Kunst

Alpenglühen im Blauen Land

Der bayerische Kochelsee liegt im sogenannten Blauen Land.
Der bayerische Kochelsee liegt im sogenannten Blauen Land. © AFP
Von Susanne Lettenbauer |
Berge, Moore, Seen und kleine Dörfer: Südlich von München erstreckte sich um 1900 eine sehr bäuerliche Gegend. Für die Maler des Blauen Reiters war die eine wichtige Inspirationsquelle. Was hier entstand, verhalf vielen von ihnen zum Durchbruch.
Als Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky Murnau 1907 für sich entdeckten, war der kleine Ort am Staffelsee gerade neu von dem Architekten Emanuel von Seidl gestaltet worden. Die Häuser in bunten Farben, Bänke an der Straße, kleine Kugelakazien daneben. Im Hintergrund die Berge. Diesen Ort müsse man unbedingt gesehen haben, hieß es kurz darauf in Werefkins Künstlersalon und in Münchner Malerkreisen. Und die Maler nahmen die Bahn Richtung Süden.
1908, 1909 erlebten das 3000-Seelen-Örtchen und die Dörfer ringsum einen regelrechten Boom. Künstler, die kurz zuvor in Frankreich bei den Impressionisten waren, entdeckten plötzlich den Münchner Süden für sich.
Inspiriert von der Landschaft
Ob sich Alexej Jawlensky, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky bei ihrem Besuch in Murnau 1908 kurz nach ihrem Frankreichaufenthalt an die französischen Landschaften erinnerten, ist nicht überliefert:
Gabriele Macher: "So mit Malschirm und Utensilien ist man hier … Die Gemälde wurden dann in München zu Ende gearbeitet."
Malen in der Natur, sich inspirieren lassen von der Landschaft, aber auch die Natur auf der Leinwand zu verfremden, das reizte die Künstler an Murnau, Sindelsdorf, Kochel – Ortschaften rund um das größte zusammenhängende Moorgebiet Mitteleuropas direkt am Alpenrand. Die Kegelform der Heuhocken, die klaren Linien der Berge von Herzogstand, Rabenkopf und Jochberg faszinierten sie. Dazu das Licht, je nach Tageszeit: Morgens ein rötlicher Pastellton vom Sonnenaufgang, tagsüber das klare Licht von der Bergluft, manchmal das Alpenglühen bei Föhnwetter, abends ein bläuliches Schimmern über dem Moor. Das Blaue Land. So nannte es Franz Marc, der 1909 gemeinsam mit Marie Marc von München endgültig aufs Land zog, zur Untermiete bei einem Bauern. Ihr Refugium auf dem Land.
Die Bauern meiden die "spinnerten" Künstler
"Es war ein kalter, nasser, schneeiger Vorfrühlingstag, als wir von der Station Penzberg eine Stunde zu Fuß nach Sindelsdorf zum ersten Mal pilgerten. Franz Marc trug einen ganz großen Rucksack, ich trug im Korb die Katze, und Russi, der Hund, lief mit uns. So zogen wir kalt und frierend in die kalte und ungemütlich möblierte Wohnung ein."
Von der dörflichen Bevölkerung wurden die Künstler gemieden. Wer blaue Pferde malt und Berge nur als Striche, der brauchte von den Bauern kein Verständnis erwarten. Außerdem zogen die Maler mit Staffelei und Fahrrad über die Wiesen und ins Moor, "Spinnerte" von der Stadt eben, sagt Marielen Strobl:
"Man muss sich vorstellen, wer die Zeit vorher geprägt hat, so einer wie Franz von Lenbach. Auch in der Kritik, das weiss man ja."
Kandinsky gelangt in Murnau allmählich zur Gegenstandslosigkeit
Für Kandinsky der Beginn vom künstlerischen Durchbruch, als er 1908 hier ankommt:
"Kandinsky ist noch nicht beim Bild ohne Gegenstand angelangt, aber die Gegenstände verlieren in Murnau ihre Vordringlichkeit."
Christine Ickerott-Bilgic vom Schlossmuseum Murnau, wo derzeit die Originallandschaftsbilder der Blauen Reiter aus dem Voralpenland gezeigt werden.
"Die erste Studienzeit dort, im Spätsommer 1908, war ich voll von Bildern des Ortes und der Lage (...) Immer mehr erfasste ich die Klarheit und Einfachheit dieser Welt",
schreibt Gabriele Münter im Rückblick.
Treffpunkt für die intellektuelle Avantgarde Münchens
Hier im Blauen Land gab es nie die klassische Künstlerkolonie, sondern das Blaue Land war Treffpunkt für die intellektuelle Avantgarde Münchens. Hierher zog sich August Macke zurück, Franz Marc, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, später Lovis Corinth. Einige nahmen ihre Malklassen von der Münchner Kunstakademie mit. Das einfache Leben, ohne Strom und fließend Wasser, nur die Natur. Darum ging es.
Oben von der Staffelalm bei Kochel sieht man weit ins Voralpenland hinaus. Hier auf 1320 Metern Höhe malte Franz Marc bis 1913 mehrere Bilder, den Stierkopf und das Hirschpaar sieht man noch heute an der Wand der Almhütte. Franz Marc, der bis dahin nur in der Großstadt gelebt hatte, fand hier zu seinem künstlerischen Durchbruch:
"Franz Marc war kein Mensch der Stadt. Er wurde auch von Freunden Franz von Assisi genannt, weil sein Hang zur Natur so ausgeprägt war. Kandinsky schrieb einmal: In München schien er zu groß, sein Gang zu breit, es schien immer so, als ob sie ihn geniere. Es war mir immer ein besondere Freude, ihn mit dem Rucksack auf dem Rücken, einem Stock in der Hand durch die Felder und Wiesen marschieren zu sehen."
Unten auf dem Dorffriedhof von Kochel liegt Franz Marc. Das unscheinbare Grab findet man nicht so leicht. Der Einfluss der Blauen Reiter heute hält sich hier sehr in Grenzen, erzählt Gabriele Macher.
Sich von der Tradition lösen, ist für Künstler in Murnau nicht leicht
"Nur das Franz-Marc-Museum auf einer Anhöhe oberhalb des Kochelsees versucht sich den Geist der Blauen Reiter weiterzutragen ins 21. Jahrhundert. Dort werden Werke von Joseph Beuys und Georg Baselitz gegenübergestellt den Gemälden der Blauen Reiter. Kinder können in Malworkshops die Farben und Formen eines Franz Marc oder Wassily Kandinsky nachvollziehen. In Sindelsdorf steht die alte Gartenlaube von Franz Marc an einer Straßenecke sorgfältig restauriert, aber doch nicht mehr an der Originalstelle. Heutige Künstler in Murnau versuchen, sich von dem Erbe der Blauen Reiter zu lösen, einen eigenen Stil zu verfolgen. Leicht ist das nicht."