Kulturgeschichte der Göttinnen

Von Aphrodite bis Maria

Die Aphrodite von Soloi aus dem ersten Jahrhundert vor Christus im zypriotischen archäologischen Museum in Nikosia auf Zypern
Die Aphrodite von Soloi aus dem ersten Jahrhundert vor Christus im zypriotischen archäologischen Museum in Nikosia auf Zypern © picture alliance / ZB
Von Antje Stiebitz |
In seinem Buch "Die großen Göttinnen" schaut Gerhard Armanskis weit zurück in die Religionsgeschichte. Der Autor stellt die Göttinnen Ägyptens und Griechenlands als mächtige Frauenbilder vor, die sogar das christliche Bild der Mutter Gottes - Maria - beeinflusst haben.
"Der Mythos der großen Göttinnen, das ist die andere tiefere Wahrheit der Geschichte, die so ins kollektive Unterbewusstsein eingedrungen ist. Insbesondere der verdrängten weiblichen Urkraft. Das ist besonders aktuell jetzt: nach dem Siegeszug des Patriarchats ist ja jetzt eine Weltsekunde angebrochen, in der dieses Patriarchat hinterfragt wird. Und die weibliche Urkraft stellt ein Gegengewicht der Daseinsfreude und der Liebe und der Schönheit gegen männlich kriegerische Prägungen dar. Das ist ein Repräsentanz menschlicher und göttlicher Lebenskraft, jenseits des dominanten westlichen Rationalismus."
Gerhard Armanski hat über die großen Göttinnen ein Buch geschrieben. Der Geschichtswissenschaftler stolpert bei einer Kreuzfahrt über die griechische Göttin Aphrodite und entscheidet beim Anlaufen von Zypern, die großen Göttinnen unter die Lupe zu nehmen. Viele Bücher wurden bereits über die Göttin geschrieben, aber zwei Gesichtspunkte fehlten dem Autoren: Die Widersprüchlichkeit der Göttin sei bislang nicht ausreichend thematisiert worden und außerdem mangele es an einem religionsgeschichtlichen Herkunftsstrang.
Deshalb zeichnet er mit seinem Buch "Die großen Göttinnen" eine historische Verbindungslinie von der ägyptischen Göttin Isis und der griechischen Aphrodite, zur römischen Venus bis zur christlichen Maria. Erklärt, wie die Göttinnen aufeinander einwirken und Wesensmerkmale voneinander übernehmen. Der historische Längsschnitt spiegelt seinen Standpunkt, dass Kulturen Ströme bilden und sich ineinander verschlingen. Die Göttinnen, so Armanski, schickten einen Wärmestrom durch die Geschichte. Die Quelle des Stroms liegt in Ägypten.
Leidenschaftlich und empfindungsfähig
Die Göttin Isis nimmt in der ägyptischen Mythologie eine überragende Position ein. Eine zierliche Gestalt, stehend oder kniend. Manchmal mit den weiten Schwingen des Schwarzmilans, mit Kuhhörnern oder der Sonnenscheibe auf dem Kopf dargestellt. Sie ist zugleich Schwester und Gattin des Gottes Osiris, Mutter des Horus und auch des Königs, sie gilt als die "Zauberreiche" und bietet den Verstorbenen Schutz. Und sie verkörpert ein Wesensmerkmal, das allen ägyptischen Göttern eigen ist: einen Polytheismus, der Götter bestimmten Bereichen zuordnet, der aber auch Hochgötter kennt und sogar einen ewigen Urgott. Der Geschichtswissenschaftler Armanski erklärt das so:
"Diese vielen Götter, Bereichs- und Hochgötter, die überlagern und beeinflussen sich vielfältig in einer höchst verwirrenden Weise, gehen aber nicht ineinander auf. Als Beispiel nehme ich etwa Isis natürlich, die dann verschmilzt - aber verschmilzt kann man eben nicht sagen - sich verbindet mit Hathor, einer Göttin der Liebe, die lange Zeit als Kuh dargestellt wurde. Und jetzt passiert folgendes, dass die Eigenschaften der jeweiligen Göttinnen ineinander verfließen und zwar im Sinne einer Einwohnung. Wobei man denken muss, dass die ägyptische Denkweise ganz anders war als unsere heutige, nämlich sehr assoziativ, Dinge und Götter anlagernd. Sich anlagernd und in unserem Sinne alogisch, sondern eben zusammenfügend."
