Britanniens Kultur floriert trotz Kürzungen
In den USA ist staatliche Kunstförderung geradezu tabu, in einigen europäischen Ländern dagegen ist sie durch die Verfassung geschützt. Die Briten zeigen, dass es einen dritten Weg gibt: Der Staat sorgt hier für eine Grundversorgung. Den Rest muss man privat erwirtschaften.
Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2012 in London. Digitale Tricks, eine überwältigende Lightshow, Gedichte und Tanz, Theater und Film, Literatur und Musik. Es war ein weltweit bewunderter Schaulauf all dessen, was die Kultur auf den "Isles of Wonder“ ausmacht, meint Professor Jonothan Neelands.
"Unsere Kreativität bezieht sich nicht allein auf Kunst und Kultur, die erstreckt sich auch auf Wissenschaftler oder Ingenieure. Und das hat Dany Boyle wirklich herausgestellt: die Kunst an der Seite des Nationalen Gesundheitsdienst, J. K. Rowling neben Isambard Brunel - wir sind glücklich, dass wir Unternehmer hervorbringen, ebenso wie Künstler, Wissenschaftler oder Ingenieure. Und wir sind pragmatisch darin, die Welt zu beeinflussen mit allem, was wir zu bieten haben."
Ob James Bond oder Kenneth Branagh, die Beatles oder Simon Rattle - Dany Boyles Inszenierung zeigte, dass in Großbritannien von jeher die Grenzen verschwimmen zwischen reiner Kunst und schnödem Geschäftssinn, Pop- und Hochkultur. Anderswo vorgenommene feinsinnige Unterscheidungen verschmelzen zur britischen kreativen Industrie, in der sich Public Privat Partnership weniger in vereinzelten Projekten niederschlägt, sondern ein Wesensmerkmal des Gesamtsystems ist.
"Es gibt keine einzige Kultur-Organisation, die ausschließlich öffentlich oder von der Regierung finanziert würde. Es wird zunehmend von allen Kunstinstitutionen erwartet, dass sie ihr kommerzielles Potenzial ausschöpfen."
Professor Neelands ist Studiendirektor der Warwick-Kommission zur Zukunft des Werts der Kultur.
"Das Vereinigte Königreich geht einen dritten Weg zwischen Amerika einerseits, wo es keine öffentliche Finanzierung der Kunst gibt, und einigen europäischen Staaten, wo die Kunstförderung durch die Verfassung geschützt wird. In England haben wir eine Mischform, wo die Kunst teils durch öffentliche Mittel unterstützt wird, die meisten Organisationen erhalten derzeit nur noch Zuschüsse zwischen rund 27 und 30 Prozent aus der öffentlichen Kasse; der Rest aber kommt aus privatem Investment, Eintrittserlösen, von Stiftungen und Kunst-Liebhabern."
Unabhängige Körperschaften bekommen Geld vom Staat
Dass der britische Staat Kultur überhaupt fördert, ist eine relativ neue Entwicklung. Der Arts Council, der für die Verteilung von derzeit einer knappen Milliarde Pfund öffentlicher Gelder an 670 Kulturorganisationen zuständig ist, wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Er gehört zu den so genannten Arm’s Length Bodies, unabhängige Körperschaften, die zwar vom Staat Geld erhalten, ihn sich aber auf Armeslänge vom Leib halten, sagt Jonothan Neelands.
"Wir sind wahrscheinlich mehr besorgt über eine Einmischung des Staates in die Kunst als über einen kommerziellen Eingriff. Es ist Teil der Tradition, dass die Kunst auch unternehmerisch ausgerichtet war und sich umgeschaut hat, welches Investment, welche Finanzierungen möglich waren."
Schon William Shakespeare ist da vor über 400 Jahren mit gutem Beispiel vorangegangen.
"Shakespeare’s plays had to be popular. He lived by the box office."
Seine Stücke mussten populär sein, weil er von den Eintrittseinnahmen lebte, erläutert Patrick Spottiswoode vom renommierten Shakespeare’s Globe Theatre, das ganz ohne staatliche Zuschüsse auskommen muss und dennoch erfolgreich ist.
