Kulturgeschichte des Fahrstuhls

Auf und ab

Von Eva Förster |
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Hier begegnen sich wildfremde Menschen auf engstem Raum, die Haare werden noch mal im Spiegel gerichtet oder es werden kurz Zärtlichkeiten ausgetauscht. Der Fahrstuhl hat die Welt verändert.
Er war eine Augenweide aus Samt und Messing, mit Lampen und Polsterbänken. Im 19. Jahrhundert, seiner Entstehungszeit.
"Das ist interessant, wie sehr sich das Interieur des Fahrstuhls geändert hat und wenn man, sagen wir mal, in so eine alteuropäische Stadt kommt wie Wien oder Lissabon, sieht man ja manchmal noch diese alten Fahrstühle mit Teppichen und Lüster und Sofa und vieles kann man auf die soziale Eingewöhnungsphase des Fahrstuhls schieben, weil zu Beginn, sagen wir zwischen 1860 und 1900, musste der Fahrstuhl wie ein Raum konzipiert werden, um den Menschen die Scheu davor zu nehmen, und wenn man sich hinsetzen konnte und es schön eingerichtet war wie ein Wohnzimmer, war das ein Raum, der seinen Schrecken ein bisschen verloren hat…"
Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard ist Autor eines unterhaltsam- informativen Buches über den Fahrstuhl, "einen beweglichen Ort der Moderne", wie er ihn nennt.
"Ich lächelte viel, … sagte: 'Watch your step!', was ganz unnötig war, denn höchstens am ersten Tag war ich hie und da uneben gelandet, dann verursachte ich niemals eine Stufe mehr, vor der ich zu warnen gehabt hätte, oder glich sie doch sofort vollkommen aus. Älteren Damen legte ich leicht die Hand zur Stütze unter den Ellbogen beim Aussteigen, als ob es mit diesem irgendwelche Schwierigkeiten gehabt hätte, und empfing den leicht verwirrten, zuweilen auch melancholisch-koketten Dankesblick, mit dem das Abgelebte die Galanterie der Jugend quittierte."
So beschreibt Felix Krull in Thomas Manns 1910 bis 1913 geschriebenen und unvollendet gebliebenen Roman "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull", sein Handwerk. Felix Krull ist ein typischer Vertreter des meist adoleszenten Liftboys mit seinem schräg auf dem Kopf sitzenden Pillboxhut und der schicken Livree mit Litzenbesatz.

Der Liftboy – der Alles-Seher

"Der Liftboy ist eine Figur in Bewegung zwischen oben und unten, also die Figur im Hotel, die alle sozialen Schichte miteinander in Beziehung setzt. Der Liftboy ist Personal, wird von den Gästen kaum wahrgenommen, ist wie ein Möbelstück. Der Liftboy kann Dinge sehen, die eigentlich verborgen bleiben sollen, bis zu: Wer geht mit wem aufs Zimmer."
Tim Loerke, Literaturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Der diskrete Liftboy wird zu einer Art Priester in einem in der Vertikalen sich bewegenden Beichtstuhl. Bis er mit der Erfindung des elektrischen Druckknopfes am Ende des 19. Jahrhunderts überflüssig wird.
Bernard: "Das hat mich am Fahrstuhl von Anfang an fasziniert, dass man sagen kann, im urbanen Kontext ist es wahrscheinlich ein Ort, an dem Anonymität und Intimität auf unvergleichliche Weise kreuzt."

