Putzen gibt dir ein Zuhause-Gefühl
Früher war Kochen ein Job für Hausmütterchen - heute sind Kochkünste ein Statussymbol der Mittelschicht geworden. Die Autorin Nicole C. Karafyllis spekuliert im Interview, ob nicht auch das Putzen das Zeug dazu hat, gesellschaftlich geadelt zu werden.
Dieter Kassel: Wo begegnet man Phänomenen wie dem Universalismus-Problem, dem Reduktionismus und dem Interdependenzproblem? Tatsächlich unter anderem beim Putzen. Die Braunschweiger Philosophin Nicole C. Karafyllis beschreibt diese und viele andere Phänomene in ihrem Buch "Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse". Und über dieses Buch, über ihre persönlichen, vor allem aber über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema wollen wir jetzt mit ihr reden. Schönen guten Tag, Frau Karafyllis.
Nicole C. Karafyllis: Hallo!
Kassel: Wir müssen zu dieser Zeit mit dieser Frage natürlich anfangen, denn der Frühlingsbeginn ist für viele Menschen ein Anlass für den berühmten Frühjahrsputz. Für Sie auch, oder bedeuten Ihnen derlei Anlässe gar nichts?
Karafyllis: Ich selber mache keinen Frühjahrsputz, das ist mir zu anstrengend, einmal im Jahr dann so alles aufzuräumen. Da braucht man ja auch richtig Zeit am Stück. Sondern ich mache es so, dass jeden Monat mir ein Zimmer vornehme und mir dann dafür einen ganzen Tag blocke. Ich merke einfach, da ist die Hürde niedriger, dann damit anzufangen.
Kassel: Sie sagen in Ihrem Buch, ich glaube, es ist eines der wenigen Bücher, wo ich auch in ein paar Jahren noch auswendig die ersten Sätze wissen werde. Sie sagen in Ihrem Buch gleich zu Anfang, ja, ich putze selber, und der zweite Satz lautet "Und ich putze gerne. Warum ist das so? Ist das so gekommen oder war das von Geburt an so.
Karafyllis: Ja, das weiß ich selber gar nicht genau. Ich habe meine Mutter gefragt, die hat gesagt, geputzt hätte ich schon immer gerne, aber nicht besonders gerne aufgeräumt. Das ist heute noch so. Mir ist eben irgendwann aufgefallen, dass ich gerne putze, aber viele andere Menschen nicht, und dass man sich immer rechtfertigen muss, dass man gerne putzt.
Dann heißt es immer, das kann doch gar nicht sein, oder hast du ein psychisches Problem, so ähnlich wie Waschzwang, den ich nicht habe. Oder bist du geizig, dir eine Putzfrau zu leisten. Und alle diese Unterstellungen, habe ich gedacht, die sind doch sehr merkwürdig, und ich schreibe das jetzt einfach mal auf. Warum man sich da verteidigen muss. Und ich denke, man muss sich nicht verteidigen, sondern Putzen ist wirklich was Schönes.
Kassel: Aber wenn Sie auch, und das beschreiben Sie in dem Buch, das haben Sie gerade selber auch schon angedeutet, den Vorwurf gelegentlich bekommen, warum putzt du gerne, du kannst dir doch eine Putzfrau leisten – was steckt da für ein Weltbild dahinter? Ich habe manchmal das Gefühl, dass gewisse Menschen, wenn sie was Bestimmtes in ihrem Leben erreicht haben, auch das Gefühl haben, damit habe ich jetzt aber auch für mich das Recht erarbeitet, nicht mehr putzen zu müssen.
Das Problem mit dem Schmutz wird man nie los
Karafyllis: Ja, das sehe ich auch so, dass man glaubt, man kommt irgendwie darüber weg und hat dann mit Schmutz nichts mehr zu tun, ab einem gewissen Lebensstandard, und das ist natürlich eine Illusion. Wir müssen akzeptieren, dass wir alle schmutzen, weil wir alle Menschen sind. Und wenn man genau guckt, je älter man wird, stellt sich das Problem ja wieder stärker, bis hin dazu, wenn die eigenen Eltern alt werden und man vielleicht auch mal Windeln wechseln muss, ist das auch wieder ein Situation, wo man sagen kann, ich kann mich nicht einfach immer nur wegducken vor körperlichen Ausscheidungen oder vor anderen Arten des Schmutzes, sondern ich muss akzeptieren, dass es zum Menschen gehört.
Kassel: Wenn jemand sagt, ich putze nicht, wenn jemand über Jahrzehnte nicht putzt, weil er sich eben eine Putzfrau oder, sehr viel seltener, auch einen Putzmann leisten kann – würden Sie sagen, ein solcher Mensch verpasst etwas?
