Freie Theaterszene

Radikale Mittelstreichung

08:38 Minuten
Der Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste, Holger Bergmann, spricht an zwei Mikrofonen
Die freie Szene werde auch von den Stadt- und Staatstheatern für Impulse und Ideen dringend gebraucht, sagt Holger Bergmann. Der Geiz des Bundes verhindere viele Förderlinien. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Holger Bergmann im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 27.11.2022
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Mit viel Aufwand wurde die freie darstellende Kunstszene in der Corona-Zeit stabilisiert. Dass der Bund die Mittel nun drastisch kürzt, verhindere deren Entwicklung, sagt Holger Bergmann vom Fonds Darstellende Künste.
Während der Pandemie ist den freien Bühnen durch das Programm „Neustart Kultur“ mit 164 Millionen Euro ordentlich unter die Arme gegriffen worden. Der Fonds Darstellende Künste bräuchte im Jahr 2023 nach eigenen Berechnungen rund 16 Millionen Euro vom Bund – im Bundeshaushalt sind aber nur zwei Millionen Euro Unterstützung vorgesehen.

Nachhaltiges Förderziel wird verhindert

Im kommenden Jahr könne man so von sechs Förderlinien für freie Kunstschaffende möglicherweise nur eine fortsetzen, sagt Holger Bergmann. Er vertritt als Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste viele Mitgliederverbände, die Schauspieler, Theater und Tanz repräsentieren.
Die Nachhaltigkeit des Förderprogramms „Neustart Kultur“ sei nun infrage gestellt. Den besonders von der Pandemie betroffenen, frei produzierenden Künstlern – häufig als Soloselbstständige unterwegs oder in prekären Arbeitssituationen als Ensemble – sollte geholfen werden. Die Pandemie-Zeit habe gezeigt, dass die freie Szene hierzulande sehr verletzlich aufgestellt ist, so Bergmann.
Die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen),  steht an einem Rednerpult
Engagiert für die Freie Szene: Kulturstaatsministerin Roth. Sie gebe Hoffnung – für 2024, sagt Holger Bergmann. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
„Neustart Kultur“ habe man genutzt, um die Förderung für die gesamte Breite der Szene zu ermöglichen. „Unsere Module sahen vor, in allen Bundesländern zu fördern. Wir haben fast eine 50-Prozent-Förderquote zur Antragstellung in jedem Bundesland.“ Dank einer sehr diversen Jury seien alle Fachbereiche bundesweit abgedeckt worden: vom Tanz über das Figuren- und Musiktheater bis hin zum zeitgenössischen Zirkus.

Gegen die Wissenschaft

Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass nur eine langjährige Förderung die Szene besser absichern könne.

„Dass wir genau diese Förderung, die über drei Jahre wirken kann, jetzt einstellen müssen, ist für uns besonders schmerzhaft.“

Holger Bergmann

Wichtig bleibe, zu zeigen, warum die freien darstellenden Künste eine gesamtstaatliche Aufgabe sind – vergleichbar mit der für das Humboldt-Forum oder dem Preußischen Kulturbesitz.  

Freie Szene gibt Impulse für die Gesellschaft

Durch deren dezentrale Struktur – sowohl lokal vor Ort arbeitend als auch mit globaler Perspektive – würde häufig das Publikum integriert und gebe so auch Denkansätze für die Transformation gesellschaftlicher Prozesse. Genau diese versuche man, mit viel Mühe, Energie und viel Geld in Institutionen mit Bestand zu erreichen oder zu ermöglichen.
Umso widersinnig sei, im Sinne einer fortschrittlichen ästhetischen und inhaltlichen Entwicklung diese Förderung abbrechen zu lassen, so Bergmann.
Prinzipiell sei Kulturstaatsministerin Roth sehr engagiert für die freie Szene. Das gebe Hoffnung, mehr Unterstützung zumindest für 2024 vom Bund zu bekommen: "Möglicherweise ist 2023 nur ein sehr schwieriges Übergangsjahr.“
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