Kulturkampf in Polen um die Verbrechen an den Juden

Adam Krzeminski im Gespräch mit Joachim Scholl |
1941 ermordeten Polen in dem Dorf Jedwabne ihre jüdischen Mitbürger. Der Film "Poklosie" ruft dieses dunkle Kapitel in Erinnerung und provoziert eine erregte Debatte in unserem Nachbarland - der Publizist Adam Krzeminski beobachtet einen "kalten Bürgerkrieg".
Joachim Scholl: "Poklosie", zu deutsch "Nachlese" heißt ein polnischer Spielfilm, der in Polen derzeit die Gemüter sehr erregt. Sein Thema: Antisemitismus, genauer die Morde an Juden während des Zweiten Weltkriegs, die von Polen im vom NS-Regime besetzten Polen verübt wurden. Wir wollen darüber mit dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski diskutieren. Zunächst aber Beitrag in Radiofeuilleton, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) stellt uns Christian Bernd den Film und die Reaktionen darauf vor.

Im Studio begrüße ich jetzt Adam Krzeminski. Er ist Redakteur beim polnischen Wochenmagazin "Polityka". Guten Morgen.

Adam Krzeminski: Guten Morgen.

Scholl: Waren Sie, Herr Krzeminski, von diesen heftigen Reaktionen auf diesen Film überrascht?

Krzeminski: Nein, überrascht nicht. Das ist der alte Kulturkampf, der in Polen zwischen den Nationalkatholen und den Liberalen läuft, seit Jahren, und die Positionen sind klar. Man wusste von vornherein, dass bei diesem Thema die Fronten so verlaufen werden. Die einen werden den Film verdammen, die anderen werden sagen, es ist eine gute Aufarbeitung der polnischen Vergangenheit und ein Einblick in diese bäuerliche, rüde Wirklichkeit.

Scholl: Der Film arbeitet mit recht brutalen Bildern, Überzeichnungen. Bekannte Regisseure wie Andrzej Wajda und Roman Polanski haben dafür ihren Respekt bezeugt. Wie finden Sie diesen Ansatz, Geschichte so zu erzählen, zu thematisieren?

Krzeminski: Wissen Sie, ich bin persönlich involviert irgendwie in diesen Film, indirekt. Ich habe vor etwa zehn Jahren einen offenen Brief an Andrzej Wajda geschrieben, er möge Jedwabne verfilmen. Er hat mir auf diesen Brief geantwortet, er sei müde, er hat noch zwei, drei andere Filme zu drehen – wahrscheinlich meinte er den Katyn-Film –, und die Jüngeren müssten dieses Themas sich annehmen. Und das habe ich mir "Poklosie" so angeschaut: Aha, die Jungen haben den Film gedreht, den ich mir wünschte. Das ist nicht der Fall.

Der Film ist sehr gut gemacht, es ist mit stilistischen Mitteln eines Pop-Films zum Teil. Das ist wunderbar gespielt von beiden Protagonisten, nicht nur, das sind sehr ehrwürdige ältere Schauspieler, wunderbar spielen sie dort. Aber es gibt dort auch zwei, drei kitschige Szenen. Also, diese Kreuzigung des Protagonisten ist, ich würde sagen, nicht zu stark, aber ist zu tumb, zu einfach, überzogen. Im Großen und Ganzen, finde ich, ein guter Film und inzwischen ein Publikumserfolg, das heißt, diese Debatte hat ihm durchaus geholfen.

Scholl: Sie haben das, den Ort genannt, Jedwabne, das war das Massaker, das Pogrom während des Zweiten Weltkrieges. Man kann ja nicht sagen, dass der Film ein Tabu berührt, denn die verschiedenen Pogrome an Juden durch Polen wurden ja immer wieder thematisiert, in Büchern, in Diskussionen. Ist es doch noch immer solch ein Reizthema? Sie sprachen schon, ja, von den Reaktionen, die doch automatisch kommen, aus dem rechten Lager Wut und Protest, aus dem linken Lager Zustimmung.

Krzeminski: Das sind zum Teil Pawlowsche Reflexe, das heißt, wir sind, ich nenne das manchmal im kalten Bürgerkrieg oder in einem kalten Kulturkampf mittendrin. Ein Zusammenprall von zwei verschiedenen Auffassungen von der polnischen Art, von der polnischen Geschichte. Und die Reaktionen kommen automatisch. Die kommen zum Teil unreflektiert. Die einen sagen, es wäre eine Verunglimpfung, die Kritik an der polnischen Geschichte wäre eine Verunglimpfung der polnischen Identität. Die anderen sagen, wir sind inzwischen nicht mehr in einer Oppression, wir werden nicht besetzt, aufgeteilt und, und, und. Also, wir können uns der Vergangenheit, auch den dunklen Teilen der polnischen Vergangenheit stellen. Und die Argumente kommen immer die gleichen.

