"Eine wirkliche Humanistin"
Die Romni Ceija Stojka überlebte drei KZs, in ihren letzten Lebensjahren schrieb und malte sie über die Schrecken in den Lagern und wurde eine der wichtigsten Stimmen der Minderheit. Matthias Reichelt und Lith Bahlmann zeigen jetzt in Berlin ihre Bilder in der Ausstellung "Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz".
Ulrike Timm: "Ich habe zum Stift gegriffen, weil ich mich öffnen musste, schreien", so Ceija Stojka. Erst mit über 50 erlaubte sie sich das, erst im letzten Drittel ihres Lebens fasste sie in Worte und in Bilder, was sie erlebt hatte. Ceija Stojka hat drei Konzentrationslager überlebt. Von den 200 Mitgliedern ihrer Roma-Familie schafften es nur fünf, Auschwitz und Bergen-Belsen zu überstehen. Nach dem Krieg lebte Ceija Stojka in Wien, viele Jahre als Teppichhändlerin, aber immer bekannter wurde sie auch als Autorin, durch ihr Buch "Wir leben im Verborgenen", in dem sie schildert, wie die Ausgrenzung der Roma auch viele Jahre nach der Nazizeit zum täglichen Leben gehört.
Sie gilt als Ikone der Emanzipationsbewegung der Sinti und Roma. Ceija Stojka wurde in Österreich noch spät in ihrem Leben vielfach geehrt, in Deutschland aber kennt sie kaum ein Mensch. Matthias Reichelt und Lith Bahlmann wollen das ändern. Sie haben in Berlin eine Ausstellung mit Bildern Ceija Stojkas organisiert, die am kommenden Freitag eröffnet. Vor der Sendung sprach ich mit Matthias Reichelt, der Ceija Stojka noch kennengelernt hat, und er erzählt von diesem Besuch in Berlin.
Matthias Reichelt: Wir begegneten einer sehr übermüdeten, unheimlich herzlichen Dame, weil sie gerade von einem Kindermalkurs aus Linz kam. Sie war sehr müde und hatte nur zwei, drei Stunden für uns Zeit, aber in dieser Zeit war das so eine faszinierende Begegnung, weil sie unwahrscheinlich herzlich ist, uns sofort sehr offen begegnete und Auskunft über ihre Kunst gab.
Timm: Klingt nach einem lebensfrohen Menschen, was man nach dem Lebenslauf nicht unbedingt vermuten muss.
"Hat den Glauben an die Menschen nicht verloren"
Reichelt: Das ist das große Geheimnis, was wir eigentlich auch nicht richtig klären können. Sie ist eine, man kann sagen, eine wirkliche Humanistin und hat den Glauben an die Menschen und die Menschheit nicht verloren, trotz dieser ganzen furchtbaren Erlebnissen, die sie in diesen drei Lagern hatte.
Timm: Die Bilder, die sie gemalt hat, die hat sie selbst unterschieden in dunkle und in helle, und sie war wohl ganz erstaunt, dass Sie sich für die dunklen interessiert haben.
Reichelt: Ja, weil - das große Problem ist, dass die Geschichte des Genozids an Roma und Sinti bis heute eigentlich immer noch nicht richtig erzählt ist. Es wird immer stiefmütterlich behandelt. Die Shoa ist relativ gut erzählt und dokumentiert, bei den Roma und Sinti eben nicht. Und als wir gezielt für diese Ausstellung eben nach bestimmten Bildern fragten, sagt sie halt in ihrem österreichischen guten Sound, hat sie dann gesagt: „Ach, imma wulste meine dunklen Bilder hobn“. Und dann haben wir gesagt, na ja, das dient natürlich der Darstellung dieses Kapitels, was für uns wichtig ist, und da sagt sie, na, da hab ich aber noch einen ganzen Stapel dahinten in der Ecke. Und so hat sich uns dann dieser große Zyklus "Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz" erschlossen.
Timm: Der Tod war ja in Auschwitz in jedem Winkel gegenwärtig. Was bedeutet vor diesem Hintergrund der Titel?
Reichelt: Sie hat den Tod immer als Freund oder als natürliche Institution des Lebens begriffen. Das kommt auch in vielen Texten und Bildern drin vor, aber das, was dort der Tod, der geplante Mord von Menschen an Menschen in industrieller Fabrikation - das hat alles überstiegen, und deswegen, durch dieses Grauen, dieses - hat sie diesen Titel gewählt und erwähnt ihn einmal. Und es gibt ja auch dieses wunderschöne kurze Gedicht, in dem kommt "Auschwitz ist mein Mantel, Bergen-Belsen mein Kleid und Ravensbrück mein Unterrock. Wovor soll ich mich noch fürchten?"