Heute ist der Aufzug, der mit zunehmender Demokratisierung immer hässlicher wurde, ein Ort, der Verwandlung erlaubt. Jeder Mensch kann sich dort zeigen, wie er gern sein möchte, kann sich, wenn er mag, völlig neu erfinden.
Loerke: "Für die deutsche Literatur haben Sie genau die drei Schriftsteller genannt, bei denen Liftboys eine Rolle spielen: Joseph Roth, Thomas Mann und Franz Kafka. Der Unterschied ist: Bei Kafka ist es ein Blick auf soziale Verhältnisse in den USA, bei Roth und Mann wird mit der Figur des Liftboys auf ganz andere Weise gespielt. Also da gibt es die Idee, dass Hotels an sich transitorische Räume sind und dass Identitäten in Hotels sich verflüssigen, also, dass man sich in einem Hotel selbst ausprobiert, eine andere Person darstellen kann, mit der eigenen Identität spielen kann, und das ist etwas, das sowohl Roth als auch Mann aufgreifen."
"Er hatte auch die Möglichkeit, durch Ziehen an einem durch den Aufzugkasten hindurchgehenden Drahtseil die gewöhnliche Schnelligkeit zu steigern, allerdings war dies durch die Aufzugsordnung verboten und sollte auch gefährlich sein."
Der junge Karl Rossmann wandert in die USA aus, um dort sein Glück zu machen. Er ist die Hauptfigur in Franz Kafkas unvollendetem Roman "Der Verschollene".
"Hätten Sie zum Beispiel Lust, Liftjunge zu werden? Sagen Sie nur ja und Sie sind es. Wenn Sie ein bisschen herumgekommen sind, werden Sie wissen, dass es nicht besonders leicht ist, solche Stellen zu bekommen, denn sie sind der beste Anfang, den man sich denken kann. Sie kommen mit allen Gästen zusammen, man sieht Sie immer, man gibt Ihnen kleine Aufträge; kurz, Sie haben jeden Tag die Möglichkeit, zu etwas Besserem zu gelangen."
Die Oberköchin Grete Mitzelbach im Hotel "Occidental" aus Kafkas Roman sagt etwas so Einfaches wie Wichtiges: Der Lift als Arbeitsort ist oft eine Durchgangsstation in der Karriere junger Männer gewesen.
Ein Otis-Fahrstuhl mit Liftboy in einem Bürogebäude 1897 in New York. Männer sitzen in einem Lift.
Ein Otis-Fahrstuhl mit Liftboy in einem Bürogebäude 1897 in New York© imago/United Archives International

Der Lift wird zu einem unbehaglichen Ort

Er spricht! Heutzutage teilen einige Aufzüge dem Nutzer freundlich mit, wo er sich befindet. Doch nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass der moderne Aufzug zu oft ein unbehaglicher Ort ist. Der verschwundene Liftboy taucht heute – wenn überhaupt – als "Aufzugführer" wieder auf. Sven Thumm, der 30 Jahre lang Koch in dem Kugelrestaurant im Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz war, begleitet nun Touristen und Einheimische während ihrer Fahrt zur Aussichtsplattform.
Thumm: "So, von oben haben wir den Blick ins Innere vom Turm, …40 Sekunden haben wir Fahrzeit, sechs Meter pro Sekunde ist die Geschwindigkeit, wir sind jetzt 203 Meter hoch. Die Spitze ist bei 368 Metern."
Der Turm war im Jahr seiner Fertigstellung, 1969, der zweithöchste Fernsehturm der Welt. Und an dieser Stelle wird sehr deutlich, was sich seit den Anfangszeiten des Aufzuges getan hat:
Bernard: "Es ist eine Frage der Dauer, die man in diesen Fahrstühlen verbracht hat, denn man darf ja nicht vergessen, wie langsam diese Fahrstühle fuhren. Ein Meter pro Sekunde."
Und in dieser Zeit sollte sich der von der Geschwindigkeit irritierte Mitfahrende so behaglich wie möglich fühlen. Also konnte der Gast am Ende des 19. Jahrhunderts davon ausgehen, dass die Einrichtung der Kabine durchaus mit der seiner Wohnung mithalten konnte.
Bevor das Innere der Wohnhäuser und die sozialen Strukturen der Gesellschaft durch die Erfindung des Fahrstuhls verändert wurden, ist derselbe vor allem ein wesentliches Charakteristikum des Hotels, das einer der transitorischen Orte ist, ebenso wie das Einkaufszentrum, das Café, der Tankstellenshop oder das Parkhaus.
"Das Juwel eines vornehmen Hotels ist das Vestibul. Das Juwel eines Vestibuls aber wird beim modernen Hotel einzig und allein durch den Aufzug gebildet."
Kann man im Jahr 1896 in den Mitteilungen der Luzerner Aufzügefabrik Schindler & Co. lesen.
Auf die Frage: "Wie geht es Dir?" hört man gern einmal: "Ach, so auf- und ab." Der Fahrstuhl als Gleichnis für das Leben wird nur noch übertroffen vom türlosen Paternoster, in den man hineinspringt, aus dem man herausspringt. Der Paternoster, übersetzt: Vaterunser, der Pausen-los fährt, wie der Rosenkranz des Betenden wieder und wieder durch die Hand gleitet. Mal geht es nach oben, mal nach unten im Dasein, mal lässt man neue Menschen zusteigen, mal fordert man andere auf, sein Leben zu verlassen.
"Jeden Morgen, wenn er das Funkhaus betreten hatte, unterzog sich Murke einer existenziellen Turnübung: Er sprang in den Paternosteraufzug, stieg aber nicht im zweiten Stockwerk, wo sein Büro lag, aus, sondern ließ sich höher tragen, am dritten, am vierten, am fünften Stockwerk vorbei, und jedesmal befiel ihn Angst, wenn die Plattform der Aufzugkabine sich über den Flur des fünften Stockwerks hinweg erhob, die Kabine sich knirschend in den Leerraum schob, wo geölte Stangen, ächzendes Eisenwerk die Kabine aus der Aufwärts- und Abwärtsrichtung schoben, und Murke starrte voller Angst auf diese einzige unverputzte Stelle des Funkhauses …"
Die Hauptfigur aus Heinrich Bölls Erzählung "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen", nutzt die Fahrt mit dem Paternoster, im Volksmund auch "Beamtenbagger" genannt, als zeitlich-räumliche Schleuse zwischen seinem privaten Morgen und seinem offiziellen Arbeitstag.


