Kulturgeschichte geflutet
Seit Jahrzehnten wird um den Ilisu-Staudamm in der Südost-Türkei gestritten - jetzt soll er wirklich gebaut werden. Zu einem See soll der Damm den Tigris aufstauen, um ein Wasserkraftwerk anzutreiben. Weil in den Fluten auch die historische Stätte Hasankeyf versinken würde, appellieren türkische Kunsthistoriker an die deutsche Regierung, keine Kreditbürgschaft für das Projekt zu erteilen.
Der Tigris - der wasserreichste Fluss Vorderasiens: Seit Jahrtausenden fließt er auf seinem Weg vom Osttaurus nach Mesopotamien hier vorbei, an der uralten Stadt Hasankeyf in Südostanatolien - einer der ältesten dauerhaft besiedelten Städte der menschlichen Zivilisation. Warum er nun aufgestaut werden soll, um ein Stromkraftwerk zu betreiben, das erklärte der türkische Ministerpräsident Erdogan bei der Grundsteinlegung für den Ilisu-Damm so:
"Wenn wir es nicht schaffen, den Energiebedarf unserer Industrie zu decken, dann werden die Maschinen stehen bleiben, dann wird die Produktion zum Erliegen kommen, dann wird die Beschäftigung zusammenbrechen. Und dann wird sich unser Wachstum in sein Gegenteil verkehren, und wir werden alles verlieren, was wir gewonnen haben."
In Hasankeyf, dessen historische Altstadt von dem Stausee überflutet werden soll, sieht man das anders. Tausende Demonstranten aus ganz Südostanatolien protestierten hier am Wochenende gegen den Staudamm. Was steht in Hasankeyf auf dem Spiel? Um einen Überblick über die Stadt zu bekommen, steigt man am besten auf die Kalksteinklippen, die hoch über dem Tigris aufragen. Vom Fluss-Ufer geht es auf einem steinigen und gewundenen Pfad steil bergan.
Vorsicht - nicht zu nahe an den Rand kommen, warnt ein Wärter, der den Abgrund über dem Tigris bewacht: Der Fels bröckelt! Hundert Meter tiefer fließt das grüne Wasser des Flusses nun, und noch immer geht es aufwärts:
Oben angekommen, keucht sogar der 17-jährige Fremdenführer Erkan, so steil war der Aufstieg. Ein scharfer Wind weht über die Anhöhe. Erkan muss erst einmal nach Luft schnappen, bevor er die Aussicht erklären kann:
"Bis zum Lautsprecher des Minaretts dort wird das Wasser des Stausees steigen. Nur der große Palasthügel wird noch eine Weile aus dem Wasser herausragen, aber auch nicht lange. Der Kalkstein wird bald unterspült, und dann versinkt auch der Palasthügel im Stausee."
Alles unterhalb vom Palasthügel wird sofort vom Wasser verschluckt, wenn der Staudamm fertig ist - und das ist viel, wie Erkan erklärt:
"Dort drüben am anderen Tigris-Ufer sehen Sie die erste Münzerei in Anatolien, sie wurde im elften Jahrhundert von den Artukiden erbaut. Der Palast dort, der wurde im 14. Jahrhundert von den Ayyubiden errichtet, ebenso die Ulu-Moschee dort. Unten im Fluss sehen wir die Überreste der größten Steinbrücke des Mittelalters. Und da am Ufer steht das Zeynel-Bey-Grabmal aus der Akkoyunlu-Dynastie, das für sein türkises Kachelwerk berühmt ist."
Stundenlang könnte Erkan weiter erzählen. Schließlich blickt Hasankeyf auf eine Geschichte von zehntausend Jahren zurück. Ein historisches Verbrechen wäre es, diesen Ort zu fluten, meint der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulvahaf Kusen:
"Hasankeyf ist ein einziges Open-Air-Museum mit den Spuren von zehn oder gar fünfzehn Zivilisationen. Solch eine historische Stätte zu vernichten, das wäre ein riesiger Verlust für die Menschheitsgeschichte. Wenn Hasankeyf zerstört wird, dann werden uns das die nachfolgenden Generationen nicht verzeihen."
Um diesen Bedenken und den internationalen Protesten der Fachwelt zu begegnen, hat das Ilisu-Konsortium einen neuen Vorschlag gemacht: Abbauen will das Konsortium die historischen Monumente von Hasankeyf, und sie an anderer Stelle wieder aufbauen. In einen so genannten Archäologie-Park über dem Stausee sollen die jahrhundertealten Bauten umgesiedelt werden.
