Formen, Farben, Licht und Raum
An Giorgio Morandi scheiden sich die Geister. Den einen sind seine Stillleben zu wenig spektakulär, die anderen feiern den italienischen Maler der Stille als Markstein der Malerei des 20. Jahrhunderts.
Ein Stillleben von Giorgio Morandi hat seinen unverwechselbaren Ton.
Flaschen, Schalen, Kannen, auf einer Ebene arrangiert. Die Gefäße sind leer, nichts deutet auf alltäglichen Gebrauch hin. Dinge werden zu Formen, gemalt in zarten Farben: Apricot, Oliv, Lachsorange, unzähligen Blau- und Grauabstufungen.
"Er gilt als der Außenseiter, man hat ihn auch den Mönch, den Sonderling genannt, den Heiligen gar, und damit eigentlich deutlich gemacht, dass er ein Künstler ist, der außerhalb der großen Strömungen steht."
Der Kunsthistoriker Ernst-Gerhard Güse widmete Morandi 1993 im Saarland-Museum, Saarbrücken, eine große Einzelausstellung. Doch waren nach dem Tod des italienischen Malers am 18. Juni 1964 auch Stimmen laut geworden, die ihn als "Kleinmeister der deutschen Innerlichkeit" oder gar als "heimlichen Mitläufer Mussolinis" bezeichneten. Tatsächlich hatte Morandi 1938 mit den Futuristen auf der Biennale von Venedig ausgestellt. Die internationale Ausstellung war damals zum Schaufenster des italienischen Faschismus geworden. Politik interessierte Morandi offenbar nicht, sein Leben drehte sich um die Malerei.
"Er hat immer ganz programmatisch gesagt, dass ihm Inhalte gleichgültig sind. Er möchte keine Metaphysik, er möchte keine sozialen, politischen, wie auch immer Inhalte transportieren, sondern das, was ihm wichtig sind, sind Formen, Farben, Licht, Raum, Zeit."
Volker Kriegels "Notiz für Morandi" entstand um 1980. Die meditative Ausstrahlung von Morandis Malerei hat Musiker, aber auch Literaten inspiriert. Der französische Dichter Philippe Jacottet fand Worte für dessen feine Farbabstufungen:
"Elfenbein und Sand und Asche. Kurz vor Anbruch des Tages."
Die Futuristen und die Renaissance
Anders als seine Zeitgenossen führte Morandi ein äußerst zurückgezogenes Leben in seiner Heimatstadt Bologna. Dort war er 1890 als Sohn eines Kaufmanns zur Welt gekommen. Sechs Jahre studierte er an der Kunstakademie, 1914 kam er in Kontakt mit der italienischen Moderne, den Malern der "pittura metafisica" und den Futuristen. Als junger Mann unternahm er Reisen nach Padua, Assisi und Rom und studierte die Werke von Meistern der Frührenaissance.
"Ich bin am Arbeiten, aber immer noch an dem Bild, das Du schon gesehen hast, sowie an einigen älteren Sachen. Ich plane auch, demnächst in der Pinakothek mit einer Kopie zu beginnen, vielleicht nach einem Bild von Costa."
Morandi 1919 in einem Brief an seinen Freund, den Schriftsteller Giuseppe Raimondi. Der Bologneser Malerschule verdankte der Künstler sein fein abgestuftes Kolorit. Er kopierte auch Werke anderer Meister, etwa von Raffael oder Giotto. Doch konnte er sich nicht ausschließlich der Malerei widmen. Gegenüber Raimondi klagt er:
"In letzter Zeit habe ich viele Unannehmlichkeiten mit der Schule gehabt und wenig gearbeitet. Jetzt sind, so Gott will, die Dinge wieder in Ordnung. Wenn Du kommst, solltest du mir eine Fotografie von Giottos Heiligem Joachim bei den Hirten mitbringen."
Im Kanon der Moderne
Morandi hat seinen Lebensunterhalt als Lehrer verdient, später stieg er zum Schulrat auf. Erst 1930 erhielt er eine Professur für Radiertechnik an der Kunstakademie. Zeit seines Lebens wohnte er bei seinen drei Schwestern in Bologna. Während der Sommermonate zog er sich in das Bergdorf Grizzana zurück.
Nach seiner Pensionierung, im Alter von 66 Jahren, unternahm er seine einzige Auslandsreise, in die Schweiz, nach Winterthur. Dort fand 1956 seine erste große Einzelausstellung statt. Ein Jahr zuvor waren Morandis Werke bereits auf der Documenta in Kassel zu sehen gewesen. Damit gehörte sein Werk zum Kanon der modernen Malerei.