Prof. Dr. Markus Hilgert ist Altorientalist und seit 1. Juni 2018 Generalsekretär und Vorstand der Kulturstiftung der Länder. Zuvor war er seit 2014 Direktor des Vorderasiatischen Museums im Pergamonmuseum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In den Jahren von 2007 bis 2014 hatte er die Professur Altorientalistik an der Universität Heidelberg inne. Derzeit lehrt Hilgert als Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, der Universität Marburg sowie der Freien Universität Berlin. Er studierte Altorientalistik, Semitistik, Vergleichende Religionswissenschaft und Vorderasiatische Archäologie an den Universitäten Marburg, München und Chicago.
Wo bleibt die digitale Moderne?
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Die Kultureinrichtungen in Deutschland haben die Digitalisierung weitgehend verschlafen, meint der Kulturmanager Markus Hilgert. Auch kleine Museen, Theater und andere Kulturstätten bräuchten Online-Kompetenz, wenn sie relevant bleiben wollten.
Angesichts großer gesellschaftlicher Herausforderungen - ethischen und ökologischen etwa - ist es Zeit für einen großen "Digitalisierungsschub" in der Kultur und bei Kultureinrichtungen. Davon ist der Chef der Kulturstiftung der Länder, Markus Hilgert, überzeugt. In einem kürzlich von ihm veröffentlichten Thesenpapier äußert er die Befürchtung, dass die Akteure zu Totengräbern der Kulturlandschaften werden könnten, wenn sie die transformative Kraft der Digitalisierung weiter verschlafen.
Corona als Katalysator und Augenöffner
Der Aufbruch in die digitale Moderne habe zwar in der deutschen Kulturlandschaft schon vor der Pandemie begonnen, sei jedoch in Ansätzen oder beschränkt auf einige "Leuchtturm-Projekte" steckengeblieben. Es gehe aber gerade nicht um die großen Institutionen, "denen es leicht fällt, entsprechende Kompetenzen und Kapazitäten aufzubauen und zu finanzieren".
Das Problem seien vielmehr Tausende mittelgroße und kleine Einrichtungen im Kulturbereich, die in der Pandemie "schmerzlich festgestellt haben, dass sie eben nicht digital präsent waren". Die Corona-Beschränkungen seien nicht der Grund, müssten aber der Anlass sein, die Schwachstellen bei der Digitalisierung anzugehen. Anderswo in der Welt sei man da deutlich weiter, sagt der Wissenschaftler und ehemalige Museumsdirektor.
Die Kultur müsse auch in "digitalen Debattenräumen" präsent sein, fordert er - nicht zuletzt als Gegengewicht zu Debatten, "die wenig mit Demokratie, die wenig mit Aufklärung zu tun haben und vor allem ganz wenig mit den Inhalten der Kulturinstitutionen". Die Herausforderung sei, kulturelle Inhalte so aufzubereiten, dass sie wahrgenommen und angenommen würden. Und auch bei der digitalen Bereitstellung von Forschungs- und Archivbeständen gebe es in Deutschland Nachholbedarf.
Das Museum hat nicht ausgedient
"Das Museum als besonderer, aufgeladener, performativ inszenierter Raum" habe sich nicht überlebt, ist Hilgert überzeugt. In der Pandemie hätten sich allerdings auch "Fragen an die Mobilität der Zukunft" ergeben. Vor allem der Klimaschutz mache es unumgänglich, dass Kulturinstitutionen neu darüber nachdenken müssten, wie sie mit ihren Inhalten die Menschen erreichten, die nicht zu ihnen kommen könnten, wollten oder aus ökologischen Gründen nicht sollten. Sonst verlören die Museen ihre Relevanz.
Das Digitale ersetze nicht das Analoge. Aber der analoge Bereich müsse ergänzt werden, wenn man die Hälfte der Gesellschaft, die keine Kultureinrichtungen besuche, erreichen wolle - vor allem auch jüngere Menschen, betont Hilgert.
Viele Menschen hinderten nicht in erster Linie Eintrittspreise oder Entfernungen daran, Museen aufzusuchen. Barrieren entstünden vor allem dann, wenn Menschen nicht glaubten, dass ihnen eine "Kulturinstitution etwas zu sagen hat". Was fehle, sei vielerorts eine zusätzliche, angemessene und ansprechende digitale Präsenz.
Über neue Geschäftsmodelle nachdenken
Zwar sei es gut, dass in Deutschland die Kultur umfassend öffentlich finanziert sei, meint Hilgert. Das gewähre Freiräume. Es bedeute aber nicht, dass man nicht auch darüber nachdenken sollte, "wie man die Freiräume erweitern kann, indem man selbst auch Geld verdient mit Angeboten".
Das könnten professionelle digitale Angebote sein - Livestreams oder Hintergrund-Geschichten. Aber auch die analogen Angebote beispielsweise von Theatern oder Opernhäusern müssten sich verändern oder ergänzt werden, damit sie attraktiv blieben.
Hier denkt Hilgert über "Zusatzangebote" nach, über "besondere persönliche Erlebnisse". Das könne bedeuten, im Theater das Glas Sekt mit der Hauptdarstellerin zu trinken. Denkbar sei auch, Interessierte schon an Entstehungsprozessen von Produktionen oder Ausstellungen zu beteiligen.