Auf diese Weise könnten die Kulturgüter gerettet und gleichzeitig der Tourismus angekurbelt werden, argumentiert das Konsortium. Ist das die Lösung? Auf keinen Fall, sagt Arif Arslan, Vorsitzender der örtlichen Bürgerinitiative für den Erhalt von Hasankeyf:
"Das ist ein Luftschloss, das ist unsinniges Geschwätz. Hasankeyf kann man nicht versetzen. Wenn sie die alte Brücke versetzen wollen, dann zerkrümelt die ihnen unter den Händen. Und wenn Sie die Brücke in die Berge versetzen, wie wollen sie das Wasser unten durch leiten? Außerdem gibt es 6000 Höhlen in Hasankeyf, die dann geflutet werden, der Palasthügel wird vom Wasser unterspült. Hasankeyf zu versetzen, ist unmöglich. Das ist kein aufrichtiger Vorschlag."
Überzeugt hat das Konsortium mit diesem Vorschlag niemanden - weder die Archäologen noch die Anwohner. Die Firmen haben sich mit diesem Modell vollends unglaubwürdig gemacht, sagt Bürgermeister Kusen:
"Das Konsortium will uns überreden, die schwarzen Aussichten für Hasankeyf mit rosaroter Brille zu betrachten. Auf diesen so genannten Informationsveranstaltungen haben die Vertreter des Konsortiums uns schön ausgemalt, wie sie Hasankeyf einfach anderswohin versetzen würden. Aber jeder hier weiß, dass das nicht möglich ist."
"Hasankeyf soll leben", fordern die Demonstranten. Nicht nur an ihre eigene Regierung wenden sie sich mit ihrem Protest gegen den Staudamm, sondern auch an Europa. Weil der Ilisu-Staudamm von Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gebaut werden soll, hängt nach der Grundsteinlegung alles davon ab, ob diese Staaten auch die beantragten Kreditbürgschaften gewähren. Ercan Ayboga, der Sprecher des Widerstandsbündnisses gegen den Damm, appellierte bei der Kundgebung noch einmal an die Firmen:
"Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Staaten, in denen hohe Umwelt- und Menschenrechtsstandards gelten. Die Unternehmen aus diesen drei Ländern sollten sich auch bei Projekten im Ausland an diese Standards halten. Im eigenen Land könnten sie solche Projekte nicht durchführen. Aber in Ländern wie der Türkei möchten sie das durchsetzen um ihres Gewinnes wegen."
Noch in diesem Monat werden Experten der europäischen Kreditanstalten in Ilisu erwartet, um offene Fragen zu den Umsiedlungsplänen und anderen umstrittenen Punkten zu klären. Mit ihrer Entscheidung wird im Herbst gerechnet.
"Wenn wir es nicht schaffen, den Energiebedarf unserer Industrie zu decken, dann werden die Maschinen stehen bleiben, dann wird die Produktion zum Erliegen kommen, dann wird die Beschäftigung zusammenbrechen. Und dann wird sich unser Wachstum in sein Gegenteil verkehren, und wir werden alles verlieren, was wir gewonnen haben."
In Hasankeyf, dessen historische Altstadt von dem Stausee überflutet werden soll, sieht man das anders. Tausende Demonstranten aus ganz Südostanatolien protestierten hier am Wochenende gegen den Staudamm. Was steht in Hasankeyf auf dem Spiel? Um einen Überblick über die Stadt zu bekommen, steigt man am besten auf die Kalksteinklippen, die hoch über dem Tigris aufragen. Vom Fluss-Ufer geht es auf einem steinigen und gewundenen Pfad steil bergan.
Vorsicht - nicht zu nahe an den Rand kommen, warnt ein Wärter, der den Abgrund über dem Tigris bewacht: Der Fels bröckelt! Hundert Meter tiefer fließt das grüne Wasser des Flusses nun, und noch immer geht es aufwärts:
Oben angekommen, keucht sogar der 17-jährige Fremdenführer Erkan, so steil war der Aufstieg. Ein scharfer Wind weht über die Anhöhe. Erkan muss erst einmal nach Luft schnappen, bevor er die Aussicht erklären kann:
"Bis zum Lautsprecher des Minaretts dort wird das Wasser des Stausees steigen. Nur der große Palasthügel wird noch eine Weile aus dem Wasser herausragen, aber auch nicht lange. Der Kalkstein wird bald unterspült, und dann versinkt auch der Palasthügel im Stausee."
