Kultur als Lebensmittel - gerade in der Corona-Krise
29:49 Minuten
Kultur ist ein Lebensmittel, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters, auch und gerade in Zeiten von Corona. Damit unsere einzigartige Kulturlandschaft die Krise überstehen könne, brauche es nicht nur viel Geld, sondern auch clevere Ideen.
Der Kulturbetrieb ist von der Corona-Krise "massivst betroffen", stellt die zuständige Staatsministerin Monika Grütters fest. Das Virus sei so etwas wie ein "Angriff auf ein Lebensmodell". Leidtragende seien Künstler und Kreative, denen der Lebensunterhalt wegbricht, aber auch das Publikum und die Gesellschaft als Ganzes.
Denn Kultur sei "das kritische Korrektiv einer echten Demokratie geworden", sie helfe "Antworten auf Sinnstiftendes zu finden", so die CDU-Politikerin.
Denn Kultur sei "das kritische Korrektiv einer echten Demokratie geworden", sie helfe "Antworten auf Sinnstiftendes zu finden", so die CDU-Politikerin.
Milliardenschweres Programm
Mit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens habe die Politik den Künstlern und Kreativen so etwas wie ein Berufsverbot erteilen müssen.
Darum unternehme der Staat nun große Anstrengungen, die Folgen dieser Maßnahmen abzumildern: Ein milliardenschweres Programm zur Hilfe für den Lebensunterhalt für Soloselbstständige und Kleinunternehmer komme freischaffenden Künstlern zugute, etwa durch Mietzuschüsse und Kinderzuschläge. Ferne gebe es Soforthilfen für Betriebskosten, die beispielsweise Buchhändler, Galeristen oder Kinobetreiber weiter zu zahlen haben, wenn ihre Betriebe geschlossen sind.
Im Blick hat Monika Grütters auch Gruppen im Kulturbetrieb, die durchs Raster zu fallen drohen, wie Musiker oder Tänzer ohne festes Engagement. Für deren geplante Auftritte, die wegen der Krise abgesagt werden mussten, soll es Ausfallhonorare geben. Das Geld dafür sei da.
Notfallfonds Kultur
Neben diesen Einzelmaßnahmen ist die Kulturstaatsministerin im Gespräch mit ihren Länderkollegen, dem Bundesfinanzminister und den Kulturverbänden über einen Rettungsschirm für die Kultur, um etwa Privattheater, Festivals oder Programmkinos vor dem Ruin zu bewahren. Die Verhandlungen verliefen konstruktiv, sagt Monika Grütters, aber die genaue Größenordnung eines Notfallfonds Kultur könne sie noch nicht nennen.
Es gehe nicht nur um Überlebenshilfen, sondern auch darum, trotz Krise wenigstens einen eingeschränkten Kulturbetrieb zu ermöglichen. Dafür gebe es Geld für Maßnahmen - vom Spuckschutz an der Theaterkasse bis zur Corona-gerechten Hygiene auf den Toiletten.
Dennoch geht die Staatsministerin davon aus, "dass das Kulturleben nur sehr schrittweise wieder anspringen kann – unter komplett veränderten Bedingungen gegenüber der Normalzeit, an die wir uns gewöhnt haben".
(pag)
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Das Virus hat uns fest im Griff. Betriebe und Schulen standen oder stehen still. Und gerade auch die Kultur hat die Rollladen runterlassen und zusperren müssen. Museen, Gedenkstätten und Literaturhäuser, Konzertsäle, Klubs und Kinos sind geschlossen. Orchester und Schauspieler können nicht einmal mehr proben. Und auch Musikunterricht, für viele freischaffende Musiker die eigentliche Existenzgrundlage, konnte höchstens noch als Video-Schalte stattfinden.
Wie die Kulturschaffenden mit dieser Situation umgehen, wie sie vielleicht über die Runden kommen und was es für Perspektiven für eine Wiederauferstehung der Kultur gibt, das soll uns die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters erklären. – Schön, dass Sie Zeit für dieses Gespräch haben.
Monika Grütters: Ja, freue ich mich auch drüber.
Deutschlandfunk Kultur: Zwei große Maßnahmenpakete hat die Bundesregierung geschnürt, die auch Kulturschaffenden zugutekamen und kommen, zum einen mit Betriebskostenzuschüssen und zum anderen mit einem Sozialschutzpaket, das eine Art Grundsicherung ermöglichte, die einfacher zu beantragen war und auch mit geringerem Prüfaufwand gewährt wurde. Das hat geholfen, aber Teile der Kultur und der Kreativwirtschaft stehen doch ziemlich blank da. Deshalb arbeiten Sie an weiteren Maßnahmen.