Timm: Wovor soll ich mich noch fürchten, ist, glaube ich, die zentrale Zeile, denn in Auschwitz kam der Tod ja nicht, wie Sie es zu Anfang sagten, als Teil des Lebens, sondern als Mörder, als industrialisierte Vernichtung. Was für Bilder haben Sie denn ausgestellt? Was hat sie gemalt?
Reichelt: Sie hat in diesem großen Zyklus an Tuschezeichnungen und Gouachen hat sie viele Szenen aus der Erinnerung rekapituliert und dargestellt, und teilweise in einer sehr filigranen Art und teilweise auch in einer sehr expressiven, breit getuschten Form, die manchmal richtig in die Abstraktion reingeht. Sie hat auch so Metaphorik für sich gefunden: Zum Beispiel die Raben kommen in ganz vielen Texten vor. Raben sind also einmal Repräsentanten der Tierwelt, sind auch zu Freunden geworden, andererseits auch Überbringer von Nachrichten. Sie hat sich an solche Tiere auch geklammert, und die tauchen immer wieder in diesen Bildern auf.
Timm: Und ein Thema dieser Bilder ist wohl auch die Nummer, die ihr eintätowiert wurde. Ganz offensiv ist sie mit dieser Nummer umgegangen. Das ist auch erstaunlich. Wie war das?
"Sie bekam die Nummer Z6399"
Reichelt: In Auschwitz, nur in Auschwitz, bekamen ja alle Inhaftierten am Tag der Ankunft eine Nummer tätowiert, selbst kleine Kinder. Und sie bekam die Nummer Z6399. Und diese Nummer hat sie bis zum Schluss - sie kam nie in die Versuchung, die irgendwie mal wegätzen zu lassen. Sie hat ihn benutzt und hat die auch offen gezeigt, und man kann es eigentlich nicht anders erklären, fast als eine noch zusätzliche Identität begriffen, indem sie praktisch das so ganz umwidmet und sagt, Leute, ich bin nicht ermordet worden, ich habe überlebt und ich zeige, ich erzähle diese Geschichte. So eine trotzige Reaktion. Ich kenne das von vielen Überlebenden, die versucht haben, das immer zu verstecken, aus so einer ganz furchtbaren Scham auch heraus. Sie stand da immer dazu und hat das immer sehr demonstrativ auch gezeigt. Es gibt viele Fotografien, die sie im Dirndl zeigen und ihre Nummer zu sehen ist, und so ist sie eben auch aufgetreten (Anm. d. Red: Aussage auf Wunsch des Interviewten angepasst.).
Timm: Das ist ja oft so, dass KZ-Überlebende in den letzten Jahren ihres Lebens sich ausdrücken, zum einen, um sich selber noch mal ein Stück weit zumindest zu befreien, und zum anderen auch, um Zeugnis abzulegen. Wie hat denn Ceija Stojka ihre Bilder, ihr spätes künstlerisches Werk selbst verstanden?
Reichelt: Einmal glaube ich, das Schreiben und das Malen war für sie ein Ventil für diese aufgestauten Geschichten und diese Traumata, die sie unbedingt irgendwann los werden musste. Und dann kam hinzu, dass sie als eine Humanistin wirklich dafür sorgen wollte, dass die Kunde in die Welt getragen wird von diesem furchtbaren Schicksal, damit es nie wieder geschehe. Also, sie erinnert auch so ein bisschen an den Buchenwald-Schwur: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder Auschwitz". Und da hat sie eigentlich einen großen Teil ihres Lebens in den letzten Jahren für gewidmet, dass sie gerade bei Kindern, bei Jugendlichen, immer aufgeklärt hat. Ist in Schulen gegangen, hat erzählt und hat auch ihre Kunst in dieser Funktionalität auch begriffen.
Timm: "Der Boden unter unseren Füßen war sehr heiß und schwarz - Menschenstaub", so heißt es in einem ihrer Texte. Wie ergänzen sich denn die Bilder und die Texte, die wir von Ceija Stojka haben?
Reichelt: Sie hat also in die Bilder selber zum Beispiel die Befehle der Kapos, der SS-Wachmannschaften, diese entwürdigenden Situationen und Anordnungen, die hat sie in die Bilder integriert und teilweise hinten drauf richtig, ganz lange Texte geschrieben, die auch diese Situation auch noch mal ergänzen. Also, ich denke, aus beiden dieser Medien wird eine kompakte, narrative Erzählung. Und deswegen haben wir zum Beispiel auch Wert drauf gelegt - ich glaube, wir sind die ersten, die das machen, dass wir diese Texte zu den Bildern komplett dechiffriert und erfasst haben und auch in dieser Buchform mit integriert haben.
