Lübecker Kulturtafel
Dank der Kulturtafel können auch Lübecker mit geringem Haushaltseinkommen Theateraufführungen und Konzerte genießen. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Kultur und Kontakte für alle
07:01 Minuten
Die Kulturtafeln sorgen für gesellschaftliche Teilhabe. Menschen mit geringem Einkommen können über sie Tickets beziehen und in Konzerte oder ins Theater gehen. In Lübeck soll daraus jetzt sogar eine Art Kontaktbörse werden.
Die "Comödie“ in der Lübecker Altstadt ist klein und plüschig, auf dem Spielplan stehen von allem heitere Stücke, Krimis, auch mal Chanson- oder Schlagerabende. Hier sehen Laila Müller und ich heute das Stück „Liebe, Lügen, Lampenfieber“.
Die hinterlegten Karten hatte das Theater dem Verein „Kulturtafel Lübeck“ gespendet – und der wiederum hat sie Laila Müller angeboten. Sie ist schon seit einigen Jahren bei der Kulturtafel als Gast registriert, etwa einmal im Monat gibt es kostenlose Tickets.
Kulturgenuss trotz Armut
Wir haben noch etwas Zeit, bis das Stück beginnt. Bei einer Zigarette vor der Tür erzählt die 55-Jährige, dass sie dank der Kulturtafel schon viele Konzerte gesehen hat, auch Comedy war dabei. Auf klassische Konzerte geht sie besonders gern.
Laila Müller macht ein Praktikum in einem Büro, viel Geld hat sie nicht. Deswegen ist sie froh, dass es die Kulturtafel gibt:
„Ich bin arm, finanziell nicht so gut aufgestellt, deshalb könnte ich mir nie so eine Konzertkarte leisten, vor allen Dingen da im Parkett, wo man richtig gut sehen kann. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich Angebote kriege.“
Tickets für die vordersten Reihen
Wer zum Beispiel Grundsicherung oder Arbeitslosengeld bekommt, ein niedriges Einkommen hat oder eine kleine Rente bezieht, kann Gast der Kulturtafel werden.
In der letzten Zeit sind viele Geflüchtete aus der Ukraine zu den rund 4.000 registrierten Gästen dazugekommen, auch Einrichtungen wie zum Beispiel Frauenhäuser bekommen regelmäßig Eintrittskarten der Kulturtafel.
In den Konzertsälen und Theatern bleiben oft die teuren Plätze leer – umso besser für die Kulturtafel-Gäste, die dann, wie wir heute auch, in den vordersten Reihen sitzen können. Eine Wohltat, sich wie Besserverdienende auch auf eine Veranstaltung freuen zu können, sich schick zu machen, und ins Theater zu gehen.
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Eine wichtige Form der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und gut fürs oft angeschlagene Selbstwertgefühl der Kulturtafel-Gäste, sagt Geschäftsführerin Kristine Goddemeyer. „Ein Herr, so Ende 40, hat sich bei uns mal mit den Worten abgemeldet: 'Ihr, die Kulturtafel, wart der Motor, der mich wieder in die Gesellschaft zurückgebracht habt. Das letzte Wort in meiner Biografie ist noch nicht gesprochen, ich bin ein Mensch wie jeder andere auch und sitze im Theater, im Konzert, und kriege jetzt meine Hintern hoch und bewerbe mich doch noch mal'.“
Auch Laila Müller genießt die Abende, die ohne die Kulturtafel einfach nicht drin wären und die sie ansonsten wahrscheinlich vor dem Fernseher verbringen würde.
„Man kriegt mal einen Tapetenwechsel, kann sich wirklich auf die Stücke einlassen, sich bespaßen lassen, unterhalten lassen", sagt sie. "Und wenn man arm ist, hat man eh noch andere Belastungen. Dann sitzt einem das Amt im Nacken zum Beispiel.“
Ein guter Weg, um neue Freunde zu finden
Das Stück beginnt gleich, also gehen wir wieder rein, bestellen an der Bar noch Getränke für die Pause. Lange hatte ihre Mutter sie auf Veranstaltungen begleitet, erzählt Laila Müller. Sie starb vor einigen Monaten, seitdem muss Müller die zweite Eintrittskarte oft verfallen lassen.
Sie möchte das ändern und hat sich deshalb für das neue Projekt „Kulturtandem“ angemeldet. Die Kulturtafel sucht dabei passende Begleiterinnen oder Begleiter für diejenigen, die niemanden haben, der kostenlos auf die Veranstaltungen mitkommen könnte.
Die Gäste und potenziellen Begleiterinnen und Begleiter können angeben, ob sie sich einen Mann oder eine Frau als Tandempartner oder -Partnerin wünschen, ob es ein fester Partner sein sollte, ob er oder sie jünger oder älter sein soll.
Begegnung über Grenzen hinweg
Das Projekt will nicht nur Kulturtafel-Gäste miteinander verbandeln, sagt Kristine Goddemeyer. Jeder könne sich als Begleitung anbieten: „Die Person kann viel Geld haben, wenig Geld haben, das ist ganz egal. Wir arbeiten auch mit der Musikhochschule zusammen, es sind auch Studierende, die mitmachen."
Es habe sich ein breites Spektrum an Menschen angemeldet, erklärt Kristine Goddemeyer. "Von Jung bis Alt ist alles dabei. Und ich finde gerade dieses Mischen ganz spannend. Dass sich die Leute über Alters- und Einkommensgrenzen hinweg begegnen.“
70 Menschen haben sich schon als Begleiterin oder Begleiter für das Tandem-Projekt angemeldet. Unter ihnen viele, die keine Kulturtafel-Gäste sind. In den nächsten Wochen sollen dann die ersten Tandems gebildet werden.