Die Aussichten sind mies für Deutschlands Literaturszene im Frühjahr 2020: Die Corona-Pandemie sorgt mit dem ersten Lockdown für geschlossene Buchhandlungen und ausgefallene Lesungen. Und danach tun die Angst vor Ansteckungen mitsamt Kontaktbeschränkungen ihr Übriges in einer zunehmend verunsicherten Gesellschaft. Die Konsequenz: Deutschlands Autorinnen und Autoren fürchten um ihre wirtschaftliche Grundlage. Denn auch die Verlage erwarten ein schlechtes Jahr – und prognostizieren einen Umsatzrückgang um durchschnittlich 30 Prozent. Bücher werden verschoben, Programme umgestellt.
Als Reaktion auf diese und ähnliche Sorgen in vielen weiteren Branchen, bringt die Bundesregierung am 17. Juni 2020 – knapp drei Monate nach dem ersten Lockdown – das Programm „Neustart Kultur“ auf den Weg. Mit einer Höhe von einer, später sogar zwei Milliarden Euro wird es das größte Kulturförderprogramm der deutschen Geschichte.
Wohin aber ging das Geld, wie wurden die Mittel eingesetzt – und wer hat davon profitiert? Um diese Fragen zu beantworten, hat ein Team von Deutschlandfunk Kultur in den vergangenen Monaten erstmals alle Programme, Förderrichtlinien und Empfänger von Neustart Kultur im Bereich Literatur gesichtet und ausgewertet. Dazu haben wir einen datenjournalistischen Ansatz gewählt: Die erhobenen Zahlen, Daten, Namen und Summen wurden als Datensatz durchsuchbar gemacht und durch Interviews mit Insidern und Betroffenen flankiert.
Unsere Recherchen zeigen, dass insgesamt mindestens 93,7 Millionen Euro in den Bereich Literatur geflossen sind. Das Geld ging an Buchhandlungen, Verlage, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Übersetzerinnen und Übersetzer sowie Literaturhäuser und Lesebühnen. Zwei Drittel gingen an Institutionen wie Verlage und Lesebühnen. 26 Prozent an Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzer, neun Prozent an Institutionen und Individuen.
Das Geld wurde dabei von der Politik nicht direkt verteilt, sondern mittels zwischengeschalteter Branchenverbände, Stiftungen und Vereine.
Dieses Vorgehen war einerseits gut, weil es die Prozesse beschleunigte. Es war andererseits aber auch schlecht, weil der Staat damit einen Teil der Kontrolle und die Möglichkeit zur direkten Prüfung verlor. Das hatte unter anderem zur Folge, dass mit dem Geld auch rechtsextreme Buchprojekte gefördert wurden, wie unsere Recherchen zeigen.
Die Förderung der Verlage
In Deutschland gab es 2018 etwa 3000 unabhängige Verlage. Da sind die internationalen Dickschiffe wie Penguin Random House, aber auch zahlreiche mittlere, kleinere und Kleinstverlage. Sie alle bewegen sich auf einem seit Jahren langsam, aber stetig schrumpfenden Markt: So ist die Zahl der Buchkäuferinnen und -käufer zwischen 2011 und 2020 um knapp acht Millionen gesunken.
Während der Pandemie aber blieb der Markt stabil, 2021 stiegen die Umsätze sogar deutlich an. “Die Coronajahre waren für die Verlage in weiten Teilen die besten Jahre seit langem”, sagt der Verleger eines renommierten Verlags, der nicht genannt werden möchte. Trotzdem zeigt die Langfristprognose eher nach unten: Bis zum Jahr 2026 prognostiziert Pricewaterhousecoopers (PwC) einen Rückgang des Buchmarktumsatzes.
Corona wäre dann nur ein positiver Ausreißer gewesen.
Womöglich auch wegen der staatlichen Fördergelder? Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels legt in der Krise jedenfalls schnell ein Programm für die Verlage auf. Mit den „Druck- und Produktionskostenzuschüssen für Verlage“ sollten Bücher und Hörbücher gefördert werden, die aufgrund des finanziellen Risikos während der Pandemie nicht produziert worden wären. Denn immerhin stellen die Druckkosten mit circa 31 Prozent den größten Kostenfaktor in der Buchproduktion dar.
