Kulturgenuss zu Hause

Wie eine Art Lagerfeuer

35:27 Minuten
Screenshot: Instagram @igorpianist von dem Pianisten Igor Levit.
Der Pianist Igor Levit gibt täglich Hauskonzerte auf Instagram und Twitter. © Instagram @igorpianist
Christoph Amend im Gespräch mit Frank Meyer |
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Bühnen, Museen, Clubs – sie alle sind in Coronazeiten geschlossen. Und doch blüht die Kultur – im Internet! Künstlerinnen, Künstler und Kreative versuchen, mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben. Und schaffen ein Gefühl von Gemeinschaft.
Das Onlineangebot an Kultur wächst Tag für Tag: Theater und Orchester streamen Aufführungen, Clubs die Auftritte ihrer DJs, es gibt eine große Auswahl an Wohnzimmerkonzerten, Podcasts und Lesungen "live aus der Küche" – und auch Zoos und Museen laden zu virtuellen Rundgängen ein.
Die ungeheure Vielfalt im Netz begeistere ihn, sagt Christoph Amend, Chefredakteur des "ZEITmagazins", und auch er wolle dazu beitragen. Seit drei Wochen gibt er den täglichen Newsletter "Was für ein Morgen!" mit Kulturempfehlungen heraus: "Ich mache ja schon seit zweieinhalb Jahren den Newsletter "Was für ein Tag!", erzählt er.
"Und als es los ging mit dem Lockdown, haben wir gedacht, wie können wir eigentlich mit unserem Newsletter eine Bühne schaffen, in Zeiten, in denen die Bühnen überall geschlossen sind? Und haben dann entschieden, jeden Morgen einen zusätzlichen Newsletter zu verschicken. Und zwar immer mit einem Gast, mit einer Schriftstellerin oder einem Musiker, die jetzt gerade eigentlich auftreten wollten – heute war es der junge Schriftsteller Benjamin Quaderer."
Das neue Forum biete Kunstschaffenden die Möglichkeit, mit ihrem Publikum in Kontakt zu treten, sagt Christoph Amend – eine Bereicherung für beide Seiten, die vielfach genutzt würde.

Vertrauen in öffentlich-rechtliches Informationsangebot

Reiche Auswahl im Netz gäbe es erfreulicherweise auch in Sachen Information – darunter viele unabhängige Medien, die ausschließlich online veröffentlichen. In Zusammenhang mit Faktensicherheit und Seriosität vertraut Christoph Amend in diesen Zeiten jedoch besonders auf öffentlich-rechtliche Berichterstattung.
"Ich bin sehr froh, dass wir so einen guten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland haben", sagt er. "Es ist gut, dass es einen solchen Journalismus gibt, der genau recherchiert. Und das sehen wir ja auch in den Reichweiten: Die Tagesschau hat zurzeit unglaublich hohe Einschaltquoten. Und das ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir merken, in der größten Krise, die wir alle bisher erleben, können wir auf Qualitätsmedien zurückgreifen."

Gemeinschaftsgefühl dank Igor Levit

Die rasant wachsende Kulturangebote im Netz wirken auf manchen mittlerweile schon erschlagend, einigen bereitet der Digitalisierungsschub sogar Stress. Das Gefühl, etwas zu verpassen – gut bekannt aus "normalen" Zeiten – kann sich angesichts der immensen Auswahl im Internet auch jetzt einstellen.
Christoph Amend plädiert hier für Gelassenheit. Man solle sich einfach heraussuchen, was einem gut tue: "Also zum Beispiel hat ja der Pianist Igor Levit angefangen, jeden Abend auf Twitter und Instagram ein Hauskonzert aus seiner Wohnung zu streamen. Der spielt eine halbe Stunde ein kleines Konzert. Und für mich ist das wie so eine Art Lagerfeuer mittlerweile – dass ich weiß, da sitzen jetzt ein paar Hunderttausend Menschen überall in Deutschland oder auf der Welt und hören zu. Und in den Live-Kommentaren schreiben die Menschen, die dabei sind: ‘Ich höre hier grade aus Kaiserslautern zu!‘"
Genau das erzeuge interessanterweise so etwas wie Gemeinschaftsgefühl. Und das sei wichtig in Zeiten, in denen wir uns nicht treffen können.

Kultur ist systemrelevant

Niemand kann erwarten, dass Kulturschaffende ihre Angebote im Netz gratis zur Verfügung stellen. Doch welche Verdienstmöglichkeiten gibt es für sie in Zeiten geschlossener Bühnen, Theater und Clubs? Unterstützung kann von den Nutzern kommen.
So kann man dem Lieblingsrestaurant treu bleiben, indem man dort Essen bestellt. Oder Kulturorte unterstützen: Kino- und Theater-Gutscheine für "die Zeit danach" kaufen, online bei der örtlichen Buchhandlung bestellen. Auch das Engagement von Unternehmen ist hilfreich. Firmensponsoring bei Onlineauftritten und Streamings von Kultureinrichtungen spült Geld in die leeren Kassen.
Doch entscheidend, sagt Christoph Amend, sei die Hilfe der Regierung: "Kultur ist systemrelevant. Und da sind schon auch die staatlichen Institutionen gefragt, jetzt Programme aufzulegen. Das gilt für die klassische Kultur, aber das gilt auch für die Alltagskultur: Jungen Restaurants und Bars zum Beispiel, die überall in Deutschland in den letzten Jahren aufgemacht haben und unser Alltagsleben so bereichern, muss geholfen werden."
Gut sei, dass die Förderprogramm für sie jetzt schnell anliefen, denn: "Wenn diese Restaurants und Bars erstmal weg sind, kommen die so schnell nicht wieder."

Mut zu neuen Wegen in der Netzkultur

Jede Krise hat auch ihre positiven Effekte: In Coronazeiten wird uns bewusst, wie wichtig "echte" Begegnungen sind und wie schwer sie durch digitale ersetzt werden können. Doch solange Kulturangebote nur im Netz zur Verfügung stünden, sei es wichtig, sie so lebendig wie möglich zu gestalten, sagt Christoph Amend:
"Langfristig kann es nicht die Lösung sein, alte Theateraufführungen von früher nochmal zu streamen. Das ist als erster Reflex gut, das machen ja auch manche Fernsehsender, die jetzt kein Live-Fußball zeigen können: Sie zeigen alte Fußballspiele, Klassiker. Für den ersten Moment ist das schön, aber im zweiten Schritt muss etwas Kreativeres entstehen."
So gehe etwa das Thalia Theater in Hamburg neue Wege, indem es angefangen habe, seine Proben zu "Ode an die Freiheit" zu filmen: "Man kann einen direkten Blick ins Theater werfen, in die Arbeit der Schauspielerinnen und Schauspieler. Das ist eine besonders kreative Idee, wie man diese Zeit überbrücken kann, ein gemeinsames Erlebnis, das uns in diesen Tagen grade so fehlt."
(tif)

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