Andreas Puff-Trojan: "Vampire! Schattengewächse der Aufklärung. Über uns aufgeklärte Menschen im Angesicht der Un-Toten"
Sonderzahl-Verlagsgesellschaft, Wien 2021
120 Seiten, 18 Euro
Kulturgeschichte des Vampirismus
Den Tod überschreiten: Der Vampir als Schattengewächs einer aufgeklärten Gesellschaft, die die Sterblichkeit ausblendet. © imago / Columbia Pictures / Collection Christophel
Untote, die an den Tod erinnern
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Ausgerechnet in der Aufklärung verbreitet sich auch der Vampirglaube rasant in Europa. Wie kommt es dazu? Andreas Puff-Trojan untersucht die Kulturgeschichte des Vampirismus und erkennt darin ein Korrektiv gegen die Todesvergessenheit.
Serbien, 1731: Aus einem abgelegenen Dorf dringen seltsame Nachrichten. Tote seien aus den Gräbern auferstanden, hätten ihre lebenden Verwandten angefallen und ihnen Blut ausgesaugt. Die österreichischen Besatzungsbehörden schicken Feldärzte, die die Leichen der angeblichen Untoten ausgraben und untersuchen sollen, um zu beweisen, dass sie wirklich tot sind. Aber als man die Toten exhumiert, zeigt sich Seltsames: Der Körper eines lange Verstorbenen zeigt keinerlei Verwesung und ist voller Blut. Schnell verbreiten sich in ganz Europa Gerüchte über eine Vampir-Epidemie.
Pandemischer Vampirglauben
Am Hof in Wien ist man besorgt – aber nicht aus Angst vor Vampiren: "Angst hatte man eigentlich weniger vor einer tatsächlichen Seuche, sondern vor einer Einbildungsseuche: dass sich die Idee vom Vampir so sehr verbreitet, dass man das als aufgeklärter Mensch nicht mehr los wird", sagt Andreas Puff-Trojan.
In seinem neuen Buch "Vampire – Schattengewächse der Aufklärung" untersucht der Literaturwissenschaftler an der Universität München philosophisch die Wirkungsgeschichte des modernen Vampirglaubens: "Der Vampir ist eine unheimliche Konstante. Es hat mal einer nachgezählt. Es gibt über 3000 Vampirfilme, in der Literatur sieht es nicht anders aus. Es ist sehr erstaunlich, dass der Vampir, der sich auch nie ändert, also ein völlig konservatives Element, sich bis in unsere Tage gehalten hat und, ich schätze, weiter halten wird."
Der Erfolg des Vampirs kommt mit der Aufklärung. Bereits in der Antike werden Blutsauger erwähnt, aber erst im 18. Jahrhundert entwickelt der Vampirglaube eine solche Dynamik, dass aufgeklärte Kreise alles daran setzen, ihn wissenschaftlich zu widerlegen. "Sogar an der ehrwürdigen Sorbonne sind mehrere Dissertationen über den Vampirismus erschienen", sagt Puff-Trojan. "Der Diskurs geht darüber: Wie kann man verhindern, dass diese Idee vom Vampir um sich greift."
Wunder Punkt der Aufklärung
Denn die moderne Faszination für den Vampir treffe einen wunden Punkt der Aufklärung, erklärt der Autor: "Vom Mittelalter bis ins Barock haben Sie ein lebendiges Memento Mori: Gedenke des Todes! Das heißt nicht, dass Leute im Mittelalter permanent an ihren Tod gedacht haben, ich glaube, dass der mittelalterliche Mensch lustvoller war als der heutige, aber der Tod ist immer im Bewusstsein. Mit der Aufklärung passiert Folgendes: Der Mensch denkt und denkt und hört nicht auf zu denken, und der Tod verschwindet aus dem allgemeinen Bewusstsein."
Die aufgeklärte Philosophie will das Individuum aus der religiösen Schicksalhaftigkeit befreien. Der Tod aber bleibt als Leerstelle. Der Vampir füllt nicht nur diese Lücke, er bietet auch eine Ausflucht, den Verlust der Nächsten, wenn sie als Vampire zurückkehren, zu verdrängen. "Sie können auch bei den klassischen Vampiren sagen, rein psychoanalytisch, da bilden sich die Leute ein, dass da einer, der tot ist, wieder zurückkommt ins Heim", sagt Puff-Trojan.
Sinnliche Erinnerung an unsere Sterblichkeit
Mit dieser Ambivalenz als Gefahr und Erlösungsmöglichkeit zugleich halte der Vampir den Tod am Leben: "Als Untoter ist er eigentlich der Einzige, der innerhalb der Aufklärung uns immer noch an den Tod erinnert." Und er tut das mit einer Körperlichkeit, die in der Moderne mehr und mehr zurückgedrängt wird.
Sinnlicher Ausdruck davon ist der Vampirbiss, der eine zutiefst religiöse Mystik symbolisiert: Blut spielt im Christentum eine zentrale Rolle – bis hin zum Abendmahl, wo Wein sich in das Blut Christi verwandelt. In Bram Stokers Roman "Dracula" von 1897 trinkt die Heldin Mina in einer Art Bluttaufe Draculas Blut. Dieser fordert sie auf: "Oh Mina, trink und vereine Dich mit mir zum ewigen Leben!"
Francis Ford Coppola zeigt in seinem Film "Bram Stoker’s Dracula", was im Roman nur angedeutet wird – die erotisch aufgeladene Sehnsucht Minas, der körperfeindlichen, viktorianischen Welt zu entfliehen: "Schaffe mich fort von all diesem Tod", verlangt Mina von Dracula.
Für Mina verkörpert Dracula das wahre Leben, weil er sie, die als Vollwaise früh mit dem Sterben konfrontiert war, den Tod spüren und zugleich überschreiten lässt: "Der Vampir weckt in Mina ein Bedürfnis des Anderseins als die viktorianische Gesellschaft, die in ihrem aufgeklärten Dasein versucht, den Tod wegzudenken", erklärt Puff-Trojan.
Denken an den Tod und darüber hinaus
Erst als Mina den Tod als Möglichkeit existenzieller Grenzerfahrung erlebt, kann sie ins Leben zurückkehren. Ihre Sicht auf das Leben als Sein zum Tode mache sie zu einer Heldin im Sinne Heideggers, so Puff-Trojan: "Heidegger ist einer der wenigen Philosophen in Europa, der den Tod wieder hineinholt in seine Philosophie und sagt: Wir müssen den Tod mitbedenken. Heidegger gibt uns keine Jenseitsversicherung oder so etwas, aber das Denken an den Tod bedeutet auch, über den Tod hinausdenken zu können."
Das bedeutet auch, das Leben als Daseinsform zu begreifen, die durch die existenzielle Erfahrung des Todes erst Tiefe erfährt. Das Buch "Vampire – Schattengewächse der Aufklärung" zeigt anschaulich, was den bis heute anhaltenden Reiz des Vampirs ausmacht: Gerade in Zeiten der Pandemie, in denen der Tod zwar sehr gegenwärtig ist, aber sich oft hinter abstrakten Zahlen verbirgt, bleibt der Vampir der unheimliche Außenseiter, der uns die Ungeheuerlichkeit unserer Sterblichkeit sinnlich vor Augen führt.