Jedes Zeitalter bringt sein eigenes Bett hervor
10:56 Minuten
Die Bauern konnten sich private Schlafräume nicht leisten. Der Adel wollte es nicht. Die intime Schlafstätte kam erst mit den Moralvorstellungen im 19. Jahrhundert auf, sagt Architekturkritiker Niklas Maak. Heute werde das Bett wieder zum öffentlichen Ort.
Das Schlafzimmer hat in der Geschichte des Wohnens einen enormen Wandel hinter sich. Wir kennen es als privaten Raum, in dem ein Bett steht. Die Vorstellung allerdings, dass sich die Wohnung in private und öffentliche Räume aufteilt, ist eine sehr junge Entwicklung in der Kulturgeschichte, sagt der Architekturkritiker Niklas Maak.
"Wenn man in die Kulturgeschichte zum Beispiel der Bauernhöfe schaut, der Handwerkerhäuser, dann schliefen sehr viele Angestellte in großen Räumen auf Strohlagern zusammen", sagt er. "Es ist eigentlich eine Entwicklung der bürgerlichen Neuzeit, dass man darauf besteht, dass es einen Raum gibt, den mach ich zu, das war vorher ein Adelsprivileg."
Zugleich sei die Idee von Privatheit beim Adel eine ganz andere gewesen als heutzutage. So habe Heinrich IV. den Philosophen Montaigne in seinem Bett empfangen. "Es war ein Zeichen der Anerkennung, dass man sich zum König ins Bett legen durfte", sagt Maak. "Das hatte auch gar keine in dem Sinne erotische oder frivole Konnotation."
Das Himmelbett als Raum im Raum
Auch Ludwig XIV. habe das Schlafzimmer zu einem öffentlichen Ort gemacht. "Da ging es darum, welcher Graf, welcher Dyck hat die Ehre, dem König, den Nachttopf reichen zu dürfen, das ist ein wichtiger Job gewesen."
Auch ein bestimmter Typ Bett lässt sich mit dem Adel verbinden: das Himmelbett. "Wenn man sich anschaut, auch gerade, was am Hof errichtet wurde, dann ist das Himmelbett eigentlich wie ein kleines Gebäude. Es hat ein Dach und Seitenwände aus Stoff, den man zu ziehen kann", sagt Maak.
"Das heißt, in dem Zimmer, wo sich all diese Adligen mit ihren Posten tummelten, gab den Großbrot-Abschneider, es gab den Halsbinden-Bewahrer oder eben den schon erwähnten Nachtstuhl-Aufseher. Die liefen da rum, und wenn der König nun keine Lust mehr hatte, konnte er die Gardinen zu ziehen und damit signalisieren, ich will für mich sein. Das ist eigentlich die einzige Form von Privatheit, die in diesen Prachträumen möglich war."
Die Vorstellung vom Schlafzimmer als ein intimer Ort, ein Ort der Zweisamkeit oder der Einsamkeit, sei erst mit den bürgerlichen Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts aufgekommen. Auch sei erst da eine Schicht entstanden, die es sich leisten konnte "zu sagen, das Schlafzimmer ist ein Ort der Scham, da machen wir das Licht aus, da bleibt alles im Dunkeln, was das passiert."
"Verbettung" der Wohnung in den 70ern
Jedes Zeitalter bringt seinen eigenen Typ Bett hervor. Das verrate auch viel über die jeweilige Zeit.
"Ein 50er-Jahre-Bett ist eine reine Schlafstätte, ein Apparat, um sich auszuruhen, mehr nicht. Dann kam in den 60er-, 70er-Jahren eigentlich die 'Verbettung' der ganzen Wohnung, die Sofas wuchsen plötzlich zu Lungerwiesen heran. Die Betten wurden immer größer. Das entsprach natürlich einem Zeitgeist, der auch eine neue Körperlichkeit entdeckte", sagt Maak.
"In den 80er-Jahren wurden diese ersetzt durch den Futon, eine extrem harte Matte am Boden. Selbst das Bett war noch eine Trainingsanstalt. Heute sind wir an einem Punkt angekommen, wo das Bett vor allen Dingen eine multifunktionale Oberfläche wird. Fast wir auf unserem iPad."
Im Bett könne man nun alles machen, was man früher auf dem Marktplatz machte. "Man kann verhandeln, verkaufen, kaufen, Informationen tauschen, Dinge produzieren auf dem Laptop. Das ist ein interessanter Punkt in der Kulturgeschichte, weil damit eigentlich das Bett wieder zu dem Raum wird, der es mal war, nämlich eigentlich einem sehr öffentlichen Ort."
(cwu)