Welche Notlagen wollen Sie denn mit dem, woran Sie arbeiten, vor allem lindern? Was springt Ihnen vor allem ins Auge?
"Coronakrise trifft uns alle ins Mark"
Grütters: Man muss überhaupt einmal ehrlicherweise feststellen: Wir haben gerade den Künstlern und Kreativen als erstes so etwas wie ein Berufsverbot erteilen müssen, weil alles das, was diese wunderbaren Menschen uns bieten, ist ja auf ein Publikum abgestellt. Diese Publikumsansammlungen waren ja und sind das Infektionsrisiko. Deshalb trifft diese Corona-Krise uns alle wirklich ins Mark. Und es ist der Kulturbetrieb massivst betroffen. Das ist so eine Art Lebensnerv, der jetzt abgeknipst wird. Ich habe immer mal gesagt: "Das Virus ist so etwas wie ein Angriff auf ein Lebensmodell." Nicht nur der Künstler und Kreativen, die – wie gesagt – ihre ganze Arbeit ja auf ein Echo im Publikum abstellen, sondern das betrifft ja auch uns, das Publikum. Wir haben nach sehr kurzer Zeit, glaube ich, gemerkt, was uns alles fehlt, dass Kultur nicht etwas ist, was man sich nur in guten Zeiten wie so eine Art Luxus leistet, sondern dass das tatsächlich ein fundamentales Lebensprinzip betrifft hier in Deutschland. Die Kultur ist so was wie der Modus unseres Zusammenlebens geworden – zum Glück. Nun ist das alles lahmgelegt. Da blutet mir selber eben auch das Herz, und zwar nicht nur als Kulturpolitikerin, sondern auch als Publikum und als größte Künstlerfreundin.
Mit dem ersten großen milliardenschweren Programm haben wir tatsächlich mit zehn Milliarden mal auf die persönliche Lebenssituation vieler Solo-Selbständiger und Klein- und Kleinstunternehmer und eben denjenigen Künstlern abgestellt, die tatsächlich in eher bescheidenen Verhältnissen häufig leben. Die können für ihre Sicherung der persönlichen Lebensumstände ein halbes Jahr die Miete gezahlt bekommen, plus die Heizung. Sie bekommen für jedes Kind einen Kinderzuschlag. Und alle in dem Haushalt Lebenden bekommen eine Grundsicherung – und das ohne die sonst in Sozialfällen wie diesen übliche Vermögensprüfung. Da darf ein relativ großes Vermögen auf dem Konto sein. Und es werden auch die vor allen Dingen Altersrückstellungen nicht angetastet.
Deutschlandfunk Kultur: Wissen Sie, in welchem Umfang das genutzt worden ist von Künstlerinnen und Künstlern, von Kulturschaffenden?
Hilfen für Künstler und Kulturschaffende
Grütters: Also, da liegen uns statistisch keine Zahlen vor. Das machen ja die Job-Center. Die erfragen in der Tat die Bedürftigkeit zwar, aber ich glaube nicht, dass sie in erster Linie nach der Berufsbezeichnung fragen. Es ist nur so, dass die Künstlerinnen und Künstler, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, bei denen kann man das sofort mit einem Blick eben erfassen. Aber das sind nur 51 Prozent unserer Zielgruppe, weil es auch schwierige Eingangshürden für die Künstlersozialkasse gibt. Deshalb wissen wir das nicht hundertprozentig, wie viele – ich sage mal – Fußpflegerinnen oder Tontechniker oder Maskenbildner und wie viele Künstler dann dabei sind. Aber ich denke mal, dass dieses Programm tatsächlich auf eine große Zielgruppe sehr heilend wirkt.
Das Zweite ist: Wir haben Soforthilfen bereitgestellt zum Bewältigen von Betriebskosten, also zum Beispiel für Buchhändler, für jemanden, der ein Atelier hat, für Galeristen, für Musik-Klubs, für Kinobetreiber. Die bekommen, wenn sie bis zu fünf Mitarbeiter haben 9 000, und wenn sie bis zu zehn Mitarbeiter haben 15 000 Euro, um erstmal ihre Betriebskosten, in der Regel sind das Mieten, bewältigen zu können. Auch das ist flächendeckend sehr gut angekommen. Das sind Soforthilfen, die wirklich…
Deutschlandfunk Kultur: Das sind die beiden Pakete, über die ich sprach.
Die durchs Raster fallen
Grütters: Genau. Das sind die Pakete, die wir seit März auch anbieten und die ankommen.