Zehn Millionen Euro stellt die Bundesregierung für das Programm parat, doch auch nach einer zweiten Runde sind die Mittel nicht ausgeschöpft: Bis zum Auslaufen des Programms werden nur 6,8 Millionen Euro vergeben.
Aber was für Bücher sind mit den Geldern entstanden?
Deutschlandfunk Kultur konnte als erstes Medium die Liste der geförderten Buchprojekte sichten. Bei der Analyse fällt zunächst ein starker Überhang von Ratgebern und Fachliteratur gegenüber anderen Genres ins Auge: Belletristik, die am Buchmarkt normalerweise einen Anteil von etwa 31 Prozent hat, ist hier nur mit knapp 19 Prozent vertreten. Außerdem wurden deutlich mehr Projekte von Autoren als von Autorinnen gefördert.
Auch inhaltlich sieht diese Liste ganz anders aus als erwartet: Statt vieler Projekte renommierter Verlage aus dem Bereich Belletristik und Hochliteratur findet sich dort eine wilde Mischung von Titeln aus Kleinstverlagen: Etwa das Sachbuch „Der Weg eines Erzdruiden“, das juristische Werk „Eheverträge in der Landwirtschaft“ (3. Auflage) oder der Gartenratgeber „Vom Abfall zum Gartengold. Klärschlammveredlung mit Pyrolyse“. Dazu Computer-Ratgeber zu Windows 10 und MacOS und vieles mehr.
Dazu tauchen Werke auf wie ein Buch des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy oder die Hörbuchfassung von Alice Schwarzers Autobiografie „Lebenswerk”, bei denen bezweifelt werden darf, ob sie nicht auch ohne Hilfsgelder erschienen wären. Der Börsenverein, der letztendlich über die Vergabe der Förderungen entschied, verlässt sich aber auf die Selbstauskünfte der Verlage und lehnt kaum einen Antrag ab: Unter den Buchprojekten finden sich Reiseführer, Kochbücher, Kalender und esoterische Ratgeber – aber auch politisch Randständiges.
Etwa das Hörbuch „Was tun. Leben mit dem Niedergang Europas“ des rechten Publizisten David Engels, gefördert mit 3465 Euro und erschienen im Renovamen Verlag. Dieser Verlag kooperiert laut eigenen Angaben mit dem Institut für Staatspolitik und dem Antaios-Verlag von Götz Kubitschek, dem identitären Jungeuropa-Verlag und anderen Verlagen aus der rechten Szene. Oder der Titel „Deutschland – verraten und verkauft“ von Wolfgang Bittner, gefördert mit der Maximalsumme von 10.000 Euro. Bittner war oftmals Gast in den Videos des
Verschwörungsideologen Ken Jebsen oder im russischen Staatssender RT.
Der Verleger Sebastian Guggolz ist überrascht, als er die Liste der geförderten Bücher sieht: „Die Auswahl ist groß genug, dass man sich fragen muss, wie das zustande gekommen ist. Das ist nicht einfach mal so aus Versehen durchgerutscht. Da ist einfach nicht drauf geguckt worden. Offensichtlich!“ Und auch Daniel Beskos (mairisch Verlag), der als Vorstandsmitglied der Kurt Wolff Stiftung die unabhängigen, kleineren Verlage vertritt, fragt sich, nach welchen Kriterien die Anträge geprüft wurden.
Tatsächlich ist eine qualitative Prüfung der eingereichten Projekte in den Fördergrundsätzen des Programms nicht vorgesehen – eine Jury oder etwas Ähnliches gibt es nicht. Entsprechend beruft sich der Börsenverein darauf, dass man die Kriterien der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) eingehalten habe.
Die BKM wiederum sagt, es sei darum gegangen, möglichst schnell und unbürokratisch zu helfen. Und es liege in der Natur eines Rettungsprogramms, dass man im Rückblick einiges möglicherweise anders gelöst hätte: „Es war eine bewusste Entscheidung, mit dem Programm in die Breite zu wirken. Inhaltliche Prüfungen sind unter dieser Voraussetzung nicht möglich.“
Und man weist darauf hin: Die BKM war in die Bearbeitung der Anträge nicht eingebunden, das sei Sache des Börsenvereins gewesen – auf Grundlage der zuvor untereinander abgestimmten Förderkriterien.