Eine launige Anekdote mit der Schriftstellerin Anna Seghers beschreibt Armin Roscher in seinem Buch "Mit einer Flügeltür ins Freie fliegen".
"Die Sekretärin war zum Paternoster geeilt, der pausenlos durch die Stockwerke des Bürohauses rumpelte, in dessen unteren Etagen der Deutsche Schriftstellerverband seine Büros hatte; unsere Redaktion arbeitete in den Räumen des Dachgeschosses. Aber die Präsidentin hatte nicht das Fuhrwerk genutzt, sondern war die Treppe heraufgekommen und sagte, kaum, dass sie sich verschnauft hatte: ´Duuu horchemol, ich fürchte immer oben den Ausstieg zu verpassen und kopfstehend wieder runterzukommen.`"

Langsamer, im Aufstiegstempo, in dem man zu Fuß nach oben oder unten steigt, geht das sich Einstellen auf einen neuen Raum. Juliane Zach, Dozentin für Architektur an der Universität der Künste Berlin, würde, selbst wenn ein gestalterisch hochwertiger Aufzug zur Auswahl stünde,…
"…immer die Treppe nehmen, ich würde natürlich versuchen, dass der Ankommende mit dem Aufzug aus der Tiefgarage den gleichen Weg nimmt wie der Passant, der zu Fuß kommt, das heißt, dass er nicht plötzlich wie der Benutzer der Tiefgarage wie ein Maulwurf im Inneren des Gebäudes ankommt und gar nicht dieses Prozedere des Ankommens erlebt."
Annegret Wolfram, die aus einer Hoteldynastie kommt und jetzt Literaturseminare organisiert, schwärmt:
"Ein großartiges Treppenhaus, wenn Sie in die alten Badehotels gehen, die noch so aus Gusseisen die Muster haben unter dem Handlauf, das ist natürlich ein Auftritt, wenn Sie da runtermarschieren oder – schweben. Da macht man ja Modenschauen in diesen Räumen, man setzt in die Halle 50 Leute und lässt die Models zu Fuß runterkommen und mit dem Fahrstuhl wieder rauffahren. Und dann haben sie den neuen Auftritt, das ist irre!"


