Kunst als Mittel des Widerstands gegen den Staat
Der Regisseur Bolat Atabajew war im Frühjahr verhaftet worden, weil er sich mit streikenden Ölarbeitern in seinem Heimatland Kasachstan solidarisiert hatte. Nun ist er mit der Goethe-Medaille für sein Lebenswerk geehrt worden.
Die letzten Wochen haben Bolat Atabajew viel Kraft gekostet. Dass er schließlich freigelassen wurde, verdankt er auch dem Engagement seiner Freude wie Volker Schlöndorff, bei dem er gerade zu Gast ist.
"Wenn ich müde bin, wir sagen in Kasachstan nicht müde, sondern marode, also wenn ich marode bin, komme ich nach Deutschland zu meinen Freunden. Das Leben ist für mich wie ein Fluss, ich muss schwimmen, immer agieren, handeln und manchmal habe ich also keine Kraft, dann suche ich ein festes Ufer, Deutschland ist für mich ein Ufer, Rastpause mache ich, ruhe ich mich aus, schöpfe Kraft und gehe weiter schwimmen."
Die deutsche Sprache und Kultur waren schon als Kind für ihn das andere, lockende Ufer, denn er ist in den Fünfziger Jahren in einem Dorf von Wolgadeutschen aufgewachsen, die Stalin nach Kasachstan deportieren hatte lassen, daher auch der altertümliche Begriff marode sein.
"Meine Eltern mussten arbeiten, wir kleine Kinder bei Omi Emma geblieben und also deutsches Essen gegessen, zum Beispiel Strudel, von Emmi Oma habe ich deutsche Volkslieder gehört, Weihnachten gefeiert als kleines Kind und dann meine Freunde waren Deutsche und meine erste Liebe war ein deutsches Mädchen, Mirta."
Inzwischen ist er mit seinen 60 Jahren selbst längst Großvater. Das Deutsche wurde schließlich zu seinem Lebensinhalt. Er studierte Germanistik in Leipzig und gründete 1980 mit Freunde das Deutsche Theater in der kasachischen Hauptstadt Almaty. Über viele Jahre leitete er sogar schließlich dieses einzige deutschsprachige Theater in der ganzen Sowjetunion. Dieses Theater wurde in vieler Hinsicht zu einem Experimentierraum.
"Protestieren habe ich von den Schauspielern des Deutschen Theaters gelernt. Damals wollten wir deutsche Autonomie wieder herstellen an der Wolga in Engels/Saratow. Und wir haben Papiere verteilt im Zuschauerraum und darüber auch geredet. Ich habe auch Rüge gekriegt, ich musste mit den KGB-Beamten reden, also es gab solche Dinge, aber Knast nie.""
Bolat Atabajew ist ein mutiger und ebenso kühl kalkulierender Mann. Als im Dezember 13 streikende Ölarbeiter von der Polizei nach Zusammenstößen erschossen, Hunderte verletzt und sehr viele inhaftiert wurden, war dies der Weltpresse nur wenige Zeilen wert. Doch als er vor den Arbeitern sprach, besaß dies enormen Symbolwert. Deswegen ließ man ihn anfangs unbehelligt, obwohl er wegen Aufwiegelung angeklagt war. Bolat Atabajew forderte schließlich die Staatsmacht heraus und erschien nicht zu einem Gerichtstermin.
"Ich wollte nicht nach den Regeln der Macht spielen, ich kann nicht sagen, dass ich das alles so genau inszeniert habe, aber provoziert habe ich schon."
Sein Kalkül ging auf. Denn danach wurde auch wieder über das Schicksal der Ölarbeiter gesprochen. Auch wenn er durch seine privilegierte Stellung einen anderen Schutz genießt, wirklich kalkulierbar war das Risiko für ihn nicht. Zumal Bolat Atabajew Diabetiker ist. Da kann auch eine kürzere Haft bei der sengenden kasachischen Hitze schnell zur Lebensbedrohung werden. Und dann hieß es plötzlich mitten in der Nacht, 2000 Kilometer fern der Heimat, ohne Pass, ohne die Möglichkeit, jemanden telefonisch benachrichtigen zu können, er solle zum Flughafen gefahren werden.
"Ich war bereit zu sterben – ich will nicht so pathetisch sein, ich dachte damals nicht an die helle Zukunft des kasachischen Volkes, nein, ich habe egoistische Ziele gehabt."
Was ihn erwartet, wenn er nach Kasachstan zurückkehrt, weiß er nicht. Ob die Anklage weiter gegen ihn verfolgt wird oder nicht.
"Es kann alles passieren, also jemand muss in diesem Leben die Wahrheit sagen und auch diese negative Rolle spielen. Meine Verwandte, Bekannte sagen: Wozu brauchst Du denn diese Wahrheit? Du siehst doch, also wegen dieser Wahrheit sterben die Menschen, die werden getötet, ins Gefängnis geworfen. Ihr wollt nicht, mein Nachbar will nicht, mein Freund will nicht, die haben Angst, aber jemand muss das dulden, deswegen, wenn ich zurückkomme, dann werde ich nicht schweigen."
