"Also, ihr könnt mir vertrauen!"
Wunderheilern, dem Ehemann oder gar der deutschen Verfassung? Autoren aus aller Welt schreiben darüber, wem sie vertrauen. Beim Internationalen Literaturfestival in Berlin regen sie damit die Besucher an, sich dieselbe Frage zu stellen.
Der Begriff "Vertrauen“ ist heute überall. Nicht nur im Privaten, auch in der Wirtschaft und der Politik ist er längst angekommen. Und jetzt also auch auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin.
"Meine Damen und Herren, ich vertraue darauf, dass Ihre Handys während der Veranstaltung ausgeschaltet bleiben ..."
"Kulturen des Vertrauens“ heißt einer der diesjährigen Schwerpunkte des Festivals.
"Wir beim Internationalen Literaturfestival versuchen immer wieder, Themen zu entwickeln, die auf der Schnittstelle zwischen Literatur und Alltagserfahrung sind. Und Vertrauen ist ein solches Thema. Das ist ein alltägliches Phänomen, aber der Gewinn des literarischen Blickes darauf ist, dass das genauer perspektiviert werden kann",
sagt Programmleiter Thomas Böhm. Für das Festival hat er Autoren aus aller Welt eingeladen, über ihr Verständnis von Vertrauen zu schreiben.
"Besonders beeindruckt hat mich zum Beispiel der Essay des senegalesischen Schriftstellers Abasse Ndione, der über sein Vertrauen zu Wunderheilern schreibt, etwas, dass uns ganz fremd erscheint, aber wenn man das gelesen hat, dann denkt man sich: Ja, unter diesen Umständen würde ich vielleicht auch an Wunderheiler glauben, bzw. man entdeckt, dass man selbst auch so abergläubische Verhältnisse zu manchen Dingen hat."
Das Programm ist also auch eine Aufforderung an die Besucher, sich mit dem eigenen Vertrauensbegriff auseinanderzusetzen. Sich die Frage zu stellen: Wem vertraue ich eigentlich?
Die Antworten der Besucher sind eindeutig
Umfrage Besucher: "Ich vertraue meinen Freunden in erster Linie." / "Meiner Frau." / "Meinem Mann." / "Einigen wenigen Menschen." / "Familie, Freunden, einigen Ärztinnen."
Und wem vertraue ich nicht?
"Der Deutschen Bank." / "Kooperationen, großen Firmen, politischen Parteien." / "Manchen Politikern, von denen man sich mehr erhofft hätte." / "Der Politik. Der Ökonomie. Und insbesondere der Verflechtung von Politik und Ökonomie."
Die Antworten der heutigen Besucher sind recht eindeutig: Für die meisten funktioniert das Vertrauen zwischen Mensch und Mensch, nicht aber das Vertrauen zwischen Mensch und Institutionen, vor allem nicht den politischen und wirtschaftlichen Institutionen.
Wann und wie das Vertrauen Einzug gehalten hat, in die Welt der Wirtschaft und Politik, darüber spricht heute Abend Ute Frevert, Historikern und Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. "Vertrauensfragen – Eine Obsession der Moderne“ heißt ihr Buch zum Thema.
"Also mein Eindruck ist, dass das nicht schon seit der Nachkriegszeit der Fall ist, sondern erst in den letzten 20 Jahren passiert ist, dass dieser Vertrauensbegriff so stark Verwendung findet in der politischen und ökonomischen Sphäre. Also jeder Handwerker sagt ja: Ihr könnt mir vertrauen! Vertrauen ist meine wichtigste Ressource.“
Der inflationäre Gebrauch des Wortes stört auch viele Besucher. Entleert und entwertet sei der Begriff, vor allem durch die Werbung, ärgert sich einer von ihnen. Trotzdem: Ohne Vertrauen könne eine Gesellschaft nicht funktionieren, da sind sich alle einig.
Kann Vertrauen nur im zwischenmenschlichen Bereich funktionieren?
Junge Besucherin: "Ich glaube Vertrauen ist wichtig, weil es dem Menschen Beständigkeit gibt, weil sonst im Leben ganz viel drunter und drüber geht. Und man durch Vertrauen zu anderen Menschen Halt bekommt und sich selbst zurecht findet."
In welchen Bereichen der Gesellschaft Vertrauen nötig und sinnvoll ist – darüber gehen die Meinungen aber auseinander. Kann Vertrauen ohnehin nur im zwischenmenschlichen Bereich funktionieren? Und: Sollte der Begriff in der öffentlichen Sphäre, in Politik und Wirtschaft, daher besser durch andere Begriffe ersetzt werden? Der Vorschlag steht bei der heutigen Veranstaltung im Raum. Nicht alle Besucher sind einverstanden, wie etwa dieses Ehepaar.
Besucher-Ehepaar: "Ich würde sagen, als jemand der auf die gute Funktionsweise unserer öffentlichen Einrichtungen hofft, sollte man auch in der Lage sein, einer Institution Vertrauen entgegenzubringen, denn sonst kann das ja gar nicht funktionieren.“ – "Das kann man auch nicht mit Zuversicht oder so ersetzen, man kann ja nicht sagen: Ich habe Zuversicht in die Institutionen, die uns repräsentieren.“
Kriterien, die eine Institution erfüllen müsste, damit sie ihr vertrauen würden, haben die beiden auch parat.
Besucher: "Sie müsste transparent handeln, Versprechen halten und erfolgreich – in meinem Sinne – handeln.“
Eine Institution, die diese Kriterien tatsächlich erfülle, gebe es bereits, ergänzt seine Frau: die deutsche Verfassung.