Schon im alten Ägypten gab es Lastenheber für die riesigen Steinquader, die es beim Bau der Pyramiden aufeinanderzuschichten galt. Auch im Bergbau spielen seit jeher Fördersysteme eine große Rolle. Mahlzeiten gelangten in Speiseaufzügen, wie man sie in Herculaneum ausgrub, zu den Gästen.
Eine besondere Fracht trugen Aufzüge im alten Rom: Gladiatoren und wilde Tiere wurden mit ihnen in die Arena transportiert. Bemerkenswert ist eine Erfindung, die in Jena gemacht wurde. Einen "fliegenden Stuhl", wie man in der Barockzeit derartige Personenaufzüge nannte, hatte der Gelehrte Erhard Weigel vermutlich bereits in den 1650er-Jahren im Kollegiengebäude der Jenaer Universität eingebaut.
Der Paternoster im Stuttgarter Rathaus.
Der Paternoster bedient schon immer wilde Fantasien. Vor allem, dass er oben "umkippt" und man auf den Kopf fällt.© imago/ Lichtgut
Erfinder Elisha Graves Otis demonstriert 1854 in New York sein Patent für einen Lastenfahrstuhl.
Erfinder Elisha Graves Otis präsentiert 1854 in New York sein Patent für einen Lastenfahrstuhl.© picture alliance / dpa / Everett Collection
100 Jahre später ließ Ludwig XV. an der Außenseite des Versailler Schlosses seine Mätressen hinauffahren.
"Alles sicher, meine Herren!"
Rief der bekannte Fahrstuhlbauer Elisha Graves Otis im Jahr 1853. Er führte im Crystal Palace in New York erstmalig seinen absturzsicheren Lift vor. Bei dieser aufsehenerregenden Veranstaltung ließ Otis das Halteseil bei voller Fahrt kappen. Das Experiment, bahnbrechend für die Geschichte des Aufzuges, glückte, hinterließ aber seltsamerweise kaum Spuren in der Presse. In Amerika vollzog sich im Gegensatz zu Europa der Siegeszug des Aufzuges in rasender Geschwindigkeit.
Für diese Tatsache gab es einen einfachen Grund. In Europa standen viele mehrgeschossige Gebäude, die ohne Fahrstühle existierten. Ärmere Leute lebten unter oft prekären hygienischen Verhältnissen in den oberen Stockwerken, wohingegen die Herrschaften die Beletage bewohnten. In Amerika gab es bis zur Einführung des Aufzuges nur kleine, zweigeschossige Häuser, in denen man keinen Fahrstuhl brauchte. Erst nach der Erfindung des Aufzuges wurden Wolkenkratzer gebaut, die den Roofgarden und das Penthouse zu den wertigeren Orten machten und damit die soziale Schichtung umkehrten.
Bernard: "Das Interessante ist, dass man schon mit einiger Bestimmtheit sagen kann, dass der Fahrstuhl an dem psychiatrischen Auftauchen der Klaustrophobie seinen Anteil hatte. In der Psychiatriegeschichte entstehen ja diese Raumphobien gleichzeitig, werden gleichzeitig beschrieben, um 1870."