Aber es gibt natürlich Zielgruppen, die da durchs Raster fallen. Das ist uns bekannt. Da versuchen wir jetzt drauf Rücksicht zu nehmen. Das ist zum Beispiel eine Gruppe freischaffender Künstlerinnen und Künstler aus vielen Sparten. Da sind Autoren dabei, die Lesungen in den Literaturhäusern abhalten. Oder es sind natürlich Tänzer. Es sind Schauspieler. Es sind Sänger, Musiker, die in der Regel auf unseren staatlich finanzierten Bühnen auftreten und die nicht fest im Ensemble sind, sondern sich tatsächlich von Engagement zu Engagement ernähren und das bisher sehr gut konnten.
Deutschlandfunk Kultur: Praktisch keinen Betrieb haben mit Betriebskosten, sondern unabhängige Selbständige, Freischaffende sind.
Grütters: Ganz genau, die also in der Tat kein Equipment oder keine Miete geltend machen können, sondern tatsächlich von ihren Gagen gelebt haben. Auf die versuchen wir jetzt zuzugehen durch die Zahlung von Ausfallhonoraren.
Für alle, die tatsächlich bis zum 15. März einen Vertrag hatten für Aufführungen, die in den nächsten Monaten bis Jahresende hätten stattfinden sollen, plädiere ich dafür an die Veranstalter – und mit denen ist das auch verabredet –, dass auf Gagen bis zu 1 000 Euro am Abend 60 Prozent gezahlt wird, das ist analog zu dem, was die Ensemble-Mitglieder, die in Kurzarbeit sind, bekommen für ihr Gehalt. Und für höhere Gagen werden 40 Prozent Abschläge gezahlt mit einer maximalen Höhe von zweieinhalb tausend Euro pro Gage. Das adressiert tatsächlich die vielen Freischaffen, vor allen Dingen Künstler, die auf Bühnen auftreten.
Und das Geld dafür gibt es. Denn auf den Bühnen, in den Konzerthäusern oder bei den Opernhäusern, bei den Theatern sind diese Gagen ja alle eingepreist in den Jahresbudgets, die ja verabschiedet sind und zur Verfügung stehen. Deshalb plädiere ich sehr an die Intendanten, diese Abschläge an die Freischaffenden, bei ihnen solistisch engagierten Leute jetzt auch auszureichen. Bisher war das haushaltsrechtlich problematisch, aber da habe ich mit Hilfe des Finanzministers den Weg für frei gemacht. Und die bundesgeförderten Einrichtungen verfahren jetzt flächendeckend so.
Deutschlandfunk Kultur: Haben Sie ein Echo aus den Ländern, ob auch die ländergeführten Institutionen da mitziehen?
Ausfallhonorare für geplatzte Aufführungen
Grütters: Ich habe erstens mit allen Kulturministerkolleginnen und -kollegen aus den Ländern darüber gesprochen und zweitens mit allen Verbänden, also mit dem Bühnenverein für die Theater, mit der Orchester-Stiftung, die eben für die einschlägigen Konzerthäuser zuständig ist, und auch mit der Opernkonferenz. Die Intendanten sind froh, wenn sie diese Gagen auszahlen können, denn sie möchten auch gerne mit den Solisten, die sie regelmäßig beschäftigen, ein gutes Verhältnis wahren und denen natürlich auch über diese Krise helfen.
Ich gehe davon aus, dass die Häuser, die in kommunaler oder Landesträgerschaft sind, der Bund betreibt ja kein einziges Theater und kein einziges Opernhaus, dass also diese Häuser…
Deutschlandfunk Kultur: Obwohl Daniel Barenboim das so gerne möchte.
Grütters: … in anderer Trägerschaft jetzt dem Bundesbeispiel folgen und tatsächlich diese Ausfallhonorare finanzieren.
Deutschlandfunk Kultur: Da geschieht also eine ganze Menge. Das kommt auch an. Gleichwohl ist diese Situation ja für viele, die indirekt, mittelbar da tätig sind, auch von Pädagogen über kleine Vereine, die Menschen mit kleinen Arbeitsraten oder auf Honorarbasis beschäftigen… Wie geht es weiter? Sie haben angedeutet, dass Sie im Gespräch sind mit dem Finanzminister über einen großen Rettungsschirm oder Notfonds. Was soll der leisten?
Ein Rettungsschirm für die Kultur?
Grütters: Also, wenn wir tatsächlich von Notfallfonds oder Rettungsschirm sprechen, dann muss der sehr viele Komponenten enthalten. Ich bin im Gespräch in der Tat mit auch da wieder Länderkollegen, Verbänden und dem Finanzminister, wie ein solcher Rettungsschirm aussehen könnte. Bisher verlaufen die Gespräche konstruktiv, aber ich kann noch keine genauen Größenordnungen skizzieren.
