Kunst als bessere Religion

Von Bernhard Doppler |
Wenn der Gral enthüllt und die Erlösung vollbracht ist, verdeckt ein Vorhang das Geschehen: "Da wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten (Richard Wagner)", ist darauf zu lesen. Kunst als Religion, die "Erlösung dem Erlöser" bieten soll.
Wagner und seine Jünger haben das durchaus rabiat gemeint: Statt am Karfreitag in die Kirche zu gehen, sollte man sein "Bühnenweihfestspiel" "Parsifal" besuchen und bis in die 60er Jahre wurden profane Zuschauer, die nach dem ersten Akt dieser Oper zu klatschen wagten, von der frommen Wagner-Gemeinde nieder gezischt: Kein Applaus in der Kirche!

In Darmstadt hat Intendant John Dew Wagners oft verdrängte Intention von Kunst als besserer Religion klug zum Thema gemacht, erfrischend unverkrampft. Er hat diese Intention dabei nicht kritisch denunziert, aber sie natürlich auch nicht affirmativ vorgeführt. Es geht in seinem "Parsifal" schlicht zu, wie in einer "modernen" entrümpelten Kirche aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, ob protestantisch oder katholisch ist nicht ganz auszumachen: Die Gralsritter im einfachen Mönchshabit, dazwischen einige Messdiener (Kostüme: José-Manues Vásquez). Es ist eine sakrale Ästhetik, die in ihrer demokratischen Ökumene der Ästhetik der 50er Jahre-Inszenierungen des Wagner-Enkels Wieland verblüffend ähnlich ist.

Zu Beginn eine Religionsstunde! Gurnemanz als freundlich Katechet, der die Geschichte der Gralsritter und ihre sexuellen Fehltritte erzählt. Was wie ein kirchliches Altar-Tafelbild die Bühne bestimmt (Bühne: Heinz Balthes), ist bei näherem Hinsehen eine grüne Schultafel, in der mit bunter Kreide religiöse Symbole gezeichnet sind, der Heilige Geist als Taube, das dreieckige Auge Gottes etc.

Die Gegenwelt des von den Gralsrittern abgefallenen Zauberer Klingsor (gekleidet in einen Gehrock des 19. Jahrhunderts) im 2. Akt ist dagegen die der Philosophie. Er schreitet über ein riesiges aufgeschlagenes Buch, das sich aufblättern lässt und aus dem eine mit Buchstaben übersäte Kundry entsteigt. Die sexuelle Frau eine Projektion? Die Verführung Parsifals wird dann dennoch von Dew sehr sinnlich vorgeführt.

Aber die Kostüme und Requisiten (wie Kelch und Speer) illustrieren nicht die mittelalterliche Artussage, sondern sind als mehrdeutige Symbole Teil der Liturgie. Wenn Kundry Parsifal am Karfreitag die Füße wäscht - wieder so ein sakrales Ritual - zieht sie ihm die Rüstung aus, darunter eine schwarze bis zum Kinn reichende Jacke: Parsifal hat sich fast unmerklich zu einem Mann des 19. Jahrhunderts geschält, zu Richard Wagner, der mit der Artusgesellschaft die Welt durch Kunst erlösen will.

Musikalisch kann der Darmstädter Parsifal durchaus mit großen Häusern mithalten, Norbert Schmittberg - vor allem zu Beginn - in der Titelrolle und Yamina Maamar als Kundry insbesondere -aber auch das Orchester unter seinem Generalmusikdirektor Stefan Blunier. Auch oder gerade nach sechs Stunden zeigte es sich im Finale temperamentvoll und hochdramatisch.

Es ist die letzte große Arbeit Bluniers, ehe er an die Bühnen Bonn wechseln wird. Bei den Parsifal-Folgevorstellungen (am 17.2. und 2.3.) werden übrigens die beiden potentiellen Darmstädter Generalmusikdirektor-Kandidaten (Daniel Klajner und Constantin Trinks) dirigieren und auf diese Weise um Bluniers Nachfolge wettkämpfen.

Staatstheater Darmstadt
"Parsifal" von Richard Wagner
Musikalische Leitung: Stefan Blunier
Inszenierung: John Dew
Bühne: Heinz Balthes
Kostüme: José-Manuel Vázquez