Hysterie im Fahrstuhl

Wie bei der Erfindung der Eisenbahn, bei der die Geschwindigkeit die Passagiere in Hysterie versetzte, war auch die Fahrt mit dem Lift eine Herausforderung für die Insassen. Drollige Lösungsversuche wurden empfohlen, wie zum Beispiel das Sich-mit-dem-Rücken-an-die-Kabinenwand-Pressen.
Bernard: "Am interessantesten ist, zu sehen, wie diese Apparatur als Fremdkörper empfunden wurde. Was ist das für ein Ding, das uns da durch die Vertikale schießt und uns mit Leuten zusammentut, die wir nicht kennen auf engstem Raum. In diesem Zusammenhang hat sich dann ein Krankheitsbild entwickelt, das man 'elevator sickness' nannte und von dem viele Leute befallen waren. Es wurde physiologisch so beschrieben, dass, gerade, wenn man runterfährt, Geschwindigkeit und Gegendruck zu Irritationen des Rückenmarks führen können."
Koth: "Ganz typische Symptome sind Schwitzen, Herzklopfen, Engegefühl im Brustbereich, auch die Angst, verrückt zu werden oder auch die Angst, dass alles nicht mehr normal ist, es gibt so ein Gefühl von: Derealisation nennt sich das. Und die Patienten, die zu mir kommen, beschreiben: Ich habe Angst zu sterben, zum Beispiel auch, oder: Ich habe Angst, umzukippen."
Weiß die in Berlin praktizierende Psychotherapeutin Susanne Koth. Das Mittel der Wahl zur Bewältigung der Klaustrophobie ist die Konfrontationstherapie, bei der der Therapeut mit dem Patienten Fahrstuhl fährt.
Sven Thumm im Berliner Fernsehturm kennt sich in der Materie aus: "Wenn eener Angst hat im Aufzuch, mal die Hand halten oder die Oma umarmen…det macht schon Spaß."
Der Erfinder der Psychoanalyse, der Österreicher Sigmund Freud, beschrieb die Erkrankung mit dem Arzt Josef Breuer im Jahr 1895 in den "Studien der Hysterie". Darin erwähnt er Phobien als Ängste mit situativen Auslösern, wie zum Beispiel Fahrstuhlfahrten. So gab es den Fall einer Frau, die nicht mit dem Aufzug nach unten fahren konnte. Dabei, weiß Literaturwissenschaftler Tim Loerke zu berichten…
"Da muss man zunächst einmal sagen, dass, als die Lifts in den Hotels aufkamen, Frauen als besonders erotisch anfällig für das Fahren mit dem Lift galten – oder man dachte, Frauen seien besonders dafür anfällig."


Dennoch spielen Frauen als Elevatorgirls in der Literatur und im Film eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme ist Shirley McLaine in Billy Wilders pikanter Komödie: "Das Appartement" mit Jack Lemmon als Filmpartner. Als Fräulein Kubelik bedient sie den Druckknopf mit weißen Handschuhen und stellt den unnahbaren Traum aller männlichen Angestellten dar.
Shirley Maclaine als Fran Kubelik im Film The Apartment USA 1960.  Ein Mann betritt den  Fahrstuhl und Shirley McLain lächelt ihn als Fahrstuhlfhrerin in Uniform freundlich an.
Filmgeschichte hat der Aufzug ebenfalls geschrieben, unter anderem mit Shirley Maclaine in "The Apartment" (USA 1960).© imago/Mary Evans

Die große Angst vor dem Steckenbleiben

Die Angst vor dem Steckenbleiben wird in den Medien gern bedient und immer wird dabei maßlos übertrieben. In der Realität gilt der Aufzug als ein sicheres Transportmittel. Sollte es tatsächlich einmal zum Steckenbleiben kommen, wird das Problem in durchschnittlich 20 Minuten behoben.
Thumm: "Wenn‘s wirklich mal so sein sollte, dass der hängen bleibt, dann muss ein Fahrstuhlführer mit dabei sein, der die Leute beruhigt, der den Leuten klarmacht, dass es nicht gefährlich ist, dass es einfach nur bisschen blöd wird, weil es eben warm wird, wenn wir wirklich mal nen vollen Aufzug haben oder den Leuten och erzählen, was dann los ist."
Ob er als "Fahrstuhl des Grauens" Gliedmaßen abtrennt, ungebremst in die Tiefe rast oder zwischen den Etagen stecken bleibt – Filmemacher spielen mit Urängsten. Hinzu kommt: Einen Film in der Enge einer Fahrstuhlkabine zu drehen, ist eine formale Herausforderung.


