Kreative unterstützen die Massenproteste
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Schon zehn Tage dauern die Massenproteste im Libanon an. Hunderttausende Menschen fordern unter anderem das Ende der Korruption. Auch die Kulturszene hat sich den Protesten angeschlossen: Museen bleiben geschlossen, ein Kunstfestival wurde abgesagt.
Eigentlich stand ein lange geplantes Gastspiel auf dem Programm. Im Studio der Beiruter Theaterkompanie Zoukak sollte diese Woche das US-amerikanische Werk "Die Schöne von Amherst" auf die Bühne gebracht werden. Aber sämtliche Vorstellungen wurden gestrichen. Denn jetzt spielt die schlechte Lage im Libanon die Hauptrolle.
Zusammen mit Hunderttausenden Landsleuten fordern die libanesischen Theatermacher den Rücktritt ihrer Regierung. "Alles im Land ist abgesagt worden", sagt Mohamad Hamdan vom Zoukak-Theater. "Sämtliche Kulturereignisse, alle Ausstellungen, alle Konzerte. Museen, Galerien und Theater sind geschlossen. Sogar das seit langem geplante 'Home Works'-Festival wurde gestoppt."
Solidarität mit Protesten
Dieses internationale Kunstfestival sollte am 17. Oktober beginnen, genau an jenem Tag, als sich der Protest in Beirut formierte. "Wir bedauern nicht, Sie darüber zu informieren, dass wir unser Programm verschieben", teilte "Ashkal Alwan", die libanesische Vereinigung der bildenden Kunst, auf ihrer Website mit. Im Gegenteil: Man erkläre sich mit den Aufständen im Libanon solidarisch. "Wir sehen uns auf der Straße", so die Einladung, sich den Demonstrationen anzuschließen. Gestern riefen die libanesischen Kulturorganisationen dann noch einmal offiziell zum gemeinsamen Kulturstreik auf.
"Die Proteste richten sich gegen die Korruption. Sie wurden losgetreten durch die geplanten Steuererhöhungen", so Mohamad Hamdan vom Zoukak-Theater. "Aber das hat sich schnell ausgeweitet, denn die Menschen stellen das gesamte politische Establishment im Libanon in Frage. Sie haben das Vertrauen in unsere Regierung verloren, denn die ist nicht mal in der Lage die Grundrechte zu garantieren: die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte. Die libanesischen Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich hauptsächlich als Bürger an diesen Protesten."
Korruption auch schlecht für Kultur
Die Kulturszene bringt ihre Kreativität ein. So hat sich eine Gruppe Grafikdesigner zusammengetan, um in den sozialen Medien über die verschiedenen Protestaktionen zu informieren. Musiker geben spontane Straßenkonzerte. Graffiti-Künstler verewigen ihre politische Kritik an Beiruts Hauswänden. "Wir werden nicht still sein", steht unter anderem da zu lesen. Denn Korruption und Misswirtschaft der politischen Elite wirkten sich auch negativ auf die libanesische Kultur aus, so der Theatermacher Mohamad Hamdan:
"Öffentliche Kulturförderung existiert hier im Libanon quasi gar nicht. Und durch die schlechte wirtschaftliche Lage ist auch die Unterstützung durch private Förderer viel schlechter geworden. Gleichzeitig werden die Steuern erhöht, die Inflationsrate ist extrem hoch. Und dann ist da auch noch die Zensur, die mit der politischen Macht einhergeht. Filme, Aufführungen, Texte werden zensiert. Darunter haben die Kultureinrichtungen zu leiden."
Auch die libanesische Comic-Künstlerin Lena Merhej hat die staatliche Zensur schon zu Genüge zu spüren bekommen. Das von ihr mit herausgegebene Comic-Heft "Samandal" stand im Mittelpunkt eines mehrjährigen Gerichtsverfahrens, was die Beteiligten auch wirtschaftlich in die Krise brachte.
"Es hat viele Fälle von Zensur gegeben, mit Geldbußen, die extrem hoch sind. Das ist definitiv kein gesundes Klima für eine offene Debatte in der Kulturszene", so Lena Merhej.
Sie zeichnet am Rande der Proteste, etwa die "Helden der Revolution", wie sie eine Porträtreihe von Demonstrierenden nennt. "Bisher waren all diese Aktivitäten friedlich und gewaltlos. Aber es kommt immer mehr Angst auf. Und wir wissen alle, dass Angst Hass und Gewalt verursachen kann", so die Comic-Zeichnerin. "Wir wollen den Leuten aber deutlich machen: Jeder kann sagen, was er zu sagen hat."
Demonstranten besetzen leerstehendes Kino
Ein wichtiger Treffpunkt ist inzwischen das sogenannte "Ei", die Ruine eines ehemaligen Kinos auf dem "Märtyrerplatz" in der Innenstadt von Beirut. Mit Einschusslöchern übersät erinnert es an den libanesischen Bürgerkrieg und war Jahrzehnte lang abgeriegelt. Jetzt haben die Demonstranten das "Ei" besetzt und erwecken es zu neuem Leben.
"Es wird jetzt genutzt, um dort Diskussionsrunden abzuhalten, Filme zu zeigen, Musik zu spielen", erklärt Mohamad Hamdan vom Zoukak-Theater. "Das ist auch ein wichtiges Beispiel dafür, wie die libanesischen Bürgerinnen und Bürger, die Künstler den öffentlichen Raum zurückerobern."
"Genug ist genug", begründet Lena Merhej die Protestaktionen. "Diese Regierung muss wirklich zurücktreten. Wir müssen das gesamte System ändern. Wenn nicht jetzt, wann dann?"