Bolat Atabajews Stärke macht aus, dass er immer von der Theaterinszenierung her denkt, sich selbst als Rolle begreift, das macht ihn beweglicher, und so ist er der Staatsmacht immer ein, zwei Schritte voraus.
"Wenn ich müde bin, wir sagen in Kasachstan nicht müde, sondern marode, also wenn ich marode bin, komme ich nach Deutschland zu meinen Freunden. Das Leben ist für mich wie ein Fluss, ich muss schwimmen, immer agieren, handeln und manchmal habe ich also keine Kraft, dann suche ich ein festes Ufer, Deutschland ist für mich ein Ufer, Rastpause mache ich, ruhe ich mich aus, schöpfe Kraft und gehe weiter schwimmen."
Die deutsche Sprache und Kultur waren schon als Kind für ihn das andere, lockende Ufer, denn er ist in den Fünfziger Jahren in einem Dorf von Wolgadeutschen aufgewachsen, die Stalin nach Kasachstan deportieren hatte lassen, daher auch der altertümliche Begriff marode sein.
"Meine Eltern mussten arbeiten, wir kleine Kinder bei Omi Emma geblieben und also deutsches Essen gegessen, zum Beispiel Strudel, von Emmi Oma habe ich deutsche Volkslieder gehört, Weihnachten gefeiert als kleines Kind und dann meine Freunde waren Deutsche und meine erste Liebe war ein deutsches Mädchen, Mirta."
Inzwischen ist er mit seinen 60 Jahren selbst längst Großvater. Das Deutsche wurde schließlich zu seinem Lebensinhalt. Er studierte Germanistik in Leipzig und gründete 1980 mit Freunde das Deutsche Theater in der kasachischen Hauptstadt Almaty. Über viele Jahre leitete er sogar schließlich dieses einzige deutschsprachige Theater in der ganzen Sowjetunion. Dieses Theater wurde in vieler Hinsicht zu einem Experimentierraum.
"Protestieren habe ich von den Schauspielern des Deutschen Theaters gelernt. Damals wollten wir deutsche Autonomie wieder herstellen an der Wolga in Engels/Saratow. Und wir haben Papiere verteilt im Zuschauerraum und darüber auch geredet. Ich habe auch Rüge gekriegt, ich musste mit den KGB-Beamten reden, also es gab solche Dinge, aber Knast nie.""
Bolat Atabajew ist ein mutiger und ebenso kühl kalkulierender Mann. Als im Dezember 13 streikende Ölarbeiter von der Polizei nach Zusammenstößen erschossen, Hunderte verletzt und sehr viele inhaftiert wurden, war dies der Weltpresse nur wenige Zeilen wert. Doch als er vor den Arbeitern sprach, besaß dies enormen Symbolwert. Deswegen ließ man ihn anfangs unbehelligt, obwohl er wegen Aufwiegelung angeklagt war. Bolat Atabajew forderte schließlich die Staatsmacht heraus und erschien nicht zu einem Gerichtstermin.
"Ich wollte nicht nach den Regeln der Macht spielen, ich kann nicht sagen, dass ich das alles so genau inszeniert habe, aber provoziert habe ich schon."
Sein Kalkül ging auf. Denn danach wurde auch wieder über das Schicksal der Ölarbeiter gesprochen. Auch wenn er durch seine privilegierte Stellung einen anderen Schutz genießt, wirklich kalkulierbar war das Risiko für ihn nicht. Zumal Bolat Atabajew Diabetiker ist. Da kann auch eine kürzere Haft bei der sengenden kasachischen Hitze schnell zur Lebensbedrohung werden. Und dann hieß es plötzlich mitten in der Nacht, 2000 Kilometer fern der Heimat, ohne Pass, ohne die Möglichkeit, jemanden telefonisch benachrichtigen zu können, er solle zum Flughafen gefahren werden.
"Ich war bereit zu sterben – ich will nicht so pathetisch sein, ich dachte damals nicht an die helle Zukunft des kasachischen Volkes, nein, ich habe egoistische Ziele gehabt."
Was ihn erwartet, wenn er nach Kasachstan zurückkehrt, weiß er nicht. Ob die Anklage weiter gegen ihn verfolgt wird oder nicht.
"Es kann alles passieren, also jemand muss in diesem Leben die Wahrheit sagen und auch diese negative Rolle spielen. Meine Verwandte, Bekannte sagen: Wozu brauchst Du denn diese Wahrheit? Du siehst doch, also wegen dieser Wahrheit sterben die Menschen, die werden getötet, ins Gefängnis geworfen. Ihr wollt nicht, mein Nachbar will nicht, mein Freund will nicht, die haben Angst, aber jemand muss das dulden, deswegen, wenn ich zurückkomme, dann werde ich nicht schweigen."
Bolat Atabajews Stärke macht aus, dass er immer von der Theaterinszenierung her denkt, sich selbst als Rolle begreift, das macht ihn beweglicher, und so ist er der Staatsmacht immer ein, zwei Schritte voraus.