Kulturschaffende im Dienst der NS-Propaganda

Nicht nur zahllose Wissenschaftler, Juristen oder Beamte konnten nach dem Ende des Dritten Reichs ihre Karriere in der Bundesrepublik ungehindert weiterverfolgen. Auch viele Künstler, die in die Propagandamaschine der NS-Diktatur verstrickt waren, setzten nach dem Krieg ihr künstlerisches Schaffen fort. Ernst Klee zeichnet in seinem Kulturlexikon die Biografien zahlreicher Kulturschaffender nach.
Unter den 4000 Personen, die Ernst Klee in seinen Lexikoneinträgen zusammengefasst hat, sind auch hunderte Opfer, die fliehen mussten, die gequält und umgebracht wurden. Das unterscheidet dieses Lexikon zum Kulturbetrieb vom ersten Personenlexikon Klees, in dem die Beteiligten am Massenmord – KZ-Personal, SS- und Polizeiführer – im Vordergrund standen, neben den Säulen des NS-Staates aus Wissenschaft, Justiz und Wirtschaft. Die Mehrheit der aufgeführten Personen ist jedoch auch im neuen Band auf der Seite der Mitläufer, der Unterstützer und der Täter zu finden. Viele von ihnen verehrten Hitler als den "ersten Künstler der Nation". Einige weinten nach dem Kriege der alten Zeit hinterher. Der Verteidiger im Entnazifizierungsverfahren von Winifred Wagner und Emmy Göring sagte zum Beispiel: "Zum ersten – und leider auch bis jetzt zum letzten – Mal wurde der schaffende Künstler vom Staat verwöhnt und umworben."

Dabei ging es den meisten auch später in der Bundesrepublik nicht schlecht. Ilse Werner, Jahrgang 1921, war ein Jungstar im Dritten Reich, spielte die Hauptrolle im Staatsauftragsfilm "Wunschkonzert" – NS-Prädikat "staatspolitisch wertvoll" – und war ein gern gesehener Gast in Goebbels Radiosendung "Wunschkonzert für die Wehrmacht" zur – so Klee – "der Hebung der Truppenmoral und Leidensbereitschaft". In der Bundesrepublik hatte Ilse Werner zwar zunächst Berufsverbot, stand aber 1950 zusammen mit Curd Jürgens vor der Kamera im Film "Die gestörte Hochzeitsnacht", drehte weitere Filme und erhielt 1986 das Filmband in Gold. Curd Jürgens wirkte als der "neue blonde Deutsche" in 16 Filmen der NS-Zeit mit. In den 50er Jahren wurde er zum Star in der Bundesrepublik, später auch international bekannt. Er spielte an der Seite von Brigitte Bardot, Ingrid Bergmann und Orson Welles. 1981 erhielt auch Curd Jürgens das Filmband in Gold. In seinen 1976 erschienen Memoiren "… und kein bisschen weise" setze er sich jedoch kritisch mit der Filmwelt der NS-Zeit auseinander, schreibt Ernst Klee, was bei den Filmschaffenden, die nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzten, eher selten vorkam.

Der Autor hat die Liste der "Gottbegnadeten" aus dem Reichspropaganda-Ministerium ausgewertet, das waren die für Hitler und Goebbels wichtigsten Künstler, deren Ruhm sie für ihre Propaganda nutzten. Dazu gehörten der Dirigent Wilhelm Furtwängler oder die Schauspieler Heinz Rühmann und Gustaf Gründgens. Es finden sich jedoch auch weniger bekannte Namen in dem Lexikon, und immer wieder zwischen den Namen der Mitläufer und Mitmacher sind auch die Opfer unter den Kulturschaffenden aufgeführt. Ein Beispiel ist Kurt Gerron, der in der Uraufführung der Dreigroschenoper am Berliner Theater am Schiffbauerdamm in der Rolle des korrupten Polizeichefs von London den Kanonensong vortrug. Am 1.4.1933, dem Tag des "Judenboykotts", wurde er aus dem UFA-Filmstudio vertrieben und floh, landete schließlich in Holland, kam ins Lager Westerbork, dann nach Theresienstadt. In beiden Lagern stand er auf der Kabarettbühne, sang auch noch mal den Kanonensong. Er musste am Propagandafilm über Theresienstadt mitwirken, danach wurde er nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Opfer, Widerständige, Mitläufer, Vordenker der Nazis, Täter: Sie alle, schreibt Klee, repräsentieren die deutsche Kultur im Dritten Reich. Das Buch ist ein Lexikon, aber ein ganz besonderes. Bekanntes kann noch einmal nachgelesen werden; es ist aber auch viel neues zu erfahren über berühmte und weniger berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler: welch dubiose, naive oder berechnende Rolle sie in der NS-Zeit gespielt haben – nicht im Film oder auf der Bühne, sondern im täglichen Leben.

Auf der Seite der Opfer steht Fritz Löhner-Beda, Librettist Franz Lehárs, bekannt durch die Operette "Das Land des Lächelns", Texter von Erfolgsschlagern wie "Ich hab’ mein Herz an Heidelberg verloren". Löhner-Beda glaubte noch als Latrinenleerer im KZ Buchenwald daran, dass Lehár als "Lieblingskomponist des Führers" ihn herausholen würde. Er wurde jedoch nach Auschwitz deportiert, wo ihn Aufseher zu Tode traten und schlugen. Klee beschreibt dies sachlich, unterlegt seine Einträge aber auch mit eindringlichen Zitaten, wo sie ihm zur Verfügung stehen. Er wollte ein lexikalisches Mahnmal setzen. Das ist ihm gelungen.

Ernst Klee, der Theologie und Sozialpädagogik studierte, hat sich schon in den 80er Jahren mit seinen Publikationen über die Verbrechen im Dritten Reich einen Namen gemacht. Er schrieb über die " ‚Euthanasie’ im NS-Staat, die Vernichtung ‚lebensunwerten’" Lebens. Für sein Buch "Auschwitz, die NS-Medizin und ihrer Opfer" erhielt er 1997 den Geschwister-Scholl-Preis.

Sein Motiv für ein Kulturlexikon zum Dritten Reich liegt auf der Hand. "In einschlägigen Lexika", schreibt er, "wird die Vita vieler Künstler durch Verschweigen von NS-Funktionen und Ehrungen geschönt, mehr noch, vielen wird Verfolgung angedichtet." Das hat er jetzt richtiggestellt, in dem er ihre Lebensläufe um einige Daten vervollständigte. Als Quellen dienten ihm Archivbestände des Bundesarchivs in Koblenz, aber auch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, außerdem Jahr- und Tagebücher, diverse Listen, Lexika und sehr viel Sachliteratur, Biographien, Autobiographien und Anthologien. Die Liste der Literatur und Quellen ist lang, sie belegt, dass der Autor seit vielen Jahren mit dem Thema befasst ist. Ein Begriffslexikon im Anhang macht es auch dem historisch ungeschulten Leser leicht, sich zurechtzufinden. Sowohl für interessierte Laien als auch für Wissenschaftler ist Klees Kulturlexikon ein wertvolles Nachschlagwerk und darüber hinaus ein Buch, das immer wieder zum Nachlesen und zum Weiterlesen animiert.

Rezensiert von Annette Wilmes

Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich – Wer war was vor und nach 1945
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
715 Seiten, 29,90 Euro