Sorge vor dem Verlust der Freiheit in Ungarn
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Im Eilverfahren und unter Protesten der Opposition hat die rechte Regierungsmehrheit im ungarischen Parlament ein Gesetz verabschiedet: für eine stärkere Kontrolle der Kultur. Der ungarische Autor András Forgách sieht darin einen Rachefeldzug.
Schwarze Theatermasken hielten sich Oppositionspolitiker während der Parlaments-Abstimmung über das umstrittene Kultur-Gesetzes-Paket vor ihr Gesicht, als Zeichen ihres Protests: "Bitte jetzt abstimmen!", forderte der Parlamentspräsident auf und verkündete – unterbrochen von dem Zwischenruf: "Kulturmörder!" - das Ergebnis: "Mit 115 Ja- und 53 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen angenommen."
Mit dem neuen Gesetz wird unter anderem das Finanzierungssystem der Theater in Ungarn geändert: Bislang wurden die Theater entweder vom Staat oder von den Kommunen finanziell unterstützt. Jetzt gibt es eine dritte Option: eine Mischfinanzierung.
Falls die kommunalen Bühnen Finanzhilfen des Staates beantragen und um eine Kooperation bitten, wird darüber künftig die Regierung entscheiden. Zugleich müssen die kommunalen Theater dann auch akzeptieren, dass sie nicht mehr allein den Intendanten bestimmen, sondern nun die Regierung dabei mitsprechen wird. Zudem wird ein "Nationaler Kulturrat" geschaffen, der für die strategische Lenkung der Kulturbranche zuständig sein wird.
Kritik am Kulturgesetz
Nach der Abstimmung machten Oppositionspolitiker aus ihrer Auffassung über das neue Kulturgesetz keinen Hehl. Zsolt Gréczy von der Demokratischen Koalition sagte: "Viktor Orbán möchte, nach der politischen und wirtschaftlichen Macht, mit diesem Gesetz nun die Köpfe, Herzen und Seelen haben. Er möchte das Bewusstsein, Gehirn und die Seele der vielen Kulturkonsumenten enteignen."
Oder István Hiller, Abgeordneter der Sozialisten und ehemaliger Minister für Bildung und Kultur: "Es gibt nur dann (Finanz-)Quellen von der Regierung, wenn es eine Vereinbarung gibt, und wenn in diese Vereinbarung die Ernennung des Theaterdirektors reingeschrieben wird. Es gibt kaum eine ungarische Selbstverwaltung, die selbst, alleine, nur mit eigenen Finanzmitteln ein Theater unterhalten könnte. Die Option 'Wer möchte, kann sich selbst das Theater finanzieren' klingt sehr zynisch."
Vorwurf der Stimmungsmache
Das neue Gesetz wurde im Eiltempo durchs Parlament gebracht, in dem die Regierungspartei Fidesz die Zweidrittel Mehrheit besitzt. Zunächst kursierte ein 45-seitiger Entwurf, erst kurz vorher erhielten die Abgeordneten den elfseitigen Text mit den Gesetzesänderungen.
Am selben Tag hatten die Abgeordneten Gelegenheit zur parlamentarischen Aussprache, nicht vor der heutigen Abstimmung. Für die Regierungsfraktion hob Kulturstaatssekretär Péter Fekete hervor: "Ich werde dafür arbeiten, dass es sich im kommenden Zeitraum erweisen wird: Dieses Gesetz ist im Interesse der Theater entstanden." In einem Jahr werde man sehen, dass die "Stimmungmacherei" sich nicht bestätigen werde. Es sei falsch, dass "wir den Nationalen Kulturfonds NKA abschaffen, und dass Minister Miklós Kásler die Theater-Direktoren ernennen wird, und dass wir der unabhängigen (Kultur-)Szene die Luft abdrehen."
Widersprüchliche Stimmungslage
Trotz dieser Entwicklungen gebe es in Budapest und anderen ungarischen Städten noch unabhängige Theater, sagt der ungarische Autor und Übersetzer András Forgách. Es habe schon seit Jahren eine Mischfinanzierung von Regierung und Kommunen gegeben, aber der Staat habe sich nicht so eingemischt. "Freiheit im Theater existiert und ich bin sicher, dass es auch weiter existieren wird", zeigt er sich dennoch optimistisch.
Ungarn sei immer die "fröhlichste Baracke" gewesen. Es hätten sich in der Literatur und im Theater immer viele Lösungen gefunden, sich auszudrücken. "Ich bin sehr pessimistisch, optimistisch, kämpferisch." Die Stimmung sei sehr schlecht und viele Künstler fühlten sich bedroht und hätten Ängste. Gleichzeitig sei es so, wie Kulturstaatssekretär Fekete gesagt habe: Dass auch eine gewisse Hysterie herrsche.
Die eigentlliche Ursache sei, dass die Regierungspartei die Kommunalwahlen verloren habe, sagt Forgách. Es handele sich nun um einen Rachefeldzug, der Orbán allerdings auf die Füße fallen könnte.