Was dabei natürlich gesehen werden muss, ist zum Beispiel die Existenznot vieler Privattheater, vieler Festivals, die im Sommer auch als Open-Air-Festivals flächendeckend in Deutschland stattfinden und die ja jetzt komplett ausfallen müssen. Also, es sei denn, sie schaffen Regelungen, wie man mit einer ganz lockeren Publikumssituation und mit einem ganz kleinen Ensemble, was sich nicht gegenseitig anstecken kann, auf der Bühne dann doch Formate möglich macht. Aber wir müssen erstmal von den Problemen ausgehen.
Oder dann sehen Sie mal die vielen kleinen Programm-Kinos, die manchmal von einem Ehepaar betrieben werden. Und dieses Netz geistiger Tankstellen haben wir mit intelligenten Programmen, finde ich, zu guten Zeiten immer zu stabilisieren versucht. Und jetzt müssen wir Rettungsmechanismen ausdenken. Also, auch das ist eine wichtige Zielgruppe.
Oder wir haben natürlich Kreative dabei, die in der Tat bei solchen privaten Veranstaltern auftreten, und die im Moment sich also auch eine Abschlagsgage nicht einer staatlichen Institution abholen können. Deshalb muss man die beispielsweise beauftragen mit einem Programm, was vielleicht gerade in Krisenzeiten dann doch noch schön wäre. Also, da gibt es verschiedene Modelle, über die wir jetzt nachdenken.
Deutschlandfunk Kultur: Geht es Ihnen da vorrangig um eine Existenzsicherung für Institutionen, die – sei es, dass sie wie Kinos oder so - eben noch nichts machen können, vielleicht aber auch zu klein sind für bestimmte andere Förderung, also um Existenzsicherung? Oder geht es Ihnen um Projektunterstützung?
Hilfe zum Überleben und für neue Projekte
Grütters: Ich glaube, es muss um beides gehen. Wir müssen Projekte, wenn sie denn jetzt möglich sind, ob Digitalformate beispielsweise, ob eine veränderte Publikumssituation, ob mit einem kleinen Ensemble auf einer Bühne, beispielsweise solche Formate jetzt zu stimulieren, ist natürlich noch viel schöner und produktiver, weil es ja eine Leistung nicht nur bringt, sondern das Publikum auch erfreut. Das ist der eine Weg. Aber indem wir das tun, möchte ich natürlich am Ende des Tages diese Einrichtung am Leben erhalten – ja. Das ist richtig.
Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Kinoverband und mit der Filmförderungsanstalt an ganz speziell auf diese Szene ausgerichteten Stellschrauben. Da kriegen wir, glaube ich, auch tatsächlich mit unseren eigenen Mitteln erstmal etwas hin.
Wir möchten zum Beispiel das Zukunftsprogramm Kino, was hier mit 17 Bundes-Millionen, die komplementär finanziert werden sollten, immerhin doch ein Aufschlag gewesen wäre in diesem Jahr, das wollen wir so verändern, dass es jetzt auf die Krisensituation reagiert.
Oder beispielsweise das Programm Invest Deutschland haben wir jetzt verändert, dass zehn Millionen Euro Bundeshilfe in die Corona-bedingten Umbaumaßnahmen an den Kultureinrichtungen fließen können. Damit die sich Plexiglasverkleidungen an den Kassenseiten bauen können, dass sie Abstandshalter einziehen können, dass sie zum Beispiel die Hygienemaßnahmen in den Toiletten usw. richtigstellen können. Also, dafür geben wir beispielsweise Geld. Das sind kleinere Programme, aber wenn man das größerformatig denkt und wirklich die Vielzahl der Kulturveranstalter in Deutschland im Blick hat, dann braucht es in der Tat nochmal eine größere Hilfe auch des Bundes.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben gesagt, Sie sind da im Gespräch mit den Länderkolleginnen und -kollegen, die ja für einen viel größeren Teil der Kultur verantwortlich zeichnen als Sie als Bundeskulturbeauftragte. Sind Sie da eines Sinnes? Haben Sie das Gefühl, dass die mitgehen? Sind es gemeinsame Projektideen? Sie sind sehr wahrnehmbar in dem, was Sie da erreicht haben. In den Ländern nehme ich das nicht wahr. Täuscht der Eindruck?
Zweischneidiges Schwert Kulturföderalismus
Grütters: Also, der Kulturföderalismus ist und bleibt eine Herausforderung in friedlichen wie in schwierigen Zeiten. Wir haben deshalb ein Format entwickelt, uns zweimal im Jahr zum sogenannten Spitzengespräch zu treffen, also die Bundeskulturstaatsministerin mit ihren 16 Länderkolleginnen und -kollegen, plus der Kulturstiftung des Bundes und der Länder dabei. Und wir haben die kommunalen Vertreter.