"Wenn du heute ein moderner Regisseur in einem völlig subventionierten Theater bist, dann kannst du sagen, ich bin nicht interessiert an Popularität. Ich will dieses perfekte Stück Kunst schaffen. Es spielt keine Rolle, ob irgendjemand kommt oder nicht. Ich habe ja meinen Job und bekomme mein Geld vom Staat. Ich war schon in deutschen Theatern mit avantgardistischer Regie, wo das Publikum geflohen ist und nur wenige Zuschauer blieben. Aber der Regisseur kann das gleiche Spiel im nächsten Jahr wieder machen. Hier können wir uns das nicht leisten – du musst ein cleverer Geschäftsmann sein."
Das gilt sogar für das Dutzend großer Vorzeigeinstitutionen in London - wie die Tate Galerie, das Britische Museum oder die Nationalgalerie - obwohl sie zusammen immerhin rund eine halbe Milliarde Pfund jährlich direkt aus dem Kulturetat und nicht über den Arts Council erhalten. Doch damit allein käme man nicht weit, wie Martin Roth erklärt. Der Deutsche leitet seit drei Jahren das Victoria & Albert Museum und bekommt rund 50 Millionen Pfund aus öffentlicher Kasse - macht...
"...vermutlich zwei Drittel, vermutlich ein bisschen weniger vom Staat und ein Drittel muss ich selbst erwirtschaften. Das heißt die Grundversorgung kommt hier vom Staat, anders geht’s nicht, für die Gehälter und vieles andere mehr. Aber alles, was Sie darüber hinaus machen möchten, sei es jetzt Ankäufe, Baumaßnahmen, extravagante Ausstellungsprojekte – dann muss ich das Geld außerhalb der Staatlichen Finanzierung auftreiben."
Da der Eintritt in die großen Museen frei ist, bessert man den Etat mit Ticketverkäufen für Sonderausstellungen auf; kein Musentempel verzichtet auf einen Shop oder ein Café, man vergibt Fördermitgliedschaften, wirbt um Spenden und Sponsoren. Die gewinnt man selten auf Dauer, sondern meist gezielt für einzelne Ausstellungen.
Martin Roth: "Wir arbeiten anders als in Deutschland weniger mit Unternehmen zusammen, sondern alle arbeiten hier mit den großen Familienstiftungen, die es schon seit dem 19. Jahrhundert hier gibt."
Die Kulturinstitutionen wirtschaftsähnlich führen
Überhaupt komme es gar nicht so sehr darauf an, die Wirtschaft als Geldgeber für die Kultur zu interessieren, sondern darauf, die Kulturinstitution selbst zwar nicht wie ein Unternehmen zu führen, aber wirtschaftsähnlich; das gelingt immer besser. Kommerziell überaus erfolgreich sind etwa die Produktionen von Warhorse beim National Theatre oder Matilda von der Royal Shakespeare Company. Nach Ansicht von Martin Roth nur möglich wegen der Nichteinmischung des Staates und des Sachverstands der Treuhänder in den unabhängigen Verwaltungsräten der Kultureinrichtungen: den Boards of Trustees.
"Von all den Systemen, die ich kenne, muss ich sagen, das ist schon das Beste, das ich kennen gelernt habe. Warum? Am meisten ist es mir immer in Berlin aufgefallen. Wenn dort der Minister gleichzeitig der Vorsitzende des Preußischen Kulturbesitzes ist, also des Verwaltungsrates, dann ist das einfach ein Fehler. Das ist korrupt. Das wär hier ein Unding, dass ein Staatssekretär gleichzeitig Chairman eines Boards of Trustees ist. Ich kann nicht gleichzeitig Gelder zur Verfügung stellen und diese auch noch verwalten. Weil: Dann kann ich durchregieren, dann habe ich die Hoheit."
Die britische Kultur floriert trotz staatlicher Kürzungen wohl nicht zuletzt deswegen, weil von ihr Effizienz und Wirtschaftlichkeit gefordert werden, sie aber zugleich die Freiheit hat, die von ihr erwirtschafteten Mittel zu behalten und zu reinvestieren und nicht beim Finanzminister abzuliefern.