Isis lagert Hathor, Sachmet, Bastet oder Maat an, sie gilt als Magna Mater, als Große Mutter. Ihr Kult findet auch in Griechenland Anklang und Isis verbindet sich mit Aphrodite. Hier wandelt sich das Bild: Den Leser erwartet ein opulentes Kapitel.
Aphrodite verkörpert die Macht der Anziehung und Liebe. Leidenschaftlich und empfindungsfähig, beseelt sie. Aber steht gleichzeitig für die verzehrende Libido, führt ins Verderben und steigt sogar als Todesgöttin hinab in die Unterwelt.
"Die Bedrohlichkeit der Aphrodite liegt darin, dass sie eine Unbedingtheit der Liebe als kosmisches Prinzip verkörpert, das unausweichlich ist und immer wieder in Hass umschlagen kann. Die Göttin Aphrodite ist die Göttin der fließenden Grenzen und ist wohltätig und zerstörerisch zugleich. Die zwei Gesichter der Aphrodite, das ist etwas Bedrohliches, was verdrängt werden musste und verdrängt wurde."
Die römische Venus, kaum von der hellenistischen Aphrodite verschieden, teilt auch noch deren dunkle Charakterzüge, allerdings schon leicht abgeschwächt. Erst das Christentum formte etwa ab dem 4. Jahrhundert aus der in der Spätantike allgegenwärtigen Magna Mater, eine bereinigte, karge Version.
Den Autor begeistert die "weiblich-göttliche Potenz"
Auf die Gestalt der Madonna wirkt vor allen Dingen die ägyptische Isis. Maria absorbiert von Isis die Tugenden der Enthaltsamkeit, des Gehorsams und der Gnade. Die Darstellung der Isis, wie sie ihren Sohn Horus säugt, dient als Vorlage für Maria als Mutter Jesu. Allerdings kommt der Mutter Maria die entscheidende Eigenschaft der Isis abhanden: Sie ist keine eigenständige große Göttin mehr und definiert sich nur noch über ihren Sohn. Sie bringt Göttliches auf die Welt, verliert selbst aber ihren göttlichen Status.
Dennoch: Den Archetypus der Aphrodite und Venus bezwingt auch die kirchliche Moral nicht. In der Epoche des Barock und Rokoko lebt die Göttin in der Literatur und den bildenden Künsten auf. Dieses "Aufglimmen" der antiken Göttin zeichnet Armanski, sorgfältig nach. Manchmal ein wenig umständlich, wissenschaftlich-trocken.
In der Kunstgeschichte, so Armanski, konzentriere sich, was sich in der Kulturgeschichte der Göttin angesammelt habe: Weiblich-göttliche Potenz. Diese Potenz begeistert ihn nicht nur, sie fehlt ihm auch in unserer Gesellschaft:
"In unserer Gesellschaft herrscht ja nach wie vor die berühmte Aufspaltung in die Heilige und die Hure vor. Die es in dieser Form im Bereich der großen Göttinnen nicht gab. Insoweit ist es durchaus ein Wärmestrom, der sich gegenüber den Kältestrom der herrschenden sozialen Verhältnisse wendet. Und das finde ich außerordentlich befreiend. Für mich in meiner individuellen Erfahrung war auch befreiend die Erkenntnis, der außerordentlichen Widersprüchlichkeit der Liebe."
Ob momentan tatsächlich, wie Armanski behauptet, "die Weltsekunde des Weiblichen" anbricht, sei dahingestellt. Die Begegnung mit dem Reichtum weiblich-göttlicher Facetten allerdings bringt eine vergnügte Lesezeit.

Gerhard Armanski: Die großen Göttinnen – Isis (und Maria), Aphrodite, Venus
Verlag Königshausen und Neumann 2013
200 S., 19,80 Euro

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