Kunst

Der Roboter schwingt den Pinsel

Von Thomas Wagner |
Was unterscheidet die Renaissance vom Barock? Darüber können Kunstexperten stundenlang dozieren. Ein von Informatikern der Universität Konstanz entwickelter Malroboter greift einfach zum Pinsel.
"Ja, wir haben hier einen Industrieroboter, wie er eigentlich zum Schweißen von Automobilkarosserien verwendet wird, umgebaut zu einer Malmaschine"
Mit einem Knopfdruck auf einer Fernbedienung setzt Oliver Deussen, Informatik-Professor an der Universität Konstanz e-David in Bewegung . Der rote, einarmige Industrieroboter richtet seinen mächtigen Schwenkarm zu einer Art Reißbrett, das aus dem Planungsbüro eines Architekten stammen könnte. Die Metallklaue des Roboters umfasst einen kleinen Pinsel, den der Greifarm über das Papier auf dem Reißbrett führt.
"Also die Eingabe unseres Malroboters ist eine Fotografie. Und dann versucht der Roboter Wege zu finden, diese Fotografie auf die Leinwand zu malen. Und das Besondere an diesem Projekt ist, dass wir dabei eine Kamera haben, die das Malen überwacht. Und das ermöglicht es uns, sehr viel feinere, subtilere Dinge aufs Papier zu bringen als jede andere Malmaschine."
Und so entsteht auf dem Reißbrett vor dem Industrieroboter nach und nach das Abbild eines Frauen-Porträts. Das Wesentliche dabei: Das Porträt ist keine realitätsnahe Kopie der fotografischen Vorlage. Der Kopf erscheint vielmehr wie das Porträt, das ein bislang unbekannter Meister gemalt hat. Darüber freut sich Projektleiter Oliver Deussen. Denn:
"Uns interessiert, inwieweit man das menschliche kunsthandwerkliche Schaffen eines Menschen künstlich imitieren und durch Algorithmen beschreiben kann."
Malstile auf Knopfdruck
Und das ist das eigentliche Ziel des Forschungsprojektes e-David der Universität Konstanz: Der Malroboter soll durch entsprechende Programmierung in die Lage versetzt werden, Fotografien abzumalen – und zwar auf Knopfdruck im Stile unterschiedlicher künstlerischer Epochen. Denn die Gemeinsamkeiten einer Stilrichtung lassen sich nicht nur durch das Vokabular von Kunstkennern beschreiben. Vielmehr können Attribute wie Farbtöne und Linienführung nach der Erfassung mit einer Kamera in digitale Signale zerlegt werden. Werke einer bestimmten Epoche weisen nach ihrer Digitalisierung gemeinsame, sich ähnelnde mathematische Algorithmen auf. Diese Algorithmen wiederum dienen dem Malroboter als digitale Grundlage, um ein neues Werk im Stile der gewählten Epoche zu schaffen.
"Da haben wir in den letzten Jahren eine Reihe von Verfahren entwickelt, um unterschiedliche Stile über relative einfache Methoden zu simulieren."
Je nach Programmwahl auf der Fernbedienung ein Bild im Stile der Renaissance, des Barocks oder gar der Neuen Sachlichkeit – das ist das Langzeit-Ziel der Konstanzer Forscher. Soweit allerdings sind sie noch nicht. Immerhin können sie ein und dieselbe Foto-Vorlage beispielsweise impressionistisch malen lassen. Dann führt der Roboter kurze, in unterschiedliche Richtungen weisende Pinselstriche aus. Ein anderer Mal-Modus bildet die Vorlage in einem neorealistischen Stil ab, in dem die Konturen sehr hart gezeichnet sind. Etwa 15 Stunden braucht e-David bis zur Fertigstellung eines großflächigen Gemäldes. Zwischendrin muss er immer mal wieder eine Pause einlegen.
"Jetzt wurde der Pinsel gewaschen. Das müssen wir ja machen, um die Farbe loszuwerden. Und danach geht ein Föhn an. Der spritzt einfach überflüssiges Wasser wieder weg."
Algorithmus statt Kreativität?
Informatiker Thomas Lindenmayer arbeitet begeistert im e-David-Projektteam mit. Eine reizvollere Aufgabe kann er sich kaum vorstellen:
"Man hat eine wirklich große Maschine und versucht der etwas beizubringen, was bisher keiner einer Maschine beigebracht hat. Und das ist einfach das Spannende daran, weil man irgendwie täglich neue Sachen entdeckt und Sachen entdeckt, die man nie erwartet hat, und das ist wirklich eine ganz abenteuerliche Geschichte."
Vor allem dann, wenn die Informatiker vom Bodensee nicht nur an das Nachahmen einzelner Epochen denken, sondern an das Kopieren des Stils eines ganz bestimmten großen Meisters der Kunstgeschichte. Projektleiter Oliver Deussen hat da so eine Idee:
"Wir werden immer mal wieder gefragt, ob wir nicht einen Van Gogh fälschen können. Das werden wir als nächstes Mal ausprobieren, was gar nicht so einfach ist, weil Van Gogh sehr komplexe Muster mit verschiedenen Farben und Strichen verwendet hat. Die versuchen wir statistisch zu beschreiben und dann in ähnliche Form für neue Motive aufs Papier zu bringen."
Allerdings: Reichen eine fotografische Vorlage und die jeweiligen Algorithmen tatsächlich aus, um eine Art neuer van Gogh zu schaffen? Oder bedarf es nicht doch ein bisschen mehr? Braucht’s nicht das, was den wahren Künstler auszeichnet, Kreativität, einen Hauch von Genie – Attribute, die eine Maschine wie e-David niemals einbringen kann? Für Oliver Deussen ist das eine spannende Frage:
"Ab wann beginnt Kunst und inwiefern können da auch Maschinen Beiträge dazu liefern? Nicht zuletzt auch für mich die Frage: Kann man nicht irgendwann mal Kunstwerke zusammen mit Robotern malen? So wie Rubens das gemacht hat, der die Skizze als Mensch gemacht. Und dann hatte er viele Maler, die ihm die Details gemalt haben. Und zum Schluss hat er das Ding dann fertig gemacht. Genau könnte ich auch mit dem Roboter arbeiten: Ich gebe eine Skizze vor, der Roboter füllt diese mit vielen Details aus über ein paar Tage. Und ich kann dem ganzen denn danach den letzten Schliff geben."
Und damit steht fest: Für e-David, den Malroboter aus Konstanz, gibt es in Zukunft noch genug Arbeit – ebenso wie für die Forscher, die bei diesem Projekt mitarbeiten.
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