Die Ausstellung "Ruin Lust" ist noch bis zum 18. Mai 2014 in der "Tate Britain" in London zu besichtigen. Der Eintritt kostet umgerechnet etwa 13 Euro.
Der Mensch und die Ruinen
Eine Londoner Ausstellung zeigt Ruinöses aus vier Jahrhunderten, von der frühen Romantik bis zur Gegenwart. Es geht um die Faszination für den Zerfall und die Zerstörung in Malerei, Bildhauerei und Fotografie.
"Ruin Lust": Der Begriff, so heißt es im Begleitmaterial zur Ausstellung, sei die Übersetzung des Wortes “Ruinenlust”. Allerdings: Wo genau die deutsche Variante erstmals lexikalisch belegt ist, erfährt man leider nicht. Auf eine andere – englische! – Quelle verweist der Co-Kurator der Schau, der Publizist und Kunsthistoriker Brian Dillon.
"Wir stießen auf den Terminus 'ruin lust' bei der Romanautorin Rose Macaulay. Sie verwendete ihn 1953 in ihrem Buch Pleasure of Ruins, deutsch erschienen 1966 unter dem Titel 'Zauber der Vergänglichkeit'. Wo immer der Begriff seine Wurzeln haben mag: So kurz nach dem Zweiten Weltkrieg klingt er bei ihr besonders befrachtet, aber eben auch äußerst ambivalent."
Macaulays Buch – geschrieben noch unter dem Eindruck der deutschen Luftangriffe auf London – ist ein recht exzentrischer Rundgang durch die Ruinenlandschaften der Kunstgeschichte im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Rundgang freilich, der sich angesichts der Verwüstungen an der Themse als nostalgische Schwärmerei entpuppt.
Aber es gab sie natürlich, die vom "Zauber der Vergänglichkeit" befeuerte Schwärmerei für die Zerstörung in den Künsten. Die "Ästhetik des Zerfalls" hat eine lange Tradition, inspiriert wurde sie von den Ruinen der Antike. Zwei Veduten von Giovanni Battista Piranesi – entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – zeigen Relikte aus dem alten Rom: die Pyramide des Gaius Cestius und das Colosseum.
"Das Colosseum", sagte der Franzose Stendhal vor 200 Jahren, "ist heute, wo es in Trümmer fällt, vielleicht schöner als in den Tagen seines höchsten Glanzes. Damals war es nur ein Theater ..."
Ähnlich fasziniert von Ruinen zeigte sich der Maler William Turner. Sein Gemälde der verfallenen mittelalterlichen Abtei Tintern Abbey wurde zum Inbegriff der englischen Romantik. Turner, einer der "Hausgötter" der TATE Britain-Galerie, zählt zu den Höhepunkten dieser Schau.
Moderne Städte im Staub
"Zweierlei solle hier deutlich werden, sagt Brian Dillon: Wie weit die Ruinenkunst zurück reicht und wie modern das Zerfallsmotiv gleichzeitig ist. Sein Potenzial und seine Dringlichkeit zeigen sich bis heute."
Das Konzept der Ausstellung nennt der Kurator transhistorisch, will sagen: Man darf staunen darüber, wie die Bilder sich ähneln – über alle Epochen hinweg.
Hier "Die Zerstörung von Pompeji und Herculaneum" in John Martins dramatischem Ölgemälde aus dem Jahr 1822; dort ein Aquarell von 1830 mit der bis auf die Grundmauern zerstörten Bank von England aus der Vogelperspektive; dann, bei Gustave Doré 1872, ein Neuseeländer vor der Kulisse Londons, das in Schutt und Asche liegt: überall herrscht Katastrophen, Untergangs- und Endzeitstimmung.
Hier "Die Zerstörung von Pompeji und Herculaneum" in John Martins dramatischem Ölgemälde aus dem Jahr 1822; dort ein Aquarell von 1830 mit der bis auf die Grundmauern zerstörten Bank von England aus der Vogelperspektive; dann, bei Gustave Doré 1872, ein Neuseeländer vor der Kulisse Londons, das in Schutt und Asche liegt: überall herrscht Katastrophen, Untergangs- und Endzeitstimmung.
Aus der Ruine als Locus der Melancholie wird die Apokalypse, der Super-GAU. Die Verwüstung der Symbole repräsentativer Herrschaft und Zivi-lisation wandelt sich zur Allegorie des modernen Denkens.
Von den "Freuden der Ruinen" führt die Schau durch acht Abteilungen über die "Bunkerarchäologie" – mit Fotos vom deutschen Atlantikwall in Frankreich – hin zu den "Cities in Dust", den "Städten in Staub".
An die Stelle der Malerei tritt hier das Medium Fotografie. In seiner Serie "Uninhabited London" zeigt der englische Künstler Jon Savage menschenleere, unbewohnbare Gegenden der Metropole. Turner-Preisträgerin Rachel Whiteread ist vertreten mit einer Bilderfolge über den Abriss eines Wohnblocks, und Tacita Dean erzählt vom Erlöschen der Bilder selbst.
Im Kodak-Werk im französischen Chalon-sur-Saône filmte Dean die Produktion der letzten 16-Millimeter-Filme. Als Dokumentation einer obsoleten Technologie ist ihre Videoinstallation ein Abgesang auf ein sterbendes Medium.
Und was bleibt von der Lust an der Ruinierung, am Erlöschen und Verschwinden des Materiellen? Natürlich die Kunst selbst: als "ars memoriae", als Akt des Erinnerns und des Widerstands gegen das Nichts – trotz alledem.