Berühmtestes Beispiel für das Thema Steckenbleiben ist der Film "Fahrstuhl zum Schafott" von Louis Malle. Während der Hauptdarsteller im Lift eingeschlossen ist, geht das Leben weiter; leider auch seines in Abwesenheit. Die Dinge wandeln sich für ihn zum Negativen, obwohl er nicht handelt. Im Film "Abwärts" mit Götz George aus dem Jahr 1984 kondensiert in der Enge des stecken gebliebenen Fahrstuhls die Beziehung zwischen vier Menschen. Zwei Männer beginnen, sich bis aufs Blut um die anwesende Frau zu streiten. Angesichts der Todesgefahr zeigen sich die Gefühle auf extreme Weise.
Thumm: "Ich hab´s wirklich schon gehabt, wir haben hier ne Stunde festgehangen, na, ich hab den Leuten so erzählt von der Geschichte,…und hab ihnen so erzählt über meinen Werdegang hier im Turm und die Leute waren total begeistert, und der Monteur kam und da hat sich eine Frau aufgeregt und gesagt, der Monteur kam zu früh, weil ich noch nicht aufgehört hatte zu erzählen."
Innerhalb von 72 Stunden fahren alle sechs Milliarden Menschen der Erde einmal mit dem Fahrstuhl. Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt ihn treffend einen "Ort ohne Selbst". Ein Ort, der die Passanten nicht hält.
Blick in einen Fahrstuhlschacht in New York.
Die Angst vor dem Absturz fährt bei vielen Menschen mit.© The New York Times/ Redux/ laif/ Mark Wickens

Verranzt und öde

"Der Fahrstuhl am Westkreuz riecht noch immer nach Pisse und du weißt nicht, wie sehr ich Dich vermisse."
Nicht-Orte, wie der Anthropologe Marc Augé sie nennt, sind oft gestalterische Nullnummern. Verranzt und öde, verursachen sie beim Passanten Unwohlsein. Wie kann der Architekt Abhilfe schaffen? Wie Räume kreieren, in denen man sich nicht verunsichert fühlt?
"Ich glaube schon, dass man sich als Entwerfer sich überlegen muss: Was ist das für ein Aufzug, wie groß ist er, wie hell ist er, wie wohl fühle ich mich darin, kann ich eben noch einmal in einen Spiegel schauen, sehe ich so aus, wie ich es mir wünsche, das ist ja heute für uns alle ein ganz wichtiges Thema, wie wirke ich und von daher ist natürlich wirklich die Belichtung, die Materialität ist ein ganz wichtiger Punkt in diesem Aufzug."
Für die Architektin Juliane Zach ist der Spiegel im Aufzug mehr als ein Accessoire. Im Spiegel kann man sich noch einmal ansehen, überprüfen, ob die Haare sitzen, ob die Schminke tadellos aufgelegt ist.
"Er sollte also möglichst hell sein, möglichst klar sein, ganz präzise Materialien und sehr wertige Materialien in der Innenverkleidung haben, und ich glaube eben wirklich, ein Spiegel ist ein ganz wichtiger Punkt in unserer Gesellschaft."
Die erste Anregung, die Andreas Bernard dazu brachte, ein Buch über den Aufzug zu schreiben, war die Tatsache, dass die Werbung oft in Aufzügen spielt.
"Dass es immer eine bestimmte Gruppe von Produkten war, nämlich eher Produkte, die in intimem Zusammenhang eine Rolle spielen, also Schuppenshampoo oder Waschmittel oder Strumpfhosen oder Hustenbonbons und dann wurde klar, dass diese enge, hermetische Struktur des Fahrstuhls so eine Art Versuchslabor für die Wirkung von Produkten ist."
Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machten Soziologen und Sozialpsychologen Versuche zum Verhalten von Fahrstuhlnutzern: Die Intimdistanz zwischen Menschen beträgt ungefähr 45 Zentimeter. Die gesellschaftliche Distanzzone beträgt ein bis zwei Meter. Man kann mit Sicherheit sagen, dass diese Entfernungen im Fahrstuhl unterschritten werden und es zu massiven Beeinträchtigungen des Wohlbefindens kommt.
Unter der Enge leidend, schaut der Liftfahrer gelegentlich auf seine Fingernägel, vermeidet Augenkontakt. Wenige Hasardeure, die auch sonst extrovertiert sind, versuchen, mit einem kessen Allgemeinplatz die Anonymität zu durchbrechen. Die Kognitionswissenschaftlerin Rebekah Rousi beobachtete, dass Alter, Geschlecht und Beruf darüber entscheiden, wohin sich Menschen im Aufzug stellen. So beobachtete sie, dass betagtere, erfolgreiche Männer meist an der Aufzugwand lehnen. Jüngere würden sich in die Mitte drängeln und Frauen stellen sich vor die Tür.

