Kulturgeschichte

Gibt es den jüdischen Garten?

Durch den sogenannten Garten der Diaspora gehen am 01.07.2013 in der neu eröffneten Akademie des Jüdischen Museums in Berlin zwei Personen. In dem von Daniel Libeskind gestalteten Bau sind die Bildungsangebote und die Bibliothek untergebracht.
Der sogenannte Garten der Diaspora in der Akademie des Jüdischen Museums in Berlin © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Peter Kaiser |
Ob englisch, französisch, japanisch oder arabisch - Gärten sind immer ein Stück Kulturgeschichte und ein Spiegel der Umgebung, in der sie sich befinden. Doch wie ist es im Judentum, gibt es auch einen jüdischen Garten als solchen? Peter Kaiser hat sich umgehört.
"Diese Freiheit, und den Blick aufs Wasser, und ja…"
"Sehr schön, sehr gepflegt."
"Weitläufig, und alles in allem sehr harmonisch."
"Ich wohne nur wenige Meter von hier entfernt, und mir gefällt, dass hier eine gelungene Mischung entstanden ist, von einerseits der Naturlandschaft, und dann auch wiederum der Kulturlandschaft, eine wunderschöne Symbiose."

Ein Berliner Ausflugsziel erster Güte

Ein lauer Sommernachmittag im Landhausgarten des ehemaligen jüdischen Bankiers Dr. Max Fränkel. Vor Kurzem erst wurde das "Gartenjuwel am Ufer der Havel" in Berlin-Kladow, dem südlichsten Ortsteil in Berlin-Spandau, nach vier Jahren aufwändiger Restaurationsarbeiten wieder eröffnet. Jetzt ist der Garten mit den benachbarten Gärten der "Villa Guckegönne", und der Familie Mendelssohn ein Ausflugsziel erster Güte.
Mit dem Fränkel-Garten schuf in den 1920 Jahren der Gartenarchitekt Professor Erwin Barth eine Sommerresidenz mit Teichanlage, Rosen-, Obst- und Gemüsegarten. Klug nutzte Barth die Eigenheiten des steil zur Havel hin abschüssigen Geländes. Er ließ Terrassen anlegen, Trockensteinmauern und Treppenfolgen, sowie höhengestaffelte Teichbecken. Insgesamt, sagt die Betreiberin und Gartenarchitektin Petra Derksen, stehe der Garten des 1933 nach Paris emigrierten Fränkel an der Grenze einer Gartenkultur:
"Es gab einen Wandel in der Gartenkultur. Es gab die Lennégärten, die kennt jeder. Dann kam Bauhaus und Ähnliches, das heißt, der Garten wurde wieder formaler gestaltet. Und hier in diesem Garten kann man das erkennen. Es ist der formale, repräsentative Garten, und hinten hat Erwin Barth einen wunderbaren landschaftlichen Teil noch gebaut mit Wasserläufen und einem Teich."
Viele Besucher hier sagen, sie wären in einem jüdischen Garten. Doch ist das richtig? Und mehr noch: Gibt es überhaupt den jüdischen Garten an sich? Petra Derksen denkt nach:
"Das ist eine sehr schwere Frage. Ob es jetzt speziell einen jüdischen Garten gibt? Vielleicht gibt es das in Israel oder Ähnliches, aber hier, es war zwar Max Fränkel, der jüdische Bankier, der diesen Garten hier finanziert und hat bauen lassen, aber ob er da speziell etwas Religiöses dabei gedacht hatte, das glaube ich eher nicht. Die Juden waren in vielen Kulturen zu Hause. Ich glaube, sie haben sich da auch sehr gut eingefügt."

Besuch in den "Gärten der Welt"

Was die Frage nach dem jüdischen Garten nicht beantwortet. Die Suche nach einer Antwort führt fast zwangsläufig zu den "Gärten der Welt" in Berlin-Marzahn. Dort gibt es einen chinesischen Garten, einen japanischen, balinesischen, christlichen, und, und...
Kirschblütenfest in den Gärten der Welt in Berlin Marzahn-Hellersdorf, aufgenommen am 17.04.2016
Kirschblütenfest in den Gärten der Welt in Berlin Marzahn-Hellersdorf© picture alliance / dpa / Manfred Krause
Und es gibt seit Juli 2015 die Skulptur "Tree of Peace" der israelischen Künstlerin Hedva Ser. Die Skulptur steht zwischen dem japanischen und christlichen Garten. Hier soll auch einmal ein jüdischer Garten angelegt werden, das ist beabsichtigt. Auf die Frage, wie dieser jüdische Garten hier aussehen könnte, antwortet freundlich und kompetent der Geschäftsführer der Betreiberfirma Grün Berlin GmbH, Christoph Schmidt:
"Das kann ich nicht sagen. Weil, die Idee eines jüdischen Gartens ist komplex. Was könnte es denn sein? Ich bin nicht befugt dazu zu sagen, wie er aussehen kann, dazu fühle ich mich definitiv nicht in der Lage."
Auch die Frage nach etwaigen floralen Kriterien, die man für die Anlage eines jüdischen Gartens ansetzen würde, beantwortet Christoph Schmidt in gleicher Weise:
"Wir sind als Grün Berlin GmbH nicht befugt darüber zu befinden, ob die Kriterien richtig oder falsch sind. Das müssen ganz andere beantworten."

Was sagt die Wissenschaftlerin?