Steuergeld für rechtsextremistische Bücher
Noch deutlich problematischer wird es an anderer Stelle. Da ist etwa Martin Wageners Buch „Kulturkampf um das Volk“, gefördert mit 7500 Euro: Es wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz nach Berichten des rbb-Magazins „Kontraste” in Teilen als extremistisch eingestuft – Wagener selbst bestreitet das.
Der Verfassungsschutz begründet die Einstufung mit der zentralen These des Buches: „Die Bundesregierung unter Angela Merkel versucht, aus der deutschen Kulturnation eine multikulturelle Willensnation zu machen. Diese Politik wird gegen große Teile des Volkes durchgesetzt, die in Umfragen immer wieder erkennen lassen, das Projekt nicht zu unterstützen.” Solche und weitere Passagen haben für Wagener einschneidende Konsequenzen: Der Politologe hat bis dahin für den Bundesnachrichtendienst angehende Geheimdienstler ausgebildet. Nach der Überprüfung seines Buches
wird ihm der sogenannte Sicherheitsbescheid entzogen.
Noch eindeutiger ist die Situation beim Forsite Verlag und den 2867,30 Euro für das Buch „Herman Wirth. Leben - Werk - Wirkung“. Herman Wirth – das lässt sich mit einer einfachen Google-Suche sehr schnell herausfinden – war ein völkischer Esoteriker, der in der NS-Zeit zusammen mit dem „Reichsführer SS” Heinrich Himmler die „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe” gründete.
Der Rechtsextremismus-Experte Jan Raabe kennt Wirth und kommt zu der Einschätzung, Wirth „war mit Sicherheit Antisemit und seine Lehren hatten eine Schnittmenge zur nationalsozialistischen Rassenideologie im Bereich dieses nordisch-arischen Menschenbildes.” Und auch der Historiker Willi Oberkrome von der Universität Freiburg bewertet Wirths Schriften als antisemitisch. Wirth sei eine Art „Germanenschwurbler” gewesen, bestätigt Oberkrome.
Nun gibt es natürlich viele Bücher, die sich wissenschaftlich-kritisch mit den Vordenkern und Funktionären des Nationalsozialismus auseinandersetzen. In diesem Fall trifft das eher nicht zu: Der Forsite Verlag sowie der Parzifal Versand, der das Buch vertreibt, werden beide laut Impressum von Dennis K. betrieben. Und der sei „heute innerhalb der extremen Rechten, und ich sage noch mal vielleicht etwas genauer: zum Teil auch im Bereich des Neonazismus, relativ gut verankert und vernetzt”, sagt Rechtsextremismus-Experte Jan Raabe.
So schrieb Dennis K. etwa für das Magazin „Nationaler Sozialismus Heute” – abgekürzt N.S. Heute – mit dem Werbespruch „Unser Name ist Programm“. Zudem firmiert er als Herausgeber des Magazins „Reconquista“. Beide werden seit Jahren vom Verfassungsschutz in NRW als „rechtsextrem“ eingestuft. Im Impressum seines Versands und seines Magazins ist eine Adresse in Dortmund angegeben, die bekannt ist für die berüchtigte Dortmunder Neonazi-Szene.
Neben dem Buch über Herman Wirth erhielt Dennis K. auch Fördergelder für ein zweites Buch: Es handelt sich laut Antrag um ein Kinderbuch, „das Sagen und Geschichten enthält, die Kindern ab 10 Jahren moralisches Empfinden, ein Wertebewußtsein [sic!] und ein gesellschaftliches Miteinander” vermitteln solle.
Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.© picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Konfrontiert mit diesen Funden antwortet der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Peter Kraus vom Cleff: „Bei der Förderung haben wir uns an die öffentlich einsehbaren Kriterien der BKM gehalten und nicht qualitativ Unterschiede gemacht. Das heißt, wenn die Förderkriterien eingehalten wurden, haben wir die Gelder zugeteilt.”