Dieses Format habe ich entwickelt, als ich hier mein Amt angetreten habe. Und es hat sich bewährt. Aber es ist natürlich immer so ein zweischneidiges Schwert. Einerseits verteidige ich den Föderalismus bei der Kultur immer mit dem Hinweis darauf, dass es ja auch ein ganz lebhafter Wettbewerb ist und deshalb die Vielfalt und auch die Vielzahl der Einrichtungen in Deutschland auch erhalten bleibt. Weil, keiner möchte sich die Blöße geben und schlechter mit seiner Kultur umgehen als der Nachbarkollege.
"Schön, wenn nicht nur jeder seins macht"
Aber in solchen Krisenzeiten wäre es natürlich schön, wenn nicht nur jeder seins macht in der Hoffnung, dass sein Programm zu Hause besser ist als das im Nachbarland. Sondern, wenn man sich mal auf eine etwas einheitlichere Linie hätte verständigen können, denn dann wäre nicht dieser Flickenteppich entstanden, der bei vielen Künstlern und Kreativen zu dem Gefühl geführt hat: "Wie schade, dass ich hier lebe und nicht woanders. Denn da sind die Hilfen besser oder schöner oder passgenauer."
Andererseits können wir uns bei vielen Länderanstrengungen, die ja ehrlicherweise gemacht werden, zumindest einige Anregungen holen. Beispielsweise gibt es diesen sogenannten fiktiven Unternehmerlohn, den das Land Baden-Württemberg mit 1 180 Euro auch an diese Zielgruppe ausschüttet. Ich hätte mich gefreut, wenn wir da bundesseitig vom Finanzminister grünes Licht bekommen hätten bzw. vom Wirtschaftsminister. Aber in dessen Ministerium wird das nicht gerne gesehen, weil wir ein anderes Programm, nämlich mit 9 000 und 15 000 Euro für die Betriebskostenausfälle beschlossen hatten. – Also, da kann man dann ja auch miteinander, wie ich finde, zu flächendeckend ganz guten Anregungen kommen.
Nur es ist so: Die Länder und die Kommunen vor allen Dingen tragen insgesamt mehr als 80 Prozent der Kulturfinanzierung und -verantwortung in Deutschland, während der Bund gerade mal mit ungefähr 15 Prozent im Spiel ist. Deshalb sollten sich die Länder nicht darauf beschränken, den Bund um Hilfe zu bitten, sondern das muss dann immer im guten Miteinander Halbe-Halbe, finde ich, am Ende rauskommen.
So halten wir es zum Beispiel beim Denkmalschutz, bei anderen Bundesförderungen. Immer dann, wenn der Bund etwas gibt, muss schon aus verfassungsrechtlichen Gründen mindestens eine fünfzigprozentige Finanzierung des Sitzlandes dabei sein. Anders dürften wir das gar nicht. Und wenn man zu einem solchen vergleichbaren Gesamtmodus auch in der Krisenzeit käme, wäre das eine angemessene Haltung, finde ich.
Deutschlandfunk Kultur: Ist es für Sie auf Bundesebene leichter gewesen, die Belange der Kultur zu formulieren und durchzusetzen, als den Länderkollegen auf Landesebene? Ist das so? Ich meine, allgemein gilt ja Kultur als nicht in der Weise leicht durchsetzbar bei Finanzpolitikern wie, weiß ich nicht, Bildung oder so.
"Kultur ist nicht nur ein Anhängsel"
Grütters: Kulturpolitik, aber auch die Politik als Ganzes ist ja tatsächlich ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Prioritäten. Ich bin seit Anfang meiner politischen Karriere Kulturpolitikerin und weiß, es hat manchmal so schlechte Laune gegeben nach dem Motto: "Und zuletzt kommt dann auch noch Kultur in der parlamentarischen Debatte vor."
Im Bund ist das umgekehrt. Seit es dieses Amt gibt, seit 21 Jahren, ist es am Kanzleramt angesiedelt. Deshalb sind wir immer die ersten, gerade beim großen Aufschlag, bei Generaldebatten, bei Haushaltsfragen usw. wird die Kultur als erstes Ressort ins Visier genommen. Deshalb können wir mit Recht behaupten, dass die Kultur hier nicht ein Anhängsel an anderen Feldern ist, sondern tatsächlich so etwas wie ein fundamentaler Grundbezug in der Politik der Bundesregierung.
Mit Andrea Merkel haben wir hier auch noch eine kulturaffine Kanzlerin, die selber regelmäßig ins Konzert, in die Oper und ins Theater geht und im Übrigen viel liest. Deshalb tut uns die Sichtbarkeit, die das Kanzleramt ja mitliefert, natürlich sehr, sehr gut.