Timm: Und das erzählt uns Matthias Reichelt. Er hat eine Ausstellung mit Bildern Ceija Stojkas kuratiert, und gemeinsam mit Lith Bahlmann ein Buch herausgegeben, das an Leben und Werk dieser Roma-Künstlerin erinnert. Herr Reichelt, Ceija Stojka hat sich ja erst spät entschieden, ihre Geschichte künstlerisch zu erzählen, und sie erzählt zugleich in vielen die Geschichte ihres Volkes, der Lovara-Roma. Was sind das für Menschen?
Reichelt: Die Lowara sind eigentlich im Burgenländischen angesiedelt, "Sint Lo" kommt von Pferd, und traditionell waren das Pferdehändler, die übers Land gezogen sind, mit Pferdehandel überlebt oder gelebt haben. Und sie ist also während der Reise geboren worden, sie beschreibt das auch, und ist in Graubad in der Steiermark geboren worden 1933. Und nach diesen ganzen traumatischen Erlebnissen ist sie, wie der Rest der Familie sich nieder wieder getroffen hat, konnte man nicht mehr an den Pferdehandel anknüpfen. Deswegen hat sie dann den Teppichhandel für sich gefunden, ist irgendwie auf Märkte gezogen, hat in Wien auf Märkten gehandelt, und sie hat auch - wir drucken ein Dokument ab - für 25 Jahre - ich glaube, Marketenderin, es gibt einen ganz österreichischen Ausdruck dafür, also für 25-jähriges erfolgreiches Unternehmertum als Teppichhändlerin.
Timm: Eine unglaublich schöne Frau auch, sieht man auf diesem Foto, wo sie als Teppichhändlerin arbeitet. "Wir leben im Verborgenen", so heißt eines ihrer Bücher. Wurde Ceija Stojka auch deshalb zu einer Ikone der Sinti-Bewegung, weil sie eben mit diesem Buch die Verborgenheit verließ und ja da auch einen Stolz mitteilt?
"Der Antiziganismus bis heute fast nicht in Frage gestellt"
Reichelt: Ja. Die Entwicklung der Öffnung der Roma und Sinti, sich gegenüber der Gesellschaft zu ihrem Schicksal zu bekennen, zu ihrer ethnischen Herkunft zu bekennen, ist viel später erfolgt als bei zum Beispiel den überlebenden Juden, die auch versucht haben, sich daran nicht erinnern zu wollen, nicht erinnert zu werden an das, was sie überstanden haben, und aber auch natürlich Angst vor antisemitischen Übergriffen hatten. Bei den Roma und Sinti ist das im Grunde genommen bis heute - Wolfgang Wippermann hat mal gesagt, dass praktisch der Antiziganismus bis heute fast nicht in Frage gestellt wird. Und das ändert sich so langsam durch das Denkmal, durch Zoni Weisz' Auftritt 2011 vor dem Bundestag. Und das versuchen wir ja auch mit dem Buch und der Ausstellung auch weiter zu befördern. Aber sie war eine der ersten, die in Österreich in den 80er-Jahren wirklich an die Öffentlichkeit ging, und das gab auch Probleme, also mit eigenen Freunden und Bekannten, die wollten das nicht.
Timm: Was wollten die nicht?
Reichelt: Sie haben Angst gehabt, dass sie jetzt an die Öffentlichkeit gezerrt werden und eventuell berufliche Nachteile hinnehmen müssen, wieder mit gewissen Ressentiments konfrontiert werden, und wollten das alles eher - eben im Verborgenen bleiben.
Timm: Sie haben Ceija Stojka ja kurz vor ihrem Tod vor zwei Jahren noch getroffen. Wie hat sie denn auch eben vor dem Hintergrund dieses ja immerwährenden präsenten Antiziganismus, den Sie beschreiben, wie hat sie denn vor diesem Hintergrund ihren späten Ruhm noch erlebt? Wie hat sie das gesehen, selbst?
Reichelt: Als sie noch voll gesund war, ist sie viel gereist. Sie hat Anerkennung in den USA gefunden, in Japan, in Ungarn, und es gab viele Ausstellungen, und sie ist auch geehrt worden durch Preise, Ehrenprofessur und so weiter.
Timm: Aber das kann man ja auch sehr makaber finden, so in den letzten Jahren seines Lebens, vor diesem Hintergrund.
Reichelt: Ja, aber wenn Sie berücksichtigen, dass sie ja sehr spät angefangen hat - sie hat ja erst wirklich Mitte, Ende 80er-Jahre überhaupt als Künstlerin sich betätigt. Insofern kann man sagen, hat sie das sehr goutiert.
Timm: Matthias Reichelt über Ceija Stojka, die vor zwei Jahren gestorben ist. Eine Roma-Künstlerin, in Berlin eröffnet am Freitag eine Ausstellung mit ihren Bildern. Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz, so ist sie benannt.
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