Er verweist darauf, dass die antragstellenden Verlage per Opt-In-Häkchen im Onlineantrag erklärt hätten, mit dem staatlichen Geld „keine jugendgefährdenden, gewaltverherrlichenden, verfassungsfeindlichen oder strafbaren Inhalte” zu produzieren.
Auf dieselbe „Grenze der Förderfähigkeit” verweist auch das Haus von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Und man ergänzt, dass der Börsenverein bei Verstößen dagegen das Recht habe, die Fördersumme zurückzufordern. Aus Berlin ergeht abschließend der Rat: „Entsprechenden Hinweisen sollte der Börsenverein nachgehen.“
Die geförderten Buchprojekte Um die Verwendung der Neustart-Mittel transparent zu machen, haben wir uns entschieden, die Liste der geförderten Verlage inklusive der beantragten Buchtitel zu veröffentlichen. Druck und Produktion von jedem dieser Bücher wurden mit Summen von bis zu 10.000 Euro bezuschusst. Die vollständige Liste findet sich hier.
Der Buchhandel
Neben dem Programm für die Verlage organisiert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels auch Coronahilfen für die Buchhandlungen. Insgesamt 17,8 Millionen Euro werden in Form einer „Anerkennungsprämie” sowie einem Programm zur „Digitalisierung der Vertriebswege” verteilt.
Viel Geld für Deutschlands Buchhändler – aber nicht alle in der Branche finden das auch richtig. Kritik wird allerdings nur hinter vorgehaltener Hand geübt. So sagt eine Buchhändlerin, die anonym bleiben möchte, aus ihrer Sicht hätten andere Branchen solche Subventionen nötiger gehabt: „Mir hat sich nicht erschlossen, warum Buchhandlungen einen Neustart Kultur brauchen. Wir konnten doch im Großen und Ganzen ‘ganz normal’ weiterarbeiten und haben auch Geld verdient. Bei kleineren Verlagen und Autor*innen, die auch auf Lesungen etc. angewiesen sind, sieht das sicher anders aus.”
Aber das sehen längst nicht alle in der Branche so: Die „Anerkennungsprämie” von bis zu 25.000 Euro ist bei den Buchhändlerinnen und -händlern so begehrt, dass der Etat von zehn auf 14 Millionen Euro inklusive Verwaltungskosten aufgestockt wird. Das Geld wird direkt ausgezahlt, die Verwendung bleibt den Buchläden überlassen. Ob die Pandemie die Umsätze drückt oder wie dringend eine wirtschaftliche Unterstützung gebraucht wird, spielt keine Rolle.
Ganz anders läuft es bei der „Digitalisierung der Vertriebswege”. Hier konnten Buchhandlungen Geld für neue Notebooks, einen benutzerfreundlichen Webshop oder eine ansprechende Homepage beantragen, bis zu 7500 Euro. Auch hier stehen zehn Millionen Euro zur Verfügung, von denen bis zum Auslaufen des Programms aber nur rund 4,4 Millionen Euro ausgezahlt werden.
Da mehr als genügend Geld vorhanden ist, werden nahezu alle Anträge genehmigt: Die Förderquote beträgt stolze 99 Prozent.
Die Autorinnen und Autoren
Während sich der Börsenverein um den Buchhandel und die Verlage kümmerte, legte der Deutsche Literaturfonds verschiedene Programme für Autorinnen und Autoren auf – und für die Veranstaltungsorte, an denen Literatur stattfindet: Für das Programm „Tausende literarische (Wieder-)Begegnungen mit Autorinnen und Autoren” können sich etwa Bibliotheken, Buchhandlungen oder Literaturhäuser bewerben, mit einzelnen Veranstaltungen oder ganzen Reihen.
Mittelbar profitieren aber natürlich auch die auftretenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller von den „(Wieder-)Begegnungen”. Denn Lesungen und Veranstaltungen bilden – neben den Zahlungen der Verlage – ein wichtiges wirtschaftliches Standbein für viele Autoren: „Für die allermeisten Schriftsteller und Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum ist es so, dass sie von den Bucheinnahmen allein nicht leben können”, erklärt der Schriftsteller Matthias Nawrat.
