Die Seele des schwarzen Amerika
Nicht erst seit Trump ist das Gelobte Land Amerika befleckt. Schon vor 60 Jahren sezierten die Künstler der Black-Power-Ära diesen Mythos. Aus aktuellem Anlass zeigt die Tate Modern eine Auswahl ihrer Werke.
2008 zur ersten Amtseinführung von Baráck Obama sang Beyoncé auf den Stufen des Lincoln Memorial in Washington vom wunderschönen Amerika: "America the Beautiful". Für die Schwarzen in den USA ging damals ein Traum in Erfüllung: Einer von ihnen war jetzt Chef im Weißen Haus, an dessen Bau bekanntlich auch schwarze Sklaven mitgewirkt hatten.
An der Stelle, wo Beyoncé das neue schwarze Amerika hochleben ließ, zu Füßen Abraham Lincolns, hielt Martin Luther King am 28. August 1963 seine berühmte "I have a dream"-Rede, mit der er der Bürgerrechtsbewegung in den USA entscheidende Impulse verlieh.
"Soul of a Nation: Kunst in der Black Power-Ära setzt ein mit diesem Datum" sagt Kurator Priyesh Mistry.
"Die Rede Kings war auch so etwas wie die Initialzündung für die schwarzen Künstler Amerikas. In New York vereinigten sich damals 14 bildende Künstler zur 'Spiral'-Gruppe um den Collagisten und Fotografen Romare Bearden. Das Kollektiv wurde zur Speerspitze einer sozial engagierten, vor Ort in den Schwarzensiedlungen aktiven Bewegung, die sich abseits des kommerziellen Mainstreams mit Fragen auseinandersetzte wie: Wie stehen wir zur amerikanischen Gesellschaft? Was kann Kunst von Schwarzen leisten? Wer ist unser Publikum?"
Die Schau in der Tate Modern beginnt mit einer Auswahl von Arbeiten des "Spiral"-Kollektivs. Zur Gruppe gehörte auch der in Harlem geborene Maler Norman Lewis. "America the Beautiful" nannte er eines seiner Bilder. Es zeigt einen ominösen, gespentischen Mummenschanz: eine nächtliche Versammlung des Ku Klux Klan. Die aus dem tiefschwarzen Bilduntergrund auftauchenden Südstaaten-Rassisten mit ihren weißen Gewändern und Spitzhauben wirken trotz aller Abstraktion eminent bedrohlich.
Der Mythos vom Gelobten Land Amerika: kritischer, bissiger als in diesem Gemälde ließ er sich Mitte des vorigen Jahrhunderts kaum konterkarieren. Das Lewis-Bild gehört heute dem schwarzen Filmemacher Spike Lee.
Rund 150 Exponate versammelt die Ausstellung. Sie ist gegliedert in insgesamt zwölf thematisch sortierte Abteilungen. Von den "Spirals" in New York geht es weiter über Street Art in Chicago, nach dem Motto "Das Ghetto ist die Galerie", und Poster-Grafik von West Coast-Künstlern bis hin zum neuen Abstraktionismus afro-amerikanischer Prägung.
Ikonografie der Civil Rights-Bewegung
Bildende Kunst als Spielart des politischen Aktionismus: Das geht nicht ohne die entsprechende Ikonografie. Und so sind hier auch so ziemlich alle "Schutzheiligen" der Civil Rights-Bewegung vertreten: die Anführer der 1966 gegründeten "Black Panther Party", Stokely Carmichael, Malcolm X, Tommie Smith und John Carlos, die Black Power-Olympioniken von Mexiko 1968 mit den geballten Fäusten bei der Siegerehrung, Muhammad Ali, auf einem Siebdruck von Andy Warhol und Angela Davis.
"Revolutionärin 1972": so der Titel eines Screenprints von Wadsworth Jarrell. Er porträtierte die Studentenführerin als Vexierbild in knallbunten Farben. Ihr Kopf setzt sich zusammen aus Zitaten aus ihren Reden.
"Natürlich ist das Thema Black Art der Jahre 1963 bis 1983, also von der Kennedy-Ära bis zu Ronald Reagan, heute noch so relevant wie damals", sagt Kurator Priyesh Mistry.
"Das Bemühen der afro-amerikanischen Künstler um ihre eigene Identität in einer bis heute tief gespaltenen Gesellschaft hat Signalwirkung weit über die USA hinaus."
Aktuell ist die Schau. Und durchaus brisant. Nur ihr Titel "Seele einer Nation" klingt vielleicht doch etwas zu vage. Schließlich ging und geht es den hier versammelten Künstlern allenfalls um die schwarze, aber wohl kaum um die Seele Amerikas, die Obamas Nachfolger so sehr am Herzen liegt.