Kulturelles Erbe und Rassismus

Warum wir vielfältiger diskutieren müssen

52:04 Minuten
An der U-Bahnhaltestelle Mohrenstraße in Berlin-Mitte hängt auf dem U-Bahn-Halstestellenschild ein Plakat mit der Aufschrift "George-Floyd" im Gedenken an den in Minneapolis getöteten Afroamerikaner.
Im Gedenken an George Floyd umbenannt: Eingang zur U-Bahnhaltestelle Mohrenstraße in Berlin-Mitte. © picture-alliance/dpa/Kay Nietfeld
Moderation: Annette Riedel |
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Am gewaltsamen Tod von George Floyd hat sich eine Debatte über Rassismus entzündet. In Belgien und Großbritannien stürzen Demonstranten Denkmäler aus der Kolonialzeit. Auch in Deutschland wird jetzt um ein neues Bewusstsein für Rassismus gerungen.
Für den Kulturaktivisten und Künstler Michael Küppers-Adebisi ist Rassismus ein "360-Grad-Thema". Der Rassismus habe sich aus den Zeiten des Kolonialismus bis in die Gegenwart fortgeschrieben und nehme heute "neorassistische und neokoloniale Formen" an. In den gegenwärtigen Protestbewegungen in vielen Teilen der Welt drücke sich die Wut, das Leid und der Hass aus, die über viele Jahrzehnte gewachsen seien, weil People of African Descent aus dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, den Medien und der akademischen Welt ausgegrenzt würden.
"Die ganzen Kreise sind weiß", kritisiert Michael Küppers-Adebisi, "die sind männlich und die sind normativ-hetero. Das heißt, von einem intersektionalen Standpunkt aus, ist da niemand, der wirklich betroffen ist. Das heißt, Menschen, die sagen, wir haben in Deutschland nicht wirklich so viele Probleme mit dem Rassismus, die aus einer weißen Position heraus sprechen, negieren natürlich damit den Erfahrungshintergrund der Betroffenen. Von daher ist es sehr schwierig, überhaupt in einen Diskurs einzusteigen, weil genau das das Problem ist."

"Keiner hat so richtig zugehört"

Die Leiterin des Museums "Zitadelle Spandau", Urte Evert, betrachtet die Angriffe auf Symbole des Kolonialismus als einen Anstoß für eine breitere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus.
"Die vorherigen friedlichen Versuche, diese Statuen, die ja Ehrungen im öffentlichen Raum darstellen, zu problematisieren, vielleicht auch mal zu kontextualisieren, die sind verhallt, weil keiner so richtig zugehört hat", erklärt sie. "Erst durch die Aggression, die jetzt stattgefunden hat, werden diese Menschen überhaupt gehört. So als Auftakt, um tatsächlich ins Gespräch zu kommen, finde ich das verständlich."
Das Streben nach einem Verlernen von Rassismus werde, ähnlich wie in der feministischen Bewegung, ein Weg mit Auf- und Abbewegungen sein, sagte Evert. Auf Dauer aber, werde diese Gesellschaft es nicht aushalten, "rassistische Grundlagen weiterzuführen."

Die einbeziehen, die es betrifft

Die Entscheidung über ein "Musealisieren" und Kontextualisieren von Objekten aus der Kolonialzeit müsse in jedem Einzelfall abgewogen werden, sagte Evert. "Meiner Meinung nach müssen wir aushalten, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt. Wir müssen aushalten, dass es bei jeder einzelnen Statue einen anderen Weg geben kann. Und der muss aber transparent diskutiert werden."
Die rassistische Skulptur einer schwarzen Frau zum Beispiel, der gestern in Berlin der Kopf abgeschlagen worden sei, sollte eigentlich auf einen Beschluss der "Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland" hin in ihrem Museum "Zitadelle Spandau" ausgestellt werden.
Urte Evert kündigte an, sie werde nun zunächst gemeinsam mit den Vertretern der Initiative darüber beraten, ob und wie die beschädigte Skulptur immer noch ausgestellt werden soll. In jedem Fall werde die Skulptur nicht restauriert. "Wenn der Kopf wiedergefunden wird, dann wird er danebengelegt", sagte sie. "Das wird nicht restauriert. Das wird dann so ausgestellt wie es jetzt aussieht. Aber auch nur, wenn das die Menschen möchten, die das betrifft."

Mehr Vielfalt in den Debatten

Für den Ethnologen und Wissenschaftsjournalisten Andreas Schlothauer zeigt sich in den weltweiten Protestbewegungen gegen Rassismus und in den Denkmalstürzen, dass eine breite gesellschaftliche Diskussion versäumt wurde.
"Den Sturz von Denkmälern halte ich für vollkommen überflüssig", sagte Schlothauer. "Ich bin der Meinung, dass man sich mit dem Thema und dem Menschen, den man in einem Denkmal verehrt, beschäftigen sollte." Es gelte eine vielfältige gesellschaftliche Diskussion zu führen, bei der gegensätzlichen Positionen formuliert werden könnten und öffentlich über unterschiedliche Meinungen und Erkenntnisse gestritten werde, sagte Schlothauer.
"Wenn dieser Streit sehr viel öffentlicher und auch an viel mehr Stellen stattfinden würde, dann wären auch vielleicht diese Ausbrüche von Aggression gegen Objekte gar nicht nötig", meint der Ethnologe. "Letztlich geht es ja darum, was machen wir heute aus den Unzufriedenen und den Verhältnissen, die zu dieser Unzufriedenheit führen. Und da sehe ich nicht das Objekt oder das Denkmal als den Anlass. Das ist nur das Symbol, das genommen wird, um diese Aggression, die man auf die heutigen Verhältnisse hat, nach außen darzustellen."
Für Schlothauer ist Rassismus unter anderem Ergebnis eines Mangels an Kenntnissen etwa über den afrikanischen Kontinent und dessen Vielfalt an Sprachen und Kulturen.
(ruk)

Es diskutieren:
Urte Evert, Direktorin des Museums Zitadelle Spandau
Michael Küppers-Adebisi, Künstler und Kulturaktivist, Initiator von Afrotak TV cyberNomads
Andreas Schlothauer, Ethnologe und Wissenschaftsjournalist, Vorsitzender der Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur e.V. und Chefredakteur der Zeitschrift Kunst&Kontext

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