Erbe gebrauchte, wähnte sich auf der sicheren Seite. In der Kulturnation, so die unausgesprochene Hoffnung, hat man immer etwas auf der hohen Kante. War die Berufung auf kulturelle Werte lange ein Privileg konservativen Dünkels, so macht man damit heute selbst in der komplexen Integrationsdebatte sichere Punkte. Was soll so falsch sein an der Betonung des Eigenen?
Wer Kulturerbe sagt, denkt dabei seltsamerweise nicht an ästhetischen Genuss. Es gehört zu den Besonderheiten des Wortes, dass es beinahe ausschließlich im politischen Kontext Verwendung findet. Es macht sich nicht klein, sondern zielt immer aufs große Ganze. Es amalgamiert politisch Getrenntes, quillt als bedeutungsschweres Füllhorn über und bietet sich zugleich als leichter Zierrat für Fest- und Eröffnungsreden an.
Wenn das Kulturerbe aufgerufen wird, steht auch die Herausbildung einer kulturellen Identität im Protokoll, die als verbindendes Instrument aufgefasst wird. Sie soll zusammenhalten, was in einer immer unwirtlicher erscheinenden Zivilisation unter starke Zentrifugalkräfte geraten ist. Wie sonst nur im weiten Feld des Sports, glaubt man im kulturellen Kontext dem Versprechen, ein bisschen mehr zu sich zu kommen.
Die Hoffnung, die die große Anrufung des kulturellen Erbes weckt, ist zuletzt jedoch der Sorge gewichen, dass es immer mehr zerfällt. Die Finanzkrise beginnt mit einiger Verspätung zum Börsentheater ihre böse Fratze zu zeigen. Nicht selten tritt das Ungemach ganz untheatralisch und in Gestalt harmlos anmutender kommunaler Kämmerer auf.
Die Auszehrung kultureller Einrichtungen wie Büchereien und Jugendmusikschulen beginnt in der Fläche. Während die Leuchttürme der Kulturnation, allen voran das Neue Museum in Berlin, in großem Glanz erstrahlen, weht knarziger Sand aus der Provinz heran. Das böse Wort heißt freiwillige Leistungen. Sind die meisten Haushalte der großen Institutionen bis Ende des Jahres einigermaßen sicher, so gehören Kulturausgaben im kommunalen Bereich zu den wenigen Posten, die überhaupt angetastet werden können.
Gespart wird an der Kultur ja nicht, weil man sie für überflüssig hält. So ignorant gebärdet sich nicht einmal mehr ein selbstherrlicher Stadtdirektor. Die freiwilligen Leistungen laufen vielmehr auf die einzigen Partien zu, an denen man das Korsett noch ein wenig straffen kann. Kultur, soviel steht bereits jetzt schon fest, ist das erste Opfer der kleinmütigen Föderalismusreform.
Aber ist es eigentlich wirklich so schlimm? Versiegen gleich alle kreativen Quellen im Land, wenn die Stadttheater weniger Neuinszenierungen auf die Bühne bringen und die Öffnungszeiten in Museen reduziert werden? Kein Land der Welt verfügt über so eine große Theaterdichte wie Deutschland, und der kulturelle Reichtum blüht ja nicht nur in den Metropolen. Tausende von Museen verwahren landauf, landab kostbare Schätze ihrer jeweils regionalen Geschichte. Nationalkultur, das sperrige Wort, das vor einigen Jahren eher vergeblich wiederzubeleben versucht wurde, hat sich ja vor allem als Regionalkultur behauptet. Man begeht sie in Eutin genauso wie im mecklenburgischen Neustrelitz.
Es spricht gerade angesichts der Wirtschaftskrise dafür, sich des kulturellen Erbes neu zu vergewissern. Womöglich besteht es nicht ausschließlich in dem kulturellen Reichtum, der unter den Vitrinen steht oder fest verschnürt im Depot einstaubt. Es geht auch nicht aus einem Schloss hervor, das in bester Absicht alle Wunden der Geschichte heilen soll.
Die Erbweisheit der Stunde könnte vielmehr darin bestehen, auf das Lernen eines Instruments und das Bewahren von Kulturtechniken wie Lesen und Zeichnen zu setzen. Kulturelle Bildung klingt uncool und ist nicht billig zu haben. Richtig angewandt aber macht sie dauerhaft krisenfest.