Karafyllis: Ja, auf jeden Fall. Zumal die meisten mit der Zeit, die sie immer glauben zu sparen, gar nichts Sinnvolles anfangen. Es geht vielmehr um dieses Statussymbol, ich kann mir Personal leisten, aber nach außen heißt es immer, ja, ich spare dabei unglaublich viel Zeit, die ich dann für was Sinnvolleres nutze. Wenn man dann fragt, was dieses Sinnvollere ist, können sie meistens auch keine gute Antwort geben. Was ich finde, was die Menschen verpassen, ist diese Zeit, ein paar Stunden am Stück, die man sich selber aussuchen kann, wo man Zeit hat, nachzudenken, fast meditativ so nachzusinnieren über irgendwas Schönes, vielleicht auch über ein größeres Problem, und wo man einfach die Hände die Arbeit tun lässt. Und dann kriegt man den Kopf frei.
Kassel: Wobei ich ehrlich gesagt genau an dieser Stelle, als Sie das in Ihrem Buch beschrieben haben, glaubte, einen kleinen Widerspruch zu erkennen. Weil einerseits sagen Sie genau das, Sie sagen, ich habe da manchmal auch schon geputzt, um da in Ruhe philosophische Probleme zu lösen. Auf der anderen Seite sagen Sie doch aber auch, dass Putzen ein sehr bewusster Vorgang ist, eine Kulturtechnik. Und Sie sagen unter anderem, was man neben anderen Dingen auch davon haben kann, man kann dabei etwas lernen. Also was denn nun? Kopf ausschalten oder mit eingeschaltetem Kopf ganz bewusst putzen?
Karafyllis: Ja, da haben Sie Recht, es ist wirklich beides, weil das bei Kulturtechniken immer so ist. Wenn wir das vergleichen mit einer anderen, berühmten Kulturtechnik, dem Schreiben, dann ist es ja auch so, das muss man erst mal lernen, von Kind an, wie man schreibt. Und wenn man das lernt, muss man sich sehr konzentrieren aufs Schreiben, dass man die richtigen Buchstaben wählt und die Syntax – so ist das bei Putzanfängern auch. Und wenn man dann aber schreiben kann, dann fließt es einem so aus der Hand, und man denkt schreibend, ja? Und so ist es beim Putzen auch, wenn man schon gut putzen kann und nicht immer so nachdenken muss, wie setze ich welches Werkzeug ein und welches Putzmittel, dann erledigen die Hände das und man bringt auch im Kopf etwas 'in Lösung' dabei.
Kassel: Sie bezeichnen Putzen als Kulturtechnik und vergleichen sie mit anderen, unter anderem auch mit einer Kulturtechnik, wo ich das Gefühl habe, vor wenigen Jahrzehnten wurde die fast so behandelt wie heute das Putzen, und dass hat sich stark verändert. Ich rede über das Kochen. Da gab es ja auch eine Phase im 20. Jahrhundert, wo das eher so eine lästige Pflicht war – man musste halt was essen. Man sieht das heute noch in Häusern aus dem Baujahr, Einfamilienhäusern, die haben oft sehr kleine Küchen, in denen man nicht viel machen kann. Heute, zumindest in der Mittelschicht, wenn man was auf sich hält, muss man ja tolle Rezepte beherrschen und eine Wahnsinnsquelle für Zutaten haben. Das war eine Entwicklung, die stattgefunden hat. Halten Sie so eine Entwicklung beim Putzen für auch nur im Entferntesten denkbar?
Karafyllis: Ja, spannende Frage. Ein bisschen, glaube ich, könnte es dahin gehen. Und zwar, weil Putzen so schwierig geworden ist. Gut zu putzen, ist schwierig geworden, weil Materialien so komplex geworden sind und weil wir auch viel hochwertige Materialien haben. Denken Sie mal daran, was jetzt alles in Badezimmern verbaut wird, also Kork und Bambus und Granit und so weiter – der ist schwierig zu putzen. Das heißt, man braucht viel mehr Wissen, und so ist das ja beim Kochen auch. Was man heute alles wissen muss über die Ingredienzen und Aromastoffe, da braucht man fast ein Chemiestudium. Ich glaube, so was kann beim Putzen auch kommen, aber natürlich kann eben das Endergebnis – das ist halt nicht so schön. Das macht nicht so einen Genuss.
