Kulturgeschichte

Womit wir Speisen zu uns nehmen

Gabeln und Löffel zusammengeschnürt auf einem Holztisch
Gabeln und Löffel zusammengeschnürt auf einem Holztisch © Imago / Westend61
Von Eva Hepper |
Wir kennen Rezepte, haben Lieblingsgerichte, wissen aber wenig über die "Hardware" der Esskultur - etwa Gabel, Messer oder Kochtopf. Die passionierte Köchin Bee Wilson hat die Geschichte der heimlichen Stars der Küche aufgeschrieben.
"Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen. Wasche meine Schuld von mir ab..."
Das Miserere war im Mittelalter Allgemeingut. Sonntag für Sonntag wurde das Bußgebet im Gottesdienst gemeinsam aufgesagt. Doch kamen die mächtigen Verse nicht nur in der Kirche zum Einsatz, sondern auch in der Küche. Bis in die frühe Neuzeit, wie französische Rezepte belegen. Denn mit Gebeten, ließ sich trefflich die Garzeit bemessen.
Ein Miserere etwa wurde empfohlen zum Kochen eingelegter Walnüsse, manche Brühe sollte "für drei Vaterunser simmern" und die ein oder andere Sauce "so lange unter Rühren köcheln, wie man benötigte drei Paternoster aufzusagen." Am (europäischen) Herd bekam Versmaß also seine ganz eigene Bedeutung: es erfüllte die Funktion der Uhr, die selbst im 18. Jahrhundert in kaum einer Küche gebräuchlich war.
Dem Messen hat Bee Wilson eines der acht Kapitel ihrer wunderbar detailreichen und erzählverliebten Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge gewidmet. Darin unternimmt die Historikerin und Gastrokritikerin einen Streifzug durch alle Zeiten und über alle Kontinente hinweg, um den Techniken der Nahrungszubereitung auf die Spur zu kommen; und zwar sowohl den Gerätschaften als auch dem Tun als solchem. Denn wie wir kochen, so Wilson, bestimme, was wir kochen und – große Worte – wie wir wurden, was wir sind.
Eigenes Messer zu zücken, war plötzlich aggressiv
Es ist schlichtweg meisterhaft, wie Wilson ihre Betrachtung der Töpfe und Pfannen, der Reiben und Stampfer, des Zerkleinerns und Vermengens, aber auch des Feuers und des Eises mit Kultur- und Sozialgeschichte verbindet. Etwa, wenn sie erläutert, dass mit der hoch kreativen Erfindung des Topfes um 10.000 vor Christus, das Ausfallen der Zähne kein Todesurteil mehr war. Oder dass die viel Personal erfordernde Herstellung fein gemahlener Pasten durch die Entwicklung der Küchenmaschine nichts besonderes mehr bedeutete und daher aus der Mode geriet. Oder dass der Einsatz von Schneidwerkzeugen sowohl unsere Gebisse veränderte, als auch unser Miteinander: Mit dem Aufkommen der Gabel im 17. Jahrhundert war es plötzlich verpönt, das eigene Messer bei Tisch zu zücken. Was im Mittelalter selbstverständlich war, empfand man nun als aggressiv. Ein Problem, das auf dem Kontinent der Essstäbchen gar nicht aufkam.
Doch hat auch dort das Messer die Küche geprägt. Mit der Entdeckung des Gusseisens (500 v. Chr. ) entstand das chinesische tou mit seiner zehn Zentimeter breiten Schneide. Es erlaubte feinstes Hacken, was die typisch asiatische Vermischung verschiedener Aromen ermöglichte. Oder war Brennholzmangel ursächlich für die reiche chinesische Kochkunst, weil er zur Entwicklung des auf kleiner Flamme sehr effektiven Woks führte? Wilson hält's für möglich. Not mache schließlich erfinderisch. Wäre Großbritannien doch bloß weniger waldreich!
Es ist die reine Freude, Bee Wilson auf ihren Exkursionen zu folgen. Sie erzählt mit wissenschaftlicher Akribie, wunderbarer Fabulierlust und sprüht vor Originalität. Schlichtweg atemberaubend.

Bee Wilson: Am Beispiel der Gabel - Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge
Suhrkamp, Berlin 2014
400 Seiten, 25,00 Euro

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