Harry Nutt (geb. 1959) war Ressortleiter des Feuilletons der "taz" sowie der "Frankfurter Rundschau". Seit 2006 ist er Kulturkorrespondent der "Frankfurter Rundschau" in Berlin. Zu seinen Buchpublikationen gehören unter anderem "Bankautomat schluckt Eurocard" und, als Koautor, ein Buch über den ersten Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger "Als der Ball noch rund war". Zuletzt erschien im Campus Verlag sein Buch: "Mein schwacher Wille geschehe. Warum das Laster eine Tugend ist".
Wenn das Kulturerbe aufgerufen wird, steht auch die Herausbildung einer kulturellen Identität im Protokoll, die als verbindendes Instrument aufgefasst wird. Sie soll zusammenhalten, was in einer immer unwirtlicher erscheinenden Zivilisation unter starke Zentrifugalkräfte geraten ist. Wie sonst nur im weiten Feld des Sports, glaubt man im kulturellen Kontext dem Versprechen, ein bisschen mehr zu sich zu kommen.
Die Hoffnung, die die große Anrufung des kulturellen Erbes weckt, ist zuletzt jedoch der Sorge gewichen, dass es immer mehr zerfällt. Die Finanzkrise beginnt mit einiger Verspätung zum Börsentheater ihre böse Fratze zu zeigen. Nicht selten tritt das Ungemach ganz untheatralisch und in Gestalt harmlos anmutender kommunaler Kämmerer auf.
Die Auszehrung kultureller Einrichtungen wie Büchereien und Jugendmusikschulen beginnt in der Fläche. Während die Leuchttürme der Kulturnation, allen voran das Neue Museum in Berlin, in großem Glanz erstrahlen, weht knarziger Sand aus der Provinz heran. Das böse Wort heißt freiwillige Leistungen. Sind die meisten Haushalte der großen Institutionen bis Ende des Jahres einigermaßen sicher, so gehören Kulturausgaben im kommunalen Bereich zu den wenigen Posten, die überhaupt angetastet werden können.
Gespart wird an der Kultur ja nicht, weil man sie für überflüssig hält. So ignorant gebärdet sich nicht einmal mehr ein selbstherrlicher Stadtdirektor. Die freiwilligen Leistungen laufen vielmehr auf die einzigen Partien zu, an denen man das Korsett noch ein wenig straffen kann. Kultur, soviel steht bereits jetzt schon fest, ist das erste Opfer der kleinmütigen Föderalismusreform.
Aber ist es eigentlich wirklich so schlimm? Versiegen gleich alle kreativen Quellen im Land, wenn die Stadttheater weniger Neuinszenierungen auf die Bühne bringen und die Öffnungszeiten in Museen reduziert werden? Kein Land der Welt verfügt über so eine große Theaterdichte wie Deutschland, und der kulturelle Reichtum blüht ja nicht nur in den Metropolen. Tausende von Museen verwahren landauf, landab kostbare Schätze ihrer jeweils regionalen Geschichte. Nationalkultur, das sperrige Wort, das vor einigen Jahren eher vergeblich wiederzubeleben versucht wurde, hat sich ja vor allem als Regionalkultur behauptet. Man begeht sie in Eutin genauso wie im mecklenburgischen Neustrelitz.
Es spricht gerade angesichts der Wirtschaftskrise dafür, sich des kulturellen Erbes neu zu vergewissern. Womöglich besteht es nicht ausschließlich in dem kulturellen Reichtum, der unter den Vitrinen steht oder fest verschnürt im Depot einstaubt. Es geht auch nicht aus einem Schloss hervor, das in bester Absicht alle Wunden der Geschichte heilen soll.
Die Erbweisheit der Stunde könnte vielmehr darin bestehen, auf das Lernen eines Instruments und das Bewahren von Kulturtechniken wie Lesen und Zeichnen zu setzen. Kulturelle Bildung klingt uncool und ist nicht billig zu haben. Richtig angewandt aber macht sie dauerhaft krisenfest.
Harry Nutt (geb. 1959) war Ressortleiter des Feuilletons der "taz" sowie der "Frankfurter Rundschau". Seit 2006 ist er Kulturkorrespondent der "Frankfurter Rundschau" in Berlin. Zu seinen Buchpublikationen gehören unter anderem "Bankautomat schluckt Eurocard" und, als Koautor, ein Buch über den ersten Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger "Als der Ball noch rund war". Zuletzt erschien im Campus Verlag sein Buch: "Mein schwacher Wille geschehe. Warum das Laster eine Tugend ist".