Die Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Von Otto Dix bis Jeanne Mammen" ist vom 27.10.2017 bis 25.2.2018 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.
Eine Gesellschaft in der Zerreißprobe
Wütende, ironische und prophetische Bilder in der Schirn Kunsthalle Frankfurt: Die Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" zeigt das Kunst-Panorama einer lärmenden Zeit voller Spannungen – mit Werken bekannter und wenig beachteter Künstlerinnen und Künstler.
Hier geht es nicht um die "Goldenen Zwanziger Jahre". Auch nicht um die Neue Sachlichkeit und ihre kapriziösen Meisterleistungen. Sondern um Wahrhaftigkeit in der Schilderung des Sozialen, um die ungeschminkte Darstellung der Weimarer Gesellschaft. Es sind wütende Bilder, sarkastisch, ironisch, anklagend, prophetisch.
Bei der Arbeit an der Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" habe sie sich zunehmend politisiert, sagt Ingrid Pfeiffer, die Kuratorin der Frankfurter Ausstellung:
"Ich glaube, Künstler sind so etwas wie Seismografen einer Gesellschaft. Sie spüren die unterschwelligen Spannungen, sie spüren natürlich auch die offensichtlichen, damals war das Inflation, Massenarbeitslosigkeit, schlimme soziale Zustände. Die Künstler spiegeln die Für und Wider gleichermaßen, man sieht den Kampf um Freiheit, um Demokratie, um Aufklärung, um viele Werte, an denen wir heute noch festhalten und wieder festhalten wollen und müssen, für die wir uns neu engagieren müssen. Und ich glaube, das ist die Botschaft der Ausstellung."
Kampf um neue Identitäten
Ausstellungen mit Botschaft – da zuckt man normalerweise zusammen. Aber die Themen dieser Schau – Raubtierkapitalismus, Industrialisierung, Vergnügungswahn, neue Rolle der Frau, Prostitution, Kampf um das Recht auf Abtreibung oder Homosexualität – zeigen eine Gesellschaft, die um ihre Identität kämpft und dabei einer großen Zerreißprobe unterworfen ist. Und in der wir uns wiedererkennen können:
"Zu sehen, wie zum Beispiel die neue Frau etwas ist, von dem wir heute mit Selbstverständlichkeit ausgehen: dass man Berufe ergreift, dass man sich kleidet, wie man will, dass man abends allein ausgehen kann – all das beginnt in den 20er-Jahren. Also eine unglaubliche Freiheit. Unser ganzes Weltbild fußt eigentlich in dieser Zeit."
In den Bildern von Rudolf Schlichter tritt sie uns entgegen: die junge selbstbewusste Frau mit Pagenschnitt und Krawatte, die ihren Platz in der Berufswelt der Männer behauptet. Jeanne Mammen zeigt die Frauen mit Bubikopf, Hosenanzug, Smoking, Zigarette und präsentiert die lesbische Liebe kühl und ohne Verurteilung.
Künstlerinnen mit Anteilnahme und Humor
Im Vergleich mit Rudolf Schlichter oder George Grosz ist es interessant zu sehen, wie anders Künstlerinnen die Prostituierten darstellen: mit Anteilnahme, mit Humor und Mitgefühl. Elfriede Lohse-Wächtler, neben Kate Diehn-Bitt eine der Entdeckungen dieser Schau, lebte zeitweise selbst auf St.Pauli in Hamburg und kannte das Milieu.
Ingrid Pfeiffer: "Viele Künstlerinnen sind in der Ausstellung, von der Werken her rund 30 Prozent. Das ist ziemlich viel, aber es war gar nicht schwer, sie zu finden, sie liegen auf der Hand. Das sind Jeanne Mammen oder Elfriede Lohse-Wächtler, Hannah Nagel, Schülerin von Carl Hubbuch; und einige mehr, wo man sagt: Oh, warum ist die mir bisher entgangen?"
Die Kuratorin Ingrid Pfeiffer ist dafür bekannt, die Kunstgeschichte immer wieder zu durchforsten, um vergessene Künstler und Künstlerinnen zu entdecken. Auch in dieser Ausstellung führt es dazu, eine künstlerische Normalverteilungskurve herzustellen, nicht nur Beckmann, Dix und Grosz zu finden, sondern auch eine Hanna Nagel. Mit ihrem Selbstmordsprungturm liefert sie einen sarkastischen Kommentar zu den Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Selbstgefällige und verzweifelte Gesichter
Überhaupt zeigt diese Ausstellung vor allem die Physiognomie jener Zeit: selbstgefällige, verzweifelte, höhnische, überhebliche Gesichter. Wie den sogenannten "Hakenkreuzritter" von Georg Scholz, 1921. Schmisse im Gesicht, Bowler auf dem Kopf, ausgestülpte Lippen, Hakenkreuz am Revers.
Ingrid Pfeiffer: "Künstler haben früh gewarnt, was kommen wird. Was mich überrascht hat, war die Häufung von Hakenkreuzen in vielen Bildern, schon zu Beginn der 20er-Jahre, bei George Grosz, bei Georg Scholz, die haben gesehen, was kommt. Die haben gesagt: Seht her. Es wollte aber keiner sehen. Und ja, wir müssen heute wirklich wieder lernen, ganz genau hinzusehen und das zu verteidigen, woran wir glauben."
Die Frankfurter Schirn-Ausstellung ist quer gebürstete Kunst und vor allem deshalb – eindrucksvolle Sozialgeschichte. Wie mit der Lupe zeigt sie die Risse in der Fassade der Zwanziger Jahre, im Gesicht der Weimarer Republik. Und geht deshalb ziemlich nah.