Lässt sich einrichten. Etwa im Jüdischen Museum Berlin.
"Wir sind hier in der Blumenthal-Akademie des Jüdischen Museums, in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle, im Garten der Diaspora. Der Garten der Diaspora ist ein Entwurf der Landschaftsarchitekten Le Balto und der Versuch, in Form einer grünen Skulptur das Thema deutsch-jüdische Geschichte, aber auch Einwanderungsgeschichte in Deutschland, mit Pflanzen zu bebildern und zu illustrieren. Und mit dem Begriff Diaspora zu arbeiten in zwei verschiedene Richtungen."
Sagt Tanja Petersen, wissenschaftliche Mitarbeiterin hier im Jüdischen Museum Berlin. Der "Garten der Diaspora" besteht eigentlich aus vier zwölf Meter langen Plateaus. Darauf stehen Pflanzenkübel:
"Auf den Plateaus sind einzelne Funktionen oder Eindrücke zugewiesen. Wir haben hier zum Beispiel ein Plateau, was sich mit Kultur- und Naturlandschaft auseinandersetzt. Und dann haben wir zum Beispiel Pflanzen, die zu den sieben Arten Israels gehören. Feige, Granatapfelbaum, oder Sie sehen dort, der ganze Stolz der Gartenlandschaftsarchitekten, eine Zitrone, die dort vom Ast baumelt, als sei sie angeklebt. Es gibt aber auch ein Plateau, was sich dem Umstand der Natur widmet. Also Pflanzen, die hier eingewandert sind, überall aus der ganzen Welt. Das wäre also eher botanisch betrachtet das Kapitel Diaspora, Ausbreitungsbiologie. Und sicherlich am eindringlichsten ist der Eindruck auf dem hinteren Podest, das ist das Podest, was sich mit Landschaft befasst und beschäftigt. Aber interessant ist, dass die Pflanzen tatsächlich mit so wenig Untergrund oder Boden wachsen können."
Wie die anderen Befragten, wird auch Tanja Petersen nachdenklich, wenn sie mit der Frage nach dem jüdischen Garten konfrontiert wird:
"Also es gibt ja die Idee des diasporischen Judentums. Das heißt, mit der Zerstörung des Tempels ein Judentum, was sich außerhalb des Landes, des ursprünglichen Landes Palästina, das heutige Israel, etabliert hat. Dennoch muss man natürlich sagen, dass Juden überall in der Welt heimisch geworden sind. Insofern gibt es da schon Assoziationen, die auch funktionieren. Aber die Frage nach einem jüdischen Garten müsste ich tatsächlich zurückweisen."

Der Garten Eden als mögliches Vorbild

Doch dann wagt sich die Mitarbeiterin ein Stück vor, und formuliert, was denn für sie einen jüdischen Garten ausmachen würde:
"Pflanzen wie Datteln, Granatapfel oder Feigen, hier wächst zum Beispiel keine Dattel. Auch die Frage nach dem Garten Eden. Der Garten Eden, ist das ein jüdischer Garten, ist das unser Vorbild? Man kann aber auch sagen, es sind Pflanzen, die für den rituellen Gebrauch, also zum Beispiel zu Pessachfeiertagen geerntet werden müssen, oder zum Laubhüttenfest, was hierzulande im Herbst gefeiert wird. Sukkot heißt das ja, das Laubhüttenfest, und zu Sukkot gehört dazu eine Etrogfrucht, das ist die Zitronatszitrone. Die wächst hier nicht, deshalb haben wir als Ersatz quasi eine richtige Zitrone. Aber Pflanzen wie diese würden meiner Meinung nach auch in einen jüdischen Garten gehören."
Feigenbaum mit Früchten, aufgenommen in Frankfurt am Main
Reife Früchte an einem Feigenbaum: Könnte der Garten Eden als Vorbild dienen?© picture-alliance / dpa / Beate Schleep
Und dann gräbt Tanja Petersen, schaufelt, und zeigt, was jenseits der Pflanzen ein jüdischer Garten in seiner Kernidee wäre:
"Dann kann man Erde nehmen, verschiedene Substrate nehmen, also Unterböden, Untergründe, und mit Kästen wie diesem wurden früher Pflanzen aus allen Teilen der Welt per Expedition nach Mitteleuropa gebracht. Nicht nur die Samen, sondern eben auch ganze Pflanzen. Und in Analogie dazu können Teilnehmer unserer Workshops dann einen großen Pflanzsack mitnehmen. Sodass die Idee des Gartens der Diaspora weiter getragen wird."

Botanisches Monumentalwerk eines Rabbiners

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang die Gartenkunst-Abhandlung " Die Flora der Juden" des Botanikers und Rabbiner Immanuel Löw aus dem Jahr 1924 bleiben. In seinem vierbändigen Monumentalwerk erforschte er "die Grundlagen der Pflanzenterminologie in verschiedenen Perioden der aramäischen und hebräischen Sprache." Wenn man etwas über biblische Botanik wissen will, stößt man auf Immanuel Löws "Flora der Juden".
So bleibt die Frage nach dem jüdischen Garten ein wenig offen. Der Geschäftsführer der Grün Berlin GmbH, Christoph Schmidt, bringt es in der ihm eigenen Art auf den Punkt:
"Es gibt ja nicht den jüdischen Garten. Das Judentum hatte nicht den Garten, einen umfassten Raum, möglicherweise durch eine Hecke. Sondern es war schon immer auch ein wanderndes Volk, und das Thema Garten hatte eine ganz andere Prägung und Bedeutung."
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