Kulturkritik

Kultur als Schlagzeile?

Der Künstler Jonathan Meese führt am 26.06.2013 im Nationaltheater Mannheim (Baden-Württemberg) das Stück "Generaltanz den Erzschiller" auf. Die Performance ist Teil der 17. Internationalen Schillertage.
Jonathan Meese zeigt den Hitlergruß: Ein politisches Statement oder nur die Jagd nach der Schlagzeile? © picture alliance / dpa / Uli Deck
Von Rolf Schneider · 23.06.2014
Schriftsteller, Theaterleute, bildende Künstler mischen sich in gesellschaftliche Debatten ein. Nur wenige allerdings wollen Politik machen, manche treibt eher der Geschäftssinn in die Schlagzeilen. Ist also der Beruf des Kulturschaffenden einer wie jeder andere?
Können Kunst und Kultur Schlagzeilen machen? Sollen sie das? Wollen sie das? Tut ihnen das gut?
Es gibt die Kulturpolitik. Sie beschäftigt sich vorrangig mit der Verteilung öffentlicher Gelder und mit der Besetzung von Ämtern. Beides kann umstritten sein und dann für auch schlagzeilenträchtige Aufregung sorgen.
Kunst kann Schlagzeilen machen und hat sie gemacht und zwar vielfach. Nehmen wir als beliebiges Beispiel das Theaterstück "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth, das ein großes mediales Ereignis war. Die Medien, zu denen unser Sender gehört, leben von Berichten über Vorgänge, die Schlagzeilen bringen. Da sich unser Sender vorrangig der Kultur widmet, wäre die kulturelle Schlagzeile sozusagen sein Geschäft.
Das Aufsehen, das Hochhuth Stück einst erregte, hatte politische Gründe. Es ging um die Haltung des Vatikans zu Hitler und zum Holocaust. Dass Kunstwerke sich politischen Gegenständen zuwenden, ist üblich, seit langem. Sie können darin affirmativ verfahren oder kritisch, wobei es in aller Regel Kritik ist, die Aufsehen macht.
Zahl der Tabus nimmt ständig ab
Nun kann auch der Verstoß gegen irgendein Tabu, sagen wir: der sexuellen Art, gesellschaftliches Rumoren erzeugen. Freilich, in unserer permissiven Welt nimmt die Zahl der Tabus ständig ab, doch auch eine ätzende Kritik politischen Inhalts ruft zuweilen bloß noch mattes Achselzucken hervor. Da dies so ist, werden die politischen Inhalte in Kunstwerken derzeit deutlich weniger.
Um bei der Belletristik zu bleiben: Romane und Theaterstücke jüngerer deutschsprachiger Autoren handeln bevorzugt von privaten Problemen, formal meist gekonnt und inhaltlich meist belanglos.
Alles in allem haben wir es hier mit zwei Problemkreisen zu tun: dem Verhältnis von Kunst und Politik und dem Verhältnis der Kunst zum Markt. Kunstwerke wollen gekauft, beachtet, konsumiert werden. Die Schlagzeile verhilft zu größerer Aufmerksamkeit und damit zu mehr Umsatz. Der Schöpfer des Kunstwerks möchte von seiner Arbeit leben können.
Was aber das Verhältnis von Kunst und Politik betrifft, so ist Hochhuths "Stellvertreter" eine Ausnahme insofern, als er faktisch etwas bewirkt hat: eine Neubesinnung innerhalb der Katholizismus und eine Fülle von wissenschaftlichen Untersuchungen.
Politische Kunst ist nur noch brisant in totalitären Systemen
Andere politische Kunstwerke streben Vergleichbares an, doch sie erreichen es nicht. Ein Gedicht von Günter Grass über die Militärpolitik des Staates Israel hat eine Menge Staub aufgewirbelt, aber nichts verändern können. Schlagzeilen hat es immerhin gemacht.
Von wirklicher Brisanz ist kritische politische Kunst nur noch in totalitären Systemen. Alexander Solschenizyns Bücher über den Archipel GULag haben viel zur Ächtung des Spätstalinismus und zur Auflösung der Sowjetunion beigetragen. Die Objektkunst des Chinesen Ai Weiwei hat ihrem Schöpfer Haft und Isolation eingetragen, was dafür spricht, dass die Behörden darin einen Angriff auf ihr Regime sahen.
Wollen aber Kunst und Kultur, wollen die Künstler totalitäre Zustände, um als einflussreiche Instanz wahrgenommen zu werden?
Ich meine, sie wollen es nicht. Also müssen sie mit jener intellektuellen Liberalität leben, die ihresgleichen in der Vergangenheit erstritten haben; die Kulturgeschichte ist auch eine Geschichte der Entfesselung aus Vormundschaft, Unterdrückung und Zensur. Politisches als Inhalt ist heute eine Entscheidung unter mehreren. Der Künstler kann sich als politischer Mensch profilieren oder nicht, eine Wahl, die er mit allen Staatbürgern gemein hat.
Als der österreichische Schriftsteller Peter Handke seine Sympathien für den verurteilten jugoslawischen Autokraten Miloševic öffentlich ausbreitete, hat ihm das einige - auch schlagzeilenträchtige - Entrüstung eingetragen. Geschadet hat es ihm kaum. Ästhetische Einwände brachte es ihm auch nicht.
Was folgt daraus? Die Karrieren von Kunstwerken und Künstler bleiben unberechenbar. Das ist ihr Risiko und ihr Reiz. Die Medien haben bei diesen Karrieren ihren Anteil, mit Schlagzeile oder ohne.
Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller.
Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Veröffentlichungen: u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Schneider, Rolf
Schneider, Rolf© picture alliance / dpa