Das Leben als Autor sei immer eine Mischkalkulation: Da seien die Vorschüsse der Verlage und – wenn sich ein Buch richtig gut verkaufe – auch Einnahmen über die Verkaufszahlen. „Und bei mir kommt eben hinzu, dass ich unter anderem auf Veranstaltungen angewiesen bin, von denen ich immer so im Schnitt 20 bis 30 im Jahr habe.”
Entsprechend groß sind die Auswirkungen, wenn diese Veranstaltungen von einem auf den anderen Tag wegfallen – so wie während der Pandemie. Daher blicken viele, die an diesen Lesungen teilgenommen haben, sehr positiv auf das Programm „(Wieder-)Begegnungen” - darunter auch Nawrat: „Ab irgendeinem Moment gab es ja dann wieder Veranstaltungen, und die wurden häufig auch gefördert. Und da habe ich auch tatsächlich an einigen teilgenommen. Und das gab dann auch immer wieder so kleine Beträge.”
Neben dem Literaturfonds wandte sich auch die VG Wort mit ihrem Stipendium an Autorinnen und Autoren: Sie vergab je 5000 Euro an fast 3000 Menschen – insgesamt rund 15 Millionen Euro. Wen genau sie dabei im Einzelnen unterstützt hat und welche Buchprojekte sie für förderungsfähig hielt, hat die VG Wort nicht offengelegt. Die Begründung: Datenschutz.
Klar ist aber: Großverdiener unter den Schriftstellern mit einem Jahreseinkommen über 60.000 Euro waren ausgeschlossen. Das Programm war damit denen vorbehalten, die es nötig hatten. Menschen wie dem Münchner Sachbuchautor Dirk Liesemer, der zu Beginn der Pandemie gerade ein Buch veröffentlicht hatte, ein Reisebuch über Nachtwanderungen.
Das Werk fiel genau in die Zeit, „in der die ganze Reisebuchbranche wahnsinnig gelitten hat – und damit dann auch mein Buch“, erzählt Liesemer. Dazu kam, dass auch bei ihm einige geplante Vorträge und Lesungen ausfielen. Da kam das Stipendium der VG Wort gerade recht.
Das war auch recht einfach. Man musste ein paar Sachen einreichen und sein Vorhaben darstellen. Man musste auch einen Zeitplan erstellen. Und das habe ich gemacht, und das lief dann auch problemlos.
Autor Dirk Liesemer
Den Eindruck von Dirk Liesemer bestätigen viele weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Das Stipendium sei unbürokratisch, ausgesprochen fair und künstlerfreundlich gewesen. Einige Personen sprachen im Hinblick auf die VG Wort von „paradiesischen Zuständen“, andere gar von „einem kurzen Moment eines bedingungslosen Einkommens für Künstler“ – wenn auch auf wenig Geld und wenig Zeit beschränkt.
Die Übersetzerinnen und Übersetzer
Womöglich noch etwas schwerer als die Autorinnen und Autoren haben es auf dem deutschen Buchmarkt oftmals diejenigen, die die Werke in andere Sprachen übertragen. Für sie führt der Deutsche Übersetzerfonds insgesamt zehn verschiedene Neustart-Programme durch. Wie unsere Analysen zeigen, kommt es dabei zu personellen Überschneidungen und möglichen Interessenkonflikten. So sitzen Personen in den Jurys, die selbst von den verteilten Fördermitteln profitieren.
Von insgesamt 23 Personen, die in den verschiedenen Jurys über die Verteilung der Gelder entscheiden, erhalten letztendlich zehn auch Fördermittel – allerdings in keinem Fall aus den „eigenen”, sondern jeweils aus benachbarten Programmen des Fonds. Einige Jurymitglieder werden auch mehrfach gefördert.
Der Deutsche Übersetzerfonds sagt dazu: „Das Mitwirken eines Antragstellers in einer ‘benachbarten’ Jury bedeutet keinen Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus gelten in allen unseren Jurys Befangenheitsregeln. Eine Vermischung von Interessen hat nicht stattgefunden.”
Auch das Haus der BKM weist darauf hin, dass Corona die Einkommenssituation vieler Übersetzenden, aber auch der Autorinnen und Autoren, drastisch verschlechtert habe. Aus diesem Grund sei die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichen Projekten zu bewerben, gezielt eingeräumt worden.
