Wie rechte Kräfte in den USA den Kulturkampf anfachen
Konservative in den USA werfen Linken Wokeness vor und kritisieren eine vermeintliche Cancel Culture durch diese. Zugleich beanspruchen sie für sich selbst Rede- und Meinungsfreiheit - und verbieten alles, was nicht in ihr rechtes Weltbild passt.
Wokeness und Cancel Culture sind Kampfbegriffe der neuen Rechten geworden. Die Begriffe stehen in der Tradition der politischen Korrektheit, die in den 1990er-Jahren ihre Hochphase hatte.
Wofür steht der Begriff Cancel Culture?
Der Vorwurf Cancel Culture diene als Totschlagargument, wenn religiöse oder politische Rechte mit Kritik konfrontiert würden, weil sie sich zum Beispiel rassistisch, transfeindlich oder sexistisch geäußert haben,
erläutert die Autorin und Konfliktforscherin Annika Brockschmidt in Deutschlandfunk Kultur
.
"Dazu nimmt man dann einzelne Anekdoten, bauscht sie auf und erwähnt nicht, dass es sich hier um Einzelfälle handelt und erzeugt so das Schreckgespenst eines linken Zensurregimes und lässt so jegliche Kritik an sich abprallen."
Konservative und Rechte berufen sich dabei auf die Rede- und Meinungsfreiheit und rufen immer dann Cancel Culture, wenn ihre Positionen kein Gehör finden, weil sie etwa von Veranstaltungen ausgeladen oder in den sozialen Medien an den digitalen Pranger gestellt werden.
Umgekehrt sind es in den USA gerade die Republikaner, deren politisches Spektrum von konservativ bis rechtsextrem reicht, die mit ihren Mehrheiten in Parlamenten und Gerichten eine Cancel Culture durchsetzen. Dort, wo sie die politische Macht haben, versuchen sie zu unterdrücken, was eine offene, vielfältige, moderne Gesellschaft ausmacht: Sie verbannen Bücher aus öffentlichen Bibliotheken, verbieten bestimmte Unterrichtsinhalte in Schulen, untersagen Drag-Shows an öffentlichen Orten, schließen Transmenschen von medizinischen Behandlungen aus, verurteilen und verbieten Schwangerschaftsabbrüche.
Wo wird der Kulturkampf in den USA ausgefochten?
Die politische Rechte in den USA will insbesondere die Freiheiten der Menschen einschränken, die nicht der hetereosexuellen, männlichen, weißen Mehrheit angehören. Der Republikaner, Gouverneur und US-Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis hat in Florida durchgesetzt, dass in öffentlichen Schulen nicht mehr über Geschlechtsidentitäten und Sexualität gesprochen werden darf, die jenseits der heterosexuellen Norm steht. Verstößt eine Lehrkraft gegen diese Regelung, die gemeinhin als "Don't say gay"-Bill bekannt ist, kann sie suspendiert werden.
Im US-Bundesstaat Tennessee soll ein Gesetz Drag-Queens und Drag-Kings eigentlich schon seit April verbieten, an Orten aufzutreten, zu denen auch Kinder Zugang haben. Obwohl der Gouverneur das entsprechende Gesetz bereits unterzeichnet hat, ist es noch nicht in Kraft. Ein Bundesrichter stufte es als verfassungswidrig und diskriminierend ein.
Dessen ungeachtet wollen viele weitere Bundesstaaten ähnliche Gesetze einführen, darunter Arizona, Arkansas, Missouri, Nebraska, South Carolina, Texas, West Virginia und Montana. Darüber hinaus werden laut der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) in den USA aktuell mehr als 400 Anti-Trans-Gesetzentwürfe in Parlamenten und Gerichten diskutiert.
USA
Republikanisch regierte US-Bundesstaaten wollen Drag-Auftritte verbieten
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Doch nicht nur offen queere Menschen sind Republikanern ein Dorn im Auge. Schülerinnen und Schülern über Literatur zu ermöglichen, in neue, unbekannte Welten einzutauchen, wird ebenfalls eingeschränkt, wenn der Inhalt eines Buchs nicht ins konservative Weltbild passt. Das ist dann der Fall, wenn die Jugendbücher von People of Color, Rassismus, von queeren Menschen oder sexuellen Begehren handeln.
Im Schuljahr 2022/2023 wurden laut PEN America in allen US-Bundesstaaten zusammen 1.477 Bücher aus Schulen verbannt. Ausgangspunkt war in den meisten Fällen das Engagement von Politikerinnen und Politikern und organisierter Gruppen wie der konservativen NGO "Moms for Liberty" sowie geltende Gesetze im jeweiligen Bundesstaat. Im Schnitt wurden so den Schülerinnen und Schülern jeden Monat mehr als 100 Titel vorenthalten. Vorreiter sind auch hier die republikanisch regierten Bundesstaaten, insbesondere Texas, Florida, Missouri, Utah und South Carolina.
Zuletzt erregte die Verbannung von Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb" aus der Schulbibliothek einer Grundschule in Florida Aufsehen. Eine Mutter hatte sich dafür eingesetzt und argumentierte, dass das Gedicht pädagogisch nicht wertvoll sei und Hassbotschaften enthalte.
Tatsächlich beschreibt die afroamerikanische Lyrikerin, die das Gedicht bei der Inauguration von US-Präsident Joe Biden vortrug, in ihrem Text die Spannungen innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft und ruft zur Versöhnung auf.
Auch die Selbstbestimmung über den eigenen Körper haben konservative Kräfte in den USA drastisch einschränken können. Im Juni 2022 hat der Oberste Gerichtshof, der derzeit mehrheitlich mit Konservativen besetzt ist, das landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt – obwohl die Mehrheit der Bevölkerung das laut Umfragen ablehnt. Die Folge des Urteils: Mittlerweile haben republikanisch geführte Bundesstaaten das Abtreibungsrecht verschärft, in vielen Bundestaaten dürfen nun gar keine Abtreibungen mehr durchgeführt werden.
