Kulturkampf um die Beschneidung
Die derzeit diskutierte Frage, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen zulässig ist, hat Emotionen aufgewirbelt. Das ist kein Wunder, stehen doch wichtige menschenrechtliche Gesichtspunkte zur Debatte: das Kindeswohl, das elterliche Erziehungsrecht und schließlich die Religionsfreiheit. Das sind Themen, für die es sich lohnt zu streiten.
Gleichzeitig geht es dabei auch um das Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Das erklärt die Heftigkeit der Auseinandersetzungen: Wie halten wir es mit der Vielfalt religiöser Überzeugungen und Traditionen? Wo liegen die Grenzen möglicher Toleranz? Eine Antwort auf diese Fragen muss allen im Streit stehenden menschenrechtlichen Normen gerecht werden und die in ihrem Namen vorgebrachten Anliegen ernst nehmen.
Dazu gehört zunächst das Recht des Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit, in das die Beschneidung eingreift. Dass ein solcher Eingriff besteht, kann nicht durch trivialisierende Vergleiche beiseite geschoben werden. Die Knabenbeschneidung ist nicht nur etwas völlig anderes als die Geschlechtsverstümmelung von Mädchen; sie auch etwas ganz anderes als etwa das bloße Durchstechen der Ohrläppchen.
Es handelt sich um einen irreversiblen Eingriff, der in juristischer Betrachtung einen Akt der Körperverletzung darstellt. Die Frage ist, ob ein solcher Akt prinzipiell auch dann gerechtfertigt werden kann, wenn er nicht medizinisch begründet, sondern religiös motiviert ist und wenn die Einwilligung dazu von den Eltern gegeben wird.
Damit kommt die Religionsfreiheit ins Spiel – einschließlich des Rechts der Eltern auf religiöse Sozialisation ihrer Kinder. Anders als in der aktuellen, nervösen Debatte immer wieder unterstellt, gibt die Religionsfreiheit keinen Freibrief für die Aushebelung anderer Menschenrechte. Doch ein generelles Verbot der Knabenbeschneidung wäre ein drastischer Eingriff, den ich nicht für begründbar halte.
Denn es geht hier nicht nur um periphere Fragen von Brauchtumspflege, sondern um einen Kernbereich eines breit geteilten religiösen Selbstverständnisses. Viele der hier lebenden jüdischen und muslimischen Eltern würden eine generelle Verbotsregelung als staatliche Verweigerung des Rechts ansehen, ihre Söhne in die Glaubensgemeinschaft rituell einzuführen.
Diskreditierende Bezeichnungen der Beschneidung als "barbarische Praxis", "Verstümmelung" oder Angriff auf das Kindeswohl haben unter Juden und Muslimen übrigens tiefe Verbitterung ausgelöst. Denn viele muslimische oder jüdische Eltern verstehen den Akt der Beschneidung gerade als Ausdruck ihrer Sorge um das Kindeswohl, das für sie die Einführung in die religiöse Gemeinschaft einschließt.
Beide Aspekte, das elterliche Sorgerecht und die Selbstbestimmung des Kindes in Fragen von Religion und Weltanschauung, gehören grundsätzlich zusammen. Es gibt zweifellos tragische Fälle, in denen der Staat das Kind gegen religiös motivierte Praktiken der Eltern in Schutz nehmen muss. In solchen Fällen handelt es sich aber um Eingriffe, die an strenge Voraussetzungen gebunden bleiben müssen. Deshalb wäre ein generelles Verbot der religiösen Knabenbeschneidung sicher unverhältnismäßig.
In der Debatte der letzten Wochen, ausgelöst durch das Kölner Urteil, gab es viele schrille Töne. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass wir uns in einen Kulturkampf hineinsteigern, der auf allen Seiten Aggressionen mobilisiert.
Vorstellungen, wonach religiöse Rituale in der modernen Gesellschaft nicht zu suchen haben, finden anscheinend in Teilen der Bevölkerung Anklang. Sollten sie dominant werden, so wäre dies für das Zusammenleben in der religiös und weltanschaulich pluralistischen Bundesrepublik ein falsches, ausgrenzendes Signal.