Die Buchmessen
Während Übersetzerfonds und Literaturfonds, VG Wort und Börsenverein das Geld an ihre jeweilige Klientel weiterreichen, werden die beiden großen Buchmessen Deutschlands aus dem Haus der Kulturstaatsministerin direkt unterstützt: Insgesamt 17,5 Millionen Euro an Neustart-Geldern flossen nach Leipzig und Frankfurt.
Auf der Herbstmesse am Main wurden die Gelder unter anderem verwendet, um den ausstellenden Verlagen und Unternehmen bei den Standmieten entgegenzukommen: Die Messe gewährte, je nach Standgröße, Rabatte von bis zu 50 Prozent. In den Jahren 2021 und 2022 zusammen konnten Standbetreiber somit Kosten in Höhe von 2,1 Millionen Euro sparen.
Anders als der Branchenprimus aus Frankfurt ist die Leipziger Buchmesse in den vergangenen drei Jahren stets ausgefallen. Fördergeld gab es aber trotzdem: Zwei Millionen Euro flossen 2022 nach Leipzig. Damit seien „unter anderem die Kosten für die Organisation der dann ausgefallenen Messe kompensiert” worden. Weiteres Geld sei in Preisverleihungen sowie eine Veranstaltungsdatenbank geflossen. Wie viel genau für was verwendet wurde, ist auch auf mehrfache Nachfrage nicht zu erfahren.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth© picture alliance / PIC ONE / Ben Kriemann
Aus dem Haus von Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird die Zahlung an die Buchmesse bestätigt. Die kurzfristige Absage der Messe sei von der Kulturstaatsministerin zwar sehr bedauert und auch kritisch kommentiert worden – dennoch seien bis dahin schon erhebliche Kosten angefallen. Diese Förderung habe die Buchmesse behalten dürfen: „Wir haben damit der Leipziger Buchmesse in der Stunde der Not geholfen und die Folgen der Pandemie gelindert.”
Klar ist dagegen: Während die Leipziger Messe Geld bekam, obwohl sie nicht stattfand, erhielt die von einigen Verlegern privat organisierte „buchmesse popup” keine Unterstützung – zwischen den Organisatoren und der BKM gab es keinen Kontakt.
Nachdem sie dreimal coronabedingt ausgefallen ist, findet auch die offizielle Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr wieder statt, zum ersten Mal seit 2019. Vom Bund erhält die Messegesellschaft eine Förderung in Höhe von drei Millionen Euro. Auch hier wird das Geld zum Teil für automatisch abgezogene Standmieten-Rabatte verwendet – „Aussteller müssen nichts tun”.
Die Branche ist dankbar
Mindestens 93,7 Millionen Euro sind in den vergangenen Jahren über Neustart Kultur in die deutsche Buchbranche geflossen. Gefragt nach einer Bewertung, wie gut diese Programme funktioniert haben, kommen viele zu einem sehr positiven Fazit. So sagt etwa Lena Falkenhagen, die Vorsitzende des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ver.di (VS): „Es ist gut, dass es das gab. Ich habe mich gefreut, dass die Kultur auch, wie ich fand, so überraschend hoch gefördert wurde.”
Und der Verleger Sebastian Guggolz ergänzt: „Wenn man sich anschaut, wie viel an Struktur – sowohl bei den Institutionen als auch bei den Schreibenden und überhaupt Literaturschaffenden – über die Zeit gerettet wurde, glaube ich, muss man sagen: Es war einigermaßen erfolgreich.”
Der Schriftsteller Matthias Nawrat stimmt zu: „Ich finde es erstmal überhaupt gut, dass die Politik darauf reagiert hat, dass Gelder generiert wurden. Und dass es aus meiner Sicht schon relativ unkompliziert war, sich zumindest für Dinge zu bewerben. Und in meinem Fall habe ich ja auch was bekommen. Und dafür bin ich dankbar.”
Offenlegung: Einer der Beteiligten dieser Recherche wurde mit Geldern aus dem Corona-Rettungsprogramm Neustart Kultur unterstützt. Alexander Krützfeldt erhielt das Autoren-Stipendium der VG Wort in Höhe von 5000 Euro.