Die Kritik heute und diese Debatte bringt nichts Neues. Intellektuell ist sie bei Weitem nicht so tiefgreifend wie vor zehn Jahren, als die Jedwabne-Debatte lief. Es geht hier natürlich darum, ob die Polen ihren jüdischen Nachbarn irgendwie nachtrauern, dass es sie nicht gibt, dass sie ermordet wurden durch die Nazis, aber bei polnischer Gleichgültigkeit oder auch Mithilfe oder auch trotz der Hilfe für die Juden. Das ist eine Debatte, die eigentlich viel stärker das polnische Selbstverständnis betrifft als die reale Wirklichkeit.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Publizisten Adam Krzeminski über das Skandalon des Films "Poklosie". In den öffentlichen Reaktionen zeigt sich auch diese Spaltung, die Sie schon beschrieben haben. Die Zeitung "Gazeta Wyborcza" verteidigt den Film vehement, bringt seit Wochen sogar auf der ersten Seite …

Krzeminski: Wir haben hier in der "Polityka" auch …

Scholl: Täglich Artikel, in der "Polityka" werden Stimmen veröffentlicht, auf der konservativen, auch katholischen Seite ist es gerade andersherum. Kann man es vielleicht so zuspitzen, dass es eigentlich gar nicht um den Film geht, sondern wie man im nationalen Verständnis zu Polen steht?

Krzeminski: Ja, durchaus. Es geht hier darum, wie steht man zu sich selbst. Ist man nach wie vor – schwelgt man nach wie vor in der Rolle des größten Opfers aller Zeiten, wie es in der traditionellen polnischen Selbstdarstellung der Fall gewesen ist? Oder ist man inzwischen so souverän, innerlich souverän genug, dass man sagt, auch die Polen haben sich etwas zuschulden kommen lassen, und deswegen, dazu müssen sie auch stehen, das müssen sie aufarbeiten. Und das ist sehr krass in diesem Film gezeigt worden.

Das Naive vielleicht und Künstliche ist, dass einer der Protagonisten, das sind zwei Brüder, dass er hebräisch lernt und auch die Inschriften auf diesen jüdischen Stelen lesen kann. Das ist psychologisch so irreal im Vergleich mit der Person, die er spielt, einen plumpen, nachdenklichen, aber irgendwie verbohrten und begriffsstutzigen Menschen. Und plötzlich kommt diese fabelhafte Lektüre der hebräischen Schrift. Und das ist ein bisschen sehr künstlich.

Scholl: In einem Essay, den Sie, Herr Krzeminski, für die deutsche Zeitschrift "Merkur" geschrieben haben und der demnächst, im Februar, erscheint, da stellen Sie diesen Film als einen Bestandteil jenes Kulturkampfes dar, der in Polen herrscht. Sie haben das Wort schon benutzt. Wir in Deutschland sind ja sehr sensibel für das Thema Aufarbeitung. Wie würden Sie denn sagen, in diesem Kulturkampf, gibt es denn noch so eine Thematik, dass man sich in Polen auch wirklich der Geschichte stellt in dem Sinne, dass man auch diese Geschichte nicht nur ideologiebesetzt diskutiert?

Krzeminski: Ja, wobei die Aufarbeitung der polnischen Geschichte unterscheidet sich sehr krass von der deutschen. Es geht hier nicht um die Verbrechen, auch nicht so eminente Verbrechen wie im Falle von Jedwabne. Sondern es geht darum, wie steht man der Kontinuität der polnischen Geschichte gegenüber. Was sind die Gründe der Katastrophe, die diese Nation im letzten Jahrhundert über sich ergehen lassen musste oder ergehen ließ, und zwar die Teilungen, die Fremdbesatzungen – damit hängt natürlich auch die Kollaboration zusammen. Damit hängt auch die Unfähigkeit zusammen, auch Rückständigkeit. Und das ist das eigentliche Thema.

Zum Beispiel: Hätten die Eliten im 18. Jahrhundert, im 19., im 20. Jahrhundert die polnische Geschichte anders, oder die Geschichte des polnischen Staates, der polnischen Politik, der polnischen Gesellschaft anders gestalten können, so dass diese Katastrophen verhindert gewesen wären, oder ist es eine zwanghafte, unausweichliche Linie gewesen, die sozusagen einen Fluch der polnischen Geschichte bedeutet? Und es gibt wirklich sehr interessante Bücher und Filme dieser revisionistischen Welle in Polen in den letzten Jahren und Monaten.

Ich glaube, diese junge Generation, also die 30-jährigen, ist schon überdrüssig von dieser nationalkonservativen Dominanz, die wir jetzt in den letzten Jahren seit den Kaczynskis, Aufschwung Anfang des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, sie sind dessen überdrüssig und sie wollen sagen, wir sind inzwischen völlig normal. Warum sollten wir Gefangene der historischen Mythen sein?

Scholl: Die Debatte um den umstrittenen Film "Poklosie". Wir haben den Publizisten Adam Krzeminski gehört. Ich danke Ihnen für den Besuch.

Krzeminski: Vielen Dank, danke.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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