Deshalb würde ich mir wünschen, das wäre in den Bundesländern ähnlich. Aber es ist so: Dadurch, dass Kultur überall – beim Bund, aber eben auch in den Ländern – ein relativ kleines Ressort ist, verglichen mit den großen Sozialressorts oder Infrastrukturressorts wie Verkehr, wie Inneres, na ja, klar, wie Bildung zum Beispiel, hängt es immer in der Kombination mit mindestens einem anderen Ressort zusammen. Da besteht die große Gefahr, dass die Sichtbarkeit für die Kultur darunter leidet oder die Kollegen auch viel mehr Energie in ihr jeweils anderes Haus stecken müssen.
Kräftige Stimme des Bundes in der Kulturpolitik
Das ist manchmal bedauerlich. Ich glaube aber, dass der Kulturauftritt insgesamt in Deutschland deshalb gut ist, weil es mittlerweile auch eine kräftige Stimme des Bundes gibt, der natürlich auch für alle mitspricht. Wir liefern uns vielleicht manchmal einen Wettbewerb, aber wir haben schon eine große Gesamtverantwortung für die Kulturlandschaft Deutschland als Ganzes. Denn sie ist im Übrigen, das muss man auch nochmal sagen, weil die Länder mit dabei sind, weltweit einzigartig. Jedes zweite Profi-Orchester der Welt spielt auf deutschem Boden. Wir haben einen Großteil der Opernhäuser weltweit auch auf diesem kleinen Territorium Deutschland. Zehnmal so viele Menschen gehen in Deutschland ins Museum wie alle Bundesligaspiele zusammen haben. Wenn man alles das mal sieht, dann geht das natürlich nur als Kraftanstrengung aller gemeinsam.
Deutschlandfunk Kultur: Gemeinsame Kraftanstrengung: Lassen Sie uns mal ein bisschen in die Zukunft schauen oder versuchen wir es zumindest. Wir hoffen darauf, dass es irgendwann wieder losgeht, was immer das genau heißen mag. Wie schätzen Sie das ein? Wenn man den Virologen zuhört, dann ist – bevor es einen Impfstoff gibt – es einigermaßen schwierig.
Clevere Ideen im Shutdown
Grütters: Ja, das muss ich als Bürgerin, als Mensch, als Kulturfreundin und als Politikerin auch bitter zur Kenntnis nehmen. Das ist die Ansage und die Einschätzung von Experten. Und wenn das so ist, dann bedeutet das, dass das Kulturleben auch nur sehr schrittweise wieder anspringen kann – unter komplett veränderten Bedingungen gegenüber der Normalzeit, an die wir uns gewöhnt haben.
Ich bin dankbar, dass viele meiner Kultureinrichtungen, weil sie ja selber ungeduldig sind, ganz clevere Ideen entwickeln, wie denn der jeweilige Betrieb aussehen könnte.
Fangen wir mal mit den Buchhandlungen an. Das waren die ersten, die zum Glück wieder aufmachen durften. In zwei Bundesländern, Berlin und Sachsen-Anhalt, haben sie auch nie geschlossen. Das hat dieser Branche verdammt gutgetan. Dahinter hängen ja dann auch die kleinen unabhängigen Verlage beispielsweise, die ihre Produktionen an die Leute bringen müssen und jetzt nicht ihre Autoren…
Deutschlandfunk Kultur: … ohne Buchmesse in diesem Jahr.
Grütters: … ohne Leipziger Buchmesse jedenfalls, und die auch tatsächlich die vielen Lesungen nicht stattfinden lassen können. Davon leben nicht nur die Autoren, sondern vielfach auch die Verlage ganz maßgeblich. Denn wenn ein Buch nicht unter die Leute gebracht wird, wird es auch an der Kasse nicht verkauft. Also, die müssen sich clevere Marketingstrategien ausdenken. Aber immerhin gibt es die Buchhandlungen und sie sind an der Bevölkerung. Und die haben da, wo es möglich war, vor Ostern sich mit Büchern eingedeckt wie sonst nur im Weihnachtsgeschäft. Also, man sieht, es ist ein Lebensmittel und nicht nur ein Luxusprodukt.
Mal von der Branche weg: Jetzt, denke ich, könnten die Nächsten die Museen sein. Die sind ja sehr erfahren darin, ein Ticketing zu organisieren, was dazu führt, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig in einem Raum sind, die Abstand halten zur Pflicht gemacht haben, weil es empfindliche Exponate an der Wand gibt, und die auch sehr gut mit Besuchergruppen umgehen können, weil sie Aufsichten ja haben, die in diesem Habitus geschult sind.
Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir nicht nur Freiluftmuseen, die hätten ja gar kein Problem jetzt im Sommer, sondern eben auch In-House-Häuser, dass die jetzt wieder aufmachen können. Ich habe jedenfalls sehr bei der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten dafür geworben.