Beruflicher Auf- und Abstieg im Fahrstuhl

Der Elevator Pitch geht auf eine Idee amerikanischer Vertriebler zurück. Er hatte zum Ziel, seinen Vorgesetzten während einer gemeinsamen Aufzugfahrt für eine Idee einzunehmen. Auch wenn diese Variante des beruflichen Aufstieges nicht mehr unbedingt im Lift stattfindet, ist der Elevator Pitch doch immer noch gebräuchlich.
Der Fahrstuhl hält im vierten Stock, während Herr Schmidt im dritten Stock steht. Nicht nur das, im zehnten Stock stehen Frau Müller und ihre Kollegin, ungeduldig auf den Fahrstuhl wartend, der sie in die Kantine ins Erdgeschoss bringen soll. Hier kommt die Wissenschaft ins Spiel. Das System von An- und Abfahrt ist schon lange zu einem Problem der praktischen Mathematik geworden.
Der Mathematiker Jörg Rambau von der Universität Bayreuth schreibt: "Eine Steuerung so zu entwerfen, dass alle Fahrgäste ohne Verzögerung transportiert werden können, ist nahezu unmöglich."
Eine Variante, so viele Menschen wie möglich zu transportieren, ist die Sammelsteuerung, bei der die Fahrgäste, die auf dem Weg nach unten sind, von oben eingesammelt werden und umgekehrt.
Thumm: "Bei Wind fahren wir etwas langsamer, der Turm bewegt sich, das ist völlig normal, statisch muss das so sein, an der Spitze 60 cm, wenn das passiert, dann schwingen die Seile vom Aufzug mit, wenn die zu doll mitschwingen, bleiben die Aufzüge stehen, deshalb fahren wir ja langsamer. Und da bleibt das Ganze auch sicher."
Auch beim Eiffelturm, der im Jahr 1889 fertiggestellt wurde und nur 44 Meter niedriger als der Berliner Fernsehturm ist, musste der Ingenieur Gustave Eiffel den Wind einrechnen. Ein Detail, an das die wenigsten denken.
Die Fahrstuhlmusik, in Amerika erfunden, dudelte einst mit 70 Beats pro Minute. Damit ähnelte sie dem menschlichen Puls und diente dazu, den Mitfahrer in eine behagliche Stimmung zu versetzen. Diese Musik prägte bis vor Kurzem die Fahrt im Lift. Nun ist sie wie der Liftboy und das Elevator Girl fast ganz verschwunden. Musikvideos allerdings werden gern im Aufzug gedreht. Auch wird die Aufzugskabine als Mini-Ausstellungsraum genutzt, werden Interviewreihen im Fahrstuhl gemacht. Es geht um Reduktion, um die Konzentration auf das Wesentliche. Im Berliner Funkhaus des Deutschlandradios hören die Fahrstuhlnutzer eines der gerade laufenden Deutschlandradioprogramme.
Man mag es kaum glauben, aber schon im Jahr 1895 dachte der russische Weltraumpionier Konstantin Ziolkowski – angeregt vom Eiffelturm – an einen 35.786 Kilometer hohen Turm in den Weltraum. Seitdem tüfteln Wissenschaftler an Modellen für einen Space Elevator.
Die Erstausstrahlung des Features war am 8. Januar 2020.

Autorin: Eva Förster
Es sprechen:
Cornelia Schönwald und Laurenz Laufenberg
Ton: Hermann Leppich
Regie: Clarisse Cossais
Redaktion: Winfried Sträter

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