Und das war für mich so ein Punkt, wo ich auch angefangen habe zu schreiben und zu sagen, warum glauben wir, dass beim Putzen nichts dabei herauskommt, wohingegen beim Kochen am Ende was dasteht. Das ist eigentlich so eine mediale Vermittlung, dass am Ende so das Gericht fertig ist, im Abspann auch von diesen Kochsendungen, und dann liegt es auf dem Teller. Dabei geht es ja eigentlich darum, dass dieses Gericht gegessen wird und schmecken soll. Und beim Putzen müssen wir uns eben dieses, worauf wir am Ende stolz sein können, das müssen wir uns selber geben, dass wir uns dann in den Sessel fallen lassen und die Wohnung angucken und sagen, großartig sieht es hier aus, ich fühle mich wohl.
Kassel: Aber das bringt mich zu der Frage, für wen man eigentlich putzt. Putzt man wirklich für sich selber oder putzt man nicht doch auch für andere? Ich hatte mal eine Phase, da war ich sehr viel jünger als heute, da habe ich immer nur geputzt, wenn ich Frauenbesuch bekam.
Der Klassiker: Geputzt wird erst dann, wenn Besuch kommt
Karafyllis: Das ist das Normale. Also wäre auch mal ein Tipp für die, die völlig ungern putzen, die müssen praktisch mit Schuld motiviert werden, obwohl das die schlechteste Form der Motivation ist. Also die müssen sich visionieren: Überraschungsbesuch. Da geht es dann wirklich nur darum, dass man sich nicht schämt. Ja, aber, wohlfühlen, damit hat es noch nichts zu tun.
Ich würde sagen, in erster Linie, wenn man das richtig gerne macht, putzt man für sich selbst, und zwar nicht, weil man es unbedingt rein haben will, sondern weil man sich einen Überblick über seine Wohnung verschafft, in der wir uns ja alle viel zu selten überhaupt aufhalten, weil wir alle immer mehr arbeiten, sondern dass wir sagen, ach, jetzt weiß ich wieder, wo alles steht, jetzt hab ich es mal in der Hand gehabt, ich konnte auch was aussortieren – weil das passiert auch immer, dass man dann immer was wegschmeißt, wenn man putzt. Dass man Dinge auch repariert so nebenbei, instand hält. Das ist eine sehr sinnvolle Beschäftigung, wo man auch das Gefühl hat, ich bin zu Hause.
Kassel: Als ich das Thema vorgestellt habe in unserer Redaktionskonferenz, hieß es sofort von ganz vielen Nicht-Putzern, da musst du aber auch kritisch fragen. Das kann doch nicht sein, Putzen als Kulturtechnik, und irgendwann endete das, das ist mir ein bisschen entglitten, das muss ich an dieser Stelle zugeben, endete es damit, dass die Kollegen Adressen von Putzfrauen ausgetauscht haben – ich könnte mir vorstellen, so ein bisschen so ähnlich wird das ab und an bei Gesprächen an der TU bei Ihnen oder woanders auch laufen, aber wenn dann Leute, vielleicht auch heimlich, Ihr Buch doch mal gelesen haben im Kollegenkreis, waren die dann überzeugt? Oder gibt es doch ganz viele unverbesserliche Putzmuffel?
Karafyllis: Also das mit Adressen von Putzfrauen gedealt wird, kann ich bestätigen, das ist die häufigste Dealer-Ware unter Akademikern nach meiner Beobachtung, vor allen Dingen ganz schlimm, wenn die Putzfrau in Urlaub ist und man eine Ersatzputzfrau braucht. Ich biete mich übrigens dann freiwillig an, aber es lässt keiner zu, dass ich dann die Wohnung putze. Und ich sag dann immer, ich tu's doch gerne. Also so richtige Putzmuffel, bekennende, kenne ich gar nicht, weil sich jeder schämt zu sagen, nee, ich bin gerne irgendwie schmuddelig. Also, nee, kenne ich nicht mehr.
Kassel: Dann müssen Sie mal bei uns vorbeikommen. Ich erwähne an dieser Stelle für alle, die enttäuscht sind vom Gespräch, weil sie Rat und Tat erwarten – auch das gibt es in dem Buch. Wer einfach tricksen will und wissen will, wie man in einer halben Stunde ungefähr das Gäste-Bad so sauber kriegt, dass es sauber aussieht – Klammer auf – in der Tat dann aber nicht ist – Klammer zu –, aber eben so aussieht, auch das steht in dem Buch "Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse". Nicole Karafyllis hat das Buch geschrieben, und mit der haben wir jetzt gesprochen. Ich danke Ihnen sehr, und jetzt weiß ich gar nicht, was ich in Ihrem Fall wünschen soll. Immer eine saubere Wohnung wäre ja falsch, dann hätten Sie ja keine Passion mehr. Ich sage einfach, ich wünsche Ihnen immer die richtigen Putzgelegenheiten.
Karafyllis: Danke!
Kassel: Danke, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.