Einerseits ist es ja auch eine Wertschätzung denjenigen gegenüber, die in diesen Häusern arbeiten, tolle Ausstellungen vorbereitet haben, die jetzt mit ein bisschen Verzögerung – Hannah Arendt im Deutschen Historischen Museum zum Beispiel –, aber immerhin dann doch eröffnen können und ihr Publikum finden. Insofern hoffe ich, dass dieses Kulturangebot jetzt als nächstes dann auch eine Möglichkeit bekommt, wieder zu arbeiten.
Deutschlandfunk Kultur: Wie steht es mit Orchestern? Also, was wir so als Großveranstaltung subsummiert haben, da sieht es ja am schwierigsten aus.
"Als Nächstes müsste man die Kinos ermutigen"
Grütters: Ich finde, als Nächstes müsste man die Kinos ermutigen. Da steht ja kein Ensemble auf der Bühne, was sich anstecken könnte, sondern da wird ein Film gezeigt. Und das Film-Business ist bei uns ein Riesenwirtschaftsfaktor innerhalb der Kreativwelt. Wir konnten immerhin die Berlinale noch unbefangen feiern, eins der großen A-Festivals weltweit. Und die anderen in Cannes und Venedig und Toronto haben jetzt alle ein Problem. Aber wir haben unseres ja noch gezeigt und tolle Filme auf den Weg gebracht, die ihr Publikum brauchen und die man ja nicht alle nur streamen kann und will, sondern die Kinos könnten mit einem guten Publikumsverhalten – jeder dritte Platz wird besetzt oder so – könnten die natürlich auch ein Management entwickeln.
Ja, und dann die Live-Bühnen, die in der Tat machen uns Kummer. Weil, die sind mit einem großen Ensemble auf der Bühne oder im Orchestergraben ja nur überlebensfähig. Und das Publikum selber müsste sich auch schon sehr zerstreuen, um überhaupt reingelassen zu werden. Aber auch diese Opernhäuser und Theaterbühnen haben tolle Vorschläge gemacht. Es gibt Ein-Mann- oder Zwei-Mann-Stücke. Samuel Finzi, "Kommt ein Pferd in die Bar", ein Stück, das auf einem Buch von Grossmann beruht, macht einen tollen Abend. Den kann er statt in den Kammerspielen im Großen Haus machen. Da kann dieselbe Anzahl Publikum sich auf mehrere Plätze verteilen. Das wäre doch denkbar.
Ich finde, mit solchen Mustern muss man anfangen, um zu zeigen: Es geht, wenn man will. Man kann sogar kleinformatige Konzerte machen. – Solche Dinge gehen alle, wenn man es denn will und möglich macht. Dafür setze ich mich wirklich sehr ein.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist eine große solidarische Anstrengung für die Kultur und die Kulturlandschaft. Im Moment stehen wir da dicht beieinander. Das wird spätestens im nächsten Jahr einer Situation weichen, in der die Haushälter sehen müssen, wie sie einsparen. Befürchten Sie eine neue Debatte über kulturelle Prioritäten? Befürchten Sie, dass die Kultur infrage gestellt wird, weil die Haushaltsnot so groß ist?
Kunst ist ein Lebensmittel
Grütters: Das ist eine ganz berechtigte und wichtige Frage, die wir uns alle, finde ich, wirklich stellen müssen, und zwar nicht erst am Ende des Jahres, sondern jetzt im fortlaufenden Rettungsprozess.
Natürlich haben wir alle den Ehrgeiz, dass am Ende niemand auf der Strecke geblieben ist, weder im institutionell geförderten Bereich, noch im kommerziellen. Kultur ist kein Produkt wie Gartenmöbel, sondern das hat immer den Doppelcharakter eines Wirtschaftsprodukts und eines Kulturguts. Deshalb wird es ja auch mit so vielen Maßnahmen in normalen Zeiten abgefedert.
Ich hoffe, dass die Menschen wirklich spüren, also nicht nur intellektuell reflektieren, was Kunst für sie ist, sondern dass sie es auch in ihrer Seele, in ihrem Herzen spüren, wie wichtig ihnen dieses Lebensmittel geworden ist, dass es sich also lohnt darum zu kämpfen.