Alles unterhalb vom Palasthügel wird sofort vom Wasser verschluckt, wenn der Staudamm fertig ist - und das ist viel, wie Erkan erklärt:
"Dort drüben am anderen Tigris-Ufer sehen Sie die erste Münzerei in Anatolien, sie wurde im elften Jahrhundert von den Artukiden erbaut. Der Palast dort, der wurde im 14. Jahrhundert von den Ayyubiden errichtet, ebenso die Ulu-Moschee dort. Unten im Fluss sehen wir die Überreste der größten Steinbrücke des Mittelalters. Und da am Ufer steht das Zeynel-Bey-Grabmal aus der Akkoyunlu-Dynastie, das für sein türkises Kachelwerk berühmt ist."
Stundenlang könnte Erkan weiter erzählen. Schließlich blickt Hasankeyf auf eine Geschichte von zehntausend Jahren zurück. Ein historisches Verbrechen wäre es, diesen Ort zu fluten, meint der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulvahaf Kusen:
"Hasankeyf ist ein einziges Open-Air-Museum mit den Spuren von zehn oder gar fünfzehn Zivilisationen. Solch eine historische Stätte zu vernichten, das wäre ein riesiger Verlust für die Menschheitsgeschichte. Wenn Hasankeyf zerstört wird, dann werden uns das die nachfolgenden Generationen nicht verzeihen."
Um diesen Bedenken und den internationalen Protesten der Fachwelt zu begegnen, hat das Ilisu-Konsortium einen neuen Vorschlag gemacht: Abbauen will das Konsortium die historischen Monumente von Hasankeyf, und sie an anderer Stelle wieder aufbauen. In einen so genannten Archäologie-Park über dem Stausee sollen die jahrhundertealten Bauten umgesiedelt werden.
Auf diese Weise könnten die Kulturgüter gerettet und gleichzeitig der Tourismus angekurbelt werden, argumentiert das Konsortium. Ist das die Lösung? Auf keinen Fall, sagt Arif Arslan, Vorsitzender der örtlichen Bürgerinitiative für den Erhalt von Hasankeyf:
"Das ist ein Luftschloss, das ist unsinniges Geschwätz. Hasankeyf kann man nicht versetzen. Wenn sie die alte Brücke versetzen wollen, dann zerkrümelt die ihnen unter den Händen. Und wenn Sie die Brücke in die Berge versetzen, wie wollen sie das Wasser unten durch leiten? Außerdem gibt es 6000 Höhlen in Hasankeyf, die dann geflutet werden, der Palasthügel wird vom Wasser unterspült. Hasankeyf zu versetzen, ist unmöglich. Das ist kein aufrichtiger Vorschlag."
Überzeugt hat das Konsortium mit diesem Vorschlag niemanden - weder die Archäologen noch die Anwohner. Die Firmen haben sich mit diesem Modell vollends unglaubwürdig gemacht, sagt Bürgermeister Kusen:
"Das Konsortium will uns überreden, die schwarzen Aussichten für Hasankeyf mit rosaroter Brille zu betrachten. Auf diesen so genannten Informationsveranstaltungen haben die Vertreter des Konsortiums uns schön ausgemalt, wie sie Hasankeyf einfach anderswohin versetzen würden. Aber jeder hier weiß, dass das nicht möglich ist."
"Hasankeyf soll leben", fordern die Demonstranten. Nicht nur an ihre eigene Regierung wenden sie sich mit ihrem Protest gegen den Staudamm, sondern auch an Europa. Weil der Ilisu-Staudamm von Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gebaut werden soll, hängt nach der Grundsteinlegung alles davon ab, ob diese Staaten auch die beantragten Kreditbürgschaften gewähren. Ercan Ayboga, der Sprecher des Widerstandsbündnisses gegen den Damm, appellierte bei der Kundgebung noch einmal an die Firmen:
"Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Staaten, in denen hohe Umwelt- und Menschenrechtsstandards gelten. Die Unternehmen aus diesen drei Ländern sollten sich auch bei Projekten im Ausland an diese Standards halten. Im eigenen Land könnten sie solche Projekte nicht durchführen. Aber in Ländern wie der Türkei möchten sie das durchsetzen um ihres Gewinnes wegen."
Noch in diesem Monat werden Experten der europäischen Kreditanstalten in Ilisu erwartet, um offene Fragen zu den Umsiedlungsplänen und anderen umstrittenen Punkten zu klären. Mit ihrer Entscheidung wird im Herbst gerechnet.