Kocku von Stuckrad: "Geschichte der Astrologie: Von den Anfängen bis zur Gegenwart"
2. überarbeitete Auflage
C.H. Beck, München 2007
413 Seiten, 5 Euro
Das wissende Lächeln der Planeten
40:34 Minuten
Was verraten die Sterne über meinen Weg oder mein Wesen? Seit der Antike waren solche Fragen Teil der europäischen Kultur, sagt der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad. Die Trennung von Astrologie und Astronomie sei erstaunlich jung.
Der Blick in den Nachthimmel hat die menschliche Neugier auf unterschiedliche Weise beflügelt. Den Raum zwischen Sternen und Planeten zu vermessen und ihren Positionen und Bewegungen Bedeutung beizumessen, diese beiden Interessen gingen in der europäischen Kulturgeschichte lange Hand in Hand, sagt der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad: "Es war schon immer klar, dass die Sternenkunde einen rechnenden und einen deutenden Zweig hat."
Die zwei, drei Zeilen eines Horoskops in einer Tageszeitung oder Illustrieren vermitteln allerdings einen sehr verkürzten Eindruck von der Wissenstradition, die hinter solchen Deutungen steckt, betont von Stuckrad, der die Geschichte der Astrologie von ihren Anfängen bis heute aufgearbeitet hat.
Tortendiagramm der Tierkreiszeichen
Die Astrologie sei ursprünglich ein Teil der Naturphilosophie gewesen. Ihre Grundannahme: Zwischen dem, was im Kosmos geschieht, und den Ereignissen auf der Erde besteht ein Zusammenhang durch ein Geflecht von Kräften, die Einfluss auf das Leben jedes einzelnen Menschen nehmen. "Dieses Kräfteverhältnis wird abgelesen auf der Ebene der Planetenbewegungen", erklärt von Stuckrad.
Die Planeten seien, den meisten astrologischen Schulen zufolge, "nicht die Auslöser dieser Effekte", sondern zeigten Konstellationen von Kräften an, ähnlich "wie eine Tachonadel die Geschwindigkeit anzeigt". Um sie lesbar zu machen, teilten Astrologen den Nachthimmel in zwölf Sektoren mit einem Winkel von jeweils 30 Grad ein und ordneten jedem dieser Tortenstücke ein Tierkreiszeichen zu.
Eine besondere Rolle komme dabei den Planeten zu, erläutert von Stuckrad. Sie trügen die Namen antiker Gottheiten und würden mit deren Eigenschaften assoziiert. Ihre Stellung zueinander, bezogen auf Geburtsstunde und -ort, erlaube laut astrologischen Prinzipien Rückschlüsse auf charakterlichen Anlagen und auf äußere Einflüsse, die ein Menschenleben prägen.
Goethes glückliches Geburtshoroskop
Für Goethe gehörten Deutungen dieser Art noch selbstverständlich zum Nachdenken über den eigenen Lebensweg. Zu Beginn seiner Autobiografie "Dichtung und Wahrheit" schrieb er über den Tag seiner Geburt, den 28. August 1749: "Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig, Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig".
Anfang des 19. Jahrhunderts, als Goethes Lebensbericht erschien, sei die Astrologie in ihrer kulturellen Bedeutung noch sehr ernst genommen worden, sagt Kocku von Stuckrad. Vielen gebildeten Zeitgenossen sei sie durchaus plausibel erschienen. Goethe habe über detaillierte Kenntnisse der Sterndeutung verfügt, was an zahlreichen Textpassagen abzulesen sei – etwa, wenn er die Opposition zweier Planeten, denen entgegengesetzte Qualitäten zugeschrieben würden, recht milde als "lächelnde Erwiderung" bezeichne. "Heute würden Astrologinnen und Astrologen eher von 'Konflikt' sprechen", so von Stuckrad.
Erst mit der Ausformung der modernen Naturwissenschaften im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei eine tiefe Kluft zwischen der rechnenden und der deutenden Sternenkunde entstanden, der schließlich zur Abspaltung der Astrologie von der Astronomie geführt habe. Die kopernikanische Wende im 16. und 17. Jahrhundert, also die Erkenntnis, dass nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum der Planetenbahnen bildet, habe der Astrologie dagegen noch nichts anhaben können, erklärt von Stuckrad. Johannes Kepler, selbst Astronom und Astrologe, sei der Ansicht gewesen, dass astrologische Deutungen immer erdzentriert bleiben, weil die Menschen, auf die sie sich beziehen, schließlich hier im Mittelpunkt des Kräftegeschehens stehen.
Bezugssystem der Selbsteinordnung
Wie aber ist der jahrtausendealte Wissensbestand der Astrologie heute von der Warte des naturwissenschaftlichen Weltbilds aus zu beurteilen? Handelt es sich um eine Ansammlung von Irrlehren, die im Zuge des Erkenntnisfortschritts obsolet geworden sind? Kocku von Stuckrad sieht eher zwei grundverschiedene Wissensmodelle vorliegen, die "sehr schwer aufeinander übertragbar sind".
Wenn etwa Astrologen über Jahrtausende hinweg beobachteten, dass die Bewegungen des nach dem antiken Kriegsgott benannten Planeten Mars mit einer Häufung von Kriegen und Konflikten auf der Erde einhergingen, dann sei es unmöglich, diesen Zusammenhang von heute aus zu widerlegen, so von Stuckrad, ebenso unmöglich sei es aber auch, ihn zu bestätigen, geschweige denn zu begründen. "Der Versuch, die Astrologie quantitativ zu testen, mit Hilfe von sozialwissenschaftlichen oder gar naturwissenschaftlichen Methoden, ist zum Scheitern verurteilt."
Vielen Menschen erscheine die Astrologie trotzdem auch heute noch relevant und plausibel, sagt Kocku von Stuckrad. Zwischen 20 und 50 Prozent der Befragten äußerten sich in diesem Sinne bei Erhebungen in Großbritannien, die Zahlen in anderen europäischen Ländern seien ähnlich. Und tatsächlich könne eine astrologische Beratung, unabhängig von der Autorität, die wir ihr zuschreiben, einen positiven Beitrag zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation leisten – dann nämlich, wenn sie zum Anlass dafür werde, nach den biografischen Entsprechungen einer Planetenkonstellation zu fragen, so dass ganz reale aber bisher vielleicht zu wenig beachtete und bedachte Gefühlslagen, Verhaltensmuster, Beziehungen und Konflikte zum Gegenstand einer fruchtbaren Auseinandersetzung werden.
(fka)
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