Auch die Behandlung von jungen Trans-Menschen, die eine Geschlechtsangleichung anstreben, ist mittlerweile in mehr als 30 Bundesstaaten gar nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Landesweit sollen davon rund 150.000 Jugendliche betroffen sein, so eine Schätzung des Williams Institutes, einer Forschungseinrichtung an der University of California, die sich mit sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität beschäftigt.
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Wie begründen die Republikaner ihre Verbotspolitik?
Ein Großteil der Anhänger der republikanischen Partei besteht aus gläubigen Christen. Aus dem christlichen Glauben speist sich die Ablehnung von Abtreibungen, Geschlechtervielfalt und sexueller Selbstbestimmung. Auch der Schutz von Kindern spielt im Christentum und somit für die Republikaner eine wichtige Rolle. Daher betonen sie immer wieder, dass ihre restriktive Politik notwendig sei, um Kinder zu schützen.
Das beginnt schon während der Schwangerschaft. In manchen Staaten dürfen Frauen keine Abtreibung vornehmen lassen, sobald der erste Herzschlag des ungeborenen Kindes zu hören ist. Die Verbote bestimmter Lehrinhalte oder Bücher in Schulen werden ebenfalls damit begründet, die Kinder von Inhalten fernhalten zu wollen, die sie verwirren und ihnen schaden könnten. Shows, in denen Drag-Queens auftreten, bezeichnete der Republikaner Chris Todd sogar als "Kindesmissbrauch".
Was wollen die Republikaner mit ihrer Form der Cancel Culture erreichen?
Die Gesellschaft in den USA, die seit ihrer Gründung vor allem von privilegierten, weißen Männern beherrscht wurde, verändert sich. Inzwischen erheben in öffentlichen Debatten auch Akteure das Wort, die lange ungehört blieben: People of Color, Menschen mit Migrationsgeschichte, queere Menschen. Sie streben eine offene, freie Gesellschaft an, die Minderheiten schützt, anstatt sie zu ignorieren oder in ihrer Freiheit einzuschränken. Sie erheben Anspruch auf Teilhabe am gesellschaftspolitischen Diskurs und benennen und kritisieren Personen des öffentlichen Lebens, wenn diese sich rassistisch oder sexistisch äußern oder entsprechend verhalten. Mit dem Vorwurf der Cancel Culture werde dann von Rechts versucht, "die Linke mundtot zu machen", so der Historiker Max Paul Friedman in Deutschlandradio Kultur.
Den Republikanern gelinge es, Tatsachen in ihrem Sinne zu verdrehen, meint die Konfliktforscherin Annika Brockschmidt. "Es klingt so, als ginge die Gefahr für die amerikanische Demokratie oder das amerikanische Zusammenleben der Bürger vor allem von links aus, dass also die Linke der radikale Part sei. Das hat nichts mit der politischen Realität zu tun."
Die Rechte schaffe es mit dieser Strategie, sich als Opfer zu stilisieren. Dabei seien die Republikaner dabei, die hart erkämpften Bürger- und Freiheitsrechte sukzessiv wieder abzuschaffen – etwa das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch oder LGBTQ-Rechte.
Zudem entsteht durch die emotional geführten Debatten Unsicherheit in der Bevölkerung darüber, was denn nun noch überhaupt noch gesagt werden darf. Daher verschweigen viele Amerikanerinnen und Amerikaner inzwischen ihre politischen Überzeugungen, sei es auf der Arbeit oder in den sozialen Netzwerken – aus Angst davor, gecancelt zu werden und ihr Ansehen oder ihren Job zu verlieren.
Kollektive Unsicherheit zu erzeugen, ist ein Instrument, um bestehende Machtverhältnisse zu zementieren. Denn wenn sich fast niemand mehr traut, seine Stimme zu erheben, werden nur noch die Lautesten gehört.
Wie verhält sich die Zivilgesellschaft in den USA?
Die Gräben zwischen Republikanern und Demokraten und ihren Anhängern in den USA sind tief. Wie restriktiv sich Gesetze gegen die offene Gesellschaft wenden, hängt stark von Bundesstaat ab. Beispiel Bücherverbannung: Während 32 US-Bundesstaaten missliebige Bücher aus Schulen verbannen, gibt es in 18 Staaten keine Zensur dieser Art. In Utah schlugen Liberale die Konservativen jüngst mit ihren eigenen Waffen. Eine Elterninitiative erreichte, dass die Bibel aus Grund- und Mittelschulen verbannt wurde. Grund: Die Bibelverse seien teilweise zu vulgär und enthielten zu viel Gewalt.
An den US-Universitäten tragen Historikerinnen und Historiker "history wars" aus, Geschichtskriege über die Deutung der Vergangenheit, insbesondere über den strukturellen Rassismus und die Geschichte der Sklaverei in den USA.
NGOs wie ACLU kämpfen landesweit für Bürgerrechte und haben unter anderem in Michigan erreicht, dass Schwangerschaftsabbrüche dort wieder legal sind und das Recht darauf in der Verfassung verankert wird, was die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet.
Auch viele Prominente setzen sich für Bürgerrechte ein, insbesondere, wenn sie selbst betroffen sind. So unterstützen Profi-Sportlerinnen und Sportler wie Basketball-Superstar LeBron James die schwarze Community und engagieren sich in der "Black Lives Matter"-Bewegung gegen Rassismus.
Annika Brockschmidt, Kerstin Zilm, Max Paul Friedman, rey