Einnahmeausfälle und dergleichen werden wir vielleicht am Jahresende für unsere institutionellen Organisationen ermöglichen können, aber wir müssen natürlich den Stellenwert der Kultur für das Miteinander, für eine vitale Gesellschaft betonen. Die Kultur, egal welche Sparte, ist so etwas wie das kritische Korrektiv einer echten Demokratie geworden. Wir sichern ihre Existenz ja dadurch, dass wir sie auskömmlich finanzieren, damit sie unabhängig vom Publikumsgeschmack, von Interessen oder von Geldgebern ihr Ding machen kann, die Kultur, dass sie also auch kritisch ist, dass sie Fragen stellt, dass sie uns hilft, Antworten auf Sinnstiftendes zu finden, dass sie Antworten auf letzte Fragen formuliert. Das hat sie im Übrigen nur mit einem anderen Milieu zusammen, nämlich mit den Kirchen. Also, wenn diese beiden Milieus uns jetzt nicht helfen über die Krise zu kommen, indem sie die Fragen stellen, aber auch nach Antworten suchen selbst dann, wenn sie unbequem sind, wer sollte es dann tun?
Und wenn die Kultur eine derart existenzielle Bedeutung für jeden Einzelnen, aber auch für eine Gesellschaft als Ganzes hat und deshalb auch eine Demokratie am Leben erhält, dann müssen wir sie in aller Form am Jahresende spätestens verteidigen.
Kultur nicht als Steinbruch für Budgets benutzen
Ich appelliere nur an alle anderen Träger, wie gesagt, der Bund ist nur in relativ kleinem Umfang zuständig oder Träger der Einrichtung, es sind die Länder und vor allen Dingen auch die Kommunen, und die Kommunen leiden natürlich finanziell auch unter dieser Krise, dass die nicht am Jahresende die Kultur als Steinbruch für ihre Haushalte benutzen, sondern sie tatsächlich weiterhin stützen, weil wir sie alle brauchen.
Deutschlandfunk Kultur: Lassen Sie mich nochmal anders vorausschauen. In vielen Bereichen wird beschworen, dass diese Krisenerfahrung unsere Gesellschaft verändern wird, dass die Digitalisierung ein selbstverständlicherer Teil vielleicht des Schulgeschehens, vielleicht auch in vielen anderen Bereichen, von größerer Selbstverständlichkeit bei Home-Office bis hin zu vielleicht auch anderen Formen der Betreuung und des Konferenzwesens, wird.
Wenn Sie auf die Kultur gucken, sehen Sie Dinge, die da passiert sind, von denen Sie sich wünschen, dass sie auf die Dauer bleiben, oder auch vielleicht eher befürchten, aber dass auch die Kultur eine andere sein wird nach der Krise?
Grütters: Jeder von uns, glaube ich, wird verändert aus dieser Krise hervorgehen. Ob im positiven oder im negativen Sinne muss man dann selber bewerten, wenn es so weit ist.
Wir erleben natürlich jetzt auch in der Not einige sehr originelle Antworten der Darbietung. Gerade im Internet, was für witzige Darreichungsformen sich im Moment da auf den Bildschirmen abspielen, die vorher aus urheberrechtlichen oder anderen Gründen für unmöglich erklärt wurden, das macht mir ja Mut, dass vieles eben doch geht, wenn es denn sein muss.
Gerade digitale Formate haben sich hier entwickelt, die wir mit den schlauesten Förderprogrammen nicht haben stimulieren können. Insofern hoffe ich, dass da zumindest einiges tatsächlich positiv über die Zeit der Krise hinweg gerettet werden kann und nachhaltig unser Verhalten verändert.
Digitale Leistungen müssen auch bezahlt werden
Und ich hoffe noch etwas: Dass die Menschen jetzt auch merken, die sich digital informieren, dass sie für diese Leistung zahlen müssen, dass diese Flatrate-Mentalität im Netz auch einen anderen Solidaritätseffekt jetzt weckt, nämlich den, dass geistige Leistung, dass das, was Künstler und Kreative schaffen, egal wie sie es uns dann präsentieren, davon leben müssen und nicht nur knapp überleben. Das setzt voraus, dass die Nutzer dieser Leistung dafür auch bereit sind zu zahlen, eben auch auf digitalem Wege.
Und journalistische Leistungen beispielsweise, auch für die gilt das, müssen zu Bezahlmodellen kommen. Wir erleben einen 65 Prozent gestiegenen Zugriff auf digital ausgereichte seriöse journalistische Inhalte. Das, was bisher auf Papier geliefert wurde, wird jetzt im Netz gelesen. Da machen einige Verlage plötzlich Kostenlos-Angebote heraus, um diese neue Leserschaft erstmal wach zu machen und an sich zu binden. Ich finde, man muss jetzt auch lernen, dass dahinter Leistung steht, von der Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Deshalb müssen daraus Bezahlangebote werden.
Aber es ist im Moment die Zeit, in der solche Diskussionen, finde ich, auch auf einen ganz fruchtbaren Boden fallen.
Deutschlandfunk Kultur: Kultur in der Corona-Krise und danach. Bei Tacheles im Gespräch war die Kulturstaatsministerin Monika Grütters. – Vielen Dank!
Grütters: Ich bedanke mich auch für die gute Zeit.