Heiner Bielefeldt, Jahrgang 1958, studierte Philosophie, katholische Theologie und Geschichte in Bonn und Tübingen, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an Juristischen Fakultäten in Mannheim, Heidelberg und Toronto, war Mitglied der Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte der Universität Bielefeld, habilitierte sich in Bremen und leitete das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin, bevor er 2009 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Universität Erlangen-Nürnberg berufen wurde. Seit 2010 ist er zudem UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit.
Dazu gehört zunächst das Recht des Kindes auf körperliche und seelische Unversehrtheit, in das die Beschneidung eingreift. Dass ein solcher Eingriff besteht, kann nicht durch trivialisierende Vergleiche beiseite geschoben werden. Die Knabenbeschneidung ist nicht nur etwas völlig anderes als die Geschlechtsverstümmelung von Mädchen; sie auch etwas ganz anderes als etwa das bloße Durchstechen der Ohrläppchen.
Es handelt sich um einen irreversiblen Eingriff, der in juristischer Betrachtung einen Akt der Körperverletzung darstellt. Die Frage ist, ob ein solcher Akt prinzipiell auch dann gerechtfertigt werden kann, wenn er nicht medizinisch begründet, sondern religiös motiviert ist und wenn die Einwilligung dazu von den Eltern gegeben wird.
Damit kommt die Religionsfreiheit ins Spiel – einschließlich des Rechts der Eltern auf religiöse Sozialisation ihrer Kinder. Anders als in der aktuellen, nervösen Debatte immer wieder unterstellt, gibt die Religionsfreiheit keinen Freibrief für die Aushebelung anderer Menschenrechte. Doch ein generelles Verbot der Knabenbeschneidung wäre ein drastischer Eingriff, den ich nicht für begründbar halte.
Denn es geht hier nicht nur um periphere Fragen von Brauchtumspflege, sondern um einen Kernbereich eines breit geteilten religiösen Selbstverständnisses. Viele der hier lebenden jüdischen und muslimischen Eltern würden eine generelle Verbotsregelung als staatliche Verweigerung des Rechts ansehen, ihre Söhne in die Glaubensgemeinschaft rituell einzuführen.
Diskreditierende Bezeichnungen der Beschneidung als "barbarische Praxis", "Verstümmelung" oder Angriff auf das Kindeswohl haben unter Juden und Muslimen übrigens tiefe Verbitterung ausgelöst. Denn viele muslimische oder jüdische Eltern verstehen den Akt der Beschneidung gerade als Ausdruck ihrer Sorge um das Kindeswohl, das für sie die Einführung in die religiöse Gemeinschaft einschließt.
Beide Aspekte, das elterliche Sorgerecht und die Selbstbestimmung des Kindes in Fragen von Religion und Weltanschauung, gehören grundsätzlich zusammen. Es gibt zweifellos tragische Fälle, in denen der Staat das Kind gegen religiös motivierte Praktiken der Eltern in Schutz nehmen muss. In solchen Fällen handelt es sich aber um Eingriffe, die an strenge Voraussetzungen gebunden bleiben müssen. Deshalb wäre ein generelles Verbot der religiösen Knabenbeschneidung sicher unverhältnismäßig.
In der Debatte der letzten Wochen, ausgelöst durch das Kölner Urteil, gab es viele schrille Töne. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass wir uns in einen Kulturkampf hineinsteigern, der auf allen Seiten Aggressionen mobilisiert.
Vorstellungen, wonach religiöse Rituale in der modernen Gesellschaft nicht zu suchen haben, finden anscheinend in Teilen der Bevölkerung Anklang. Sollten sie dominant werden, so wäre dies für das Zusammenleben in der religiös und weltanschaulich pluralistischen Bundesrepublik ein falsches, ausgrenzendes Signal.
Heiner Bielefeldt, Jahrgang 1958, studierte Philosophie, katholische Theologie und Geschichte in Bonn und Tübingen, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an Juristischen Fakultäten in Mannheim, Heidelberg und Toronto, war Mitglied der Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte der Universität Bielefeld, habilitierte sich in Bremen und leitete das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin, bevor er 2009 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Universität Erlangen-Nürnberg berufen wurde. Seit 2010 ist er zudem UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit.