Kunst in der Coronakrise

Die Folgen einer Kultur in den eigenen vier Wänden

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Ein Orchsteraufbau auf einer menschenleeren Bühne im Scheinwerferlicht. Stühle, ein Konzertflügel und andere Instrumente stehen bereit für ein Konzert.
Leere Bühnen, leere Konzerte, leere Kassen: Viele Künstlerinnen und Kulturschaffende kämpfen in der Coronakrise um ihr Überleben. © Getty / EyeEm / Bernardo Hohagen
Gunter Gebauer im Gespräch mit Julius Stucke |
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Der Philosoph und Kulturwissenschaftler Gunter Gebauer sorgt sich um die Kultur nach der Coronakrise. Für ihn sei bislang nicht klar, was der Rückzug ins Private für die Kultur bedeuten wird.
Mehrere Hundert Künstler haben wegen coronabedingter Existenzangst bei einer Kundgebung in München mehr Hilfen von der Politik verlangt. Die Demo unter dem Motto "Aufstehen für die Kultur" wurde unter anderem unterstützt vom ehemaligen Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD). Er erklärte, dass er sich angesichts der Einschränkungen für das kulturelle Leben um die kulturelle Substanz Deutschlands sorge. Nida-Rümelins Vergleich, dass Deutschland sich bereits nach dem Krieg als Land einer stabilen Wirtschaft positioniert habe und genau dies auch nun in der Corona-Krise erneut tue, widerspricht der Philosoph Gunter Gebauer.
Eine Frau hält bei einer Demonstration am Königsplatz in München ein Schild mit der Aufschrift «Ohne Musik wirds still.» Unter dem Motto «Aufstehen für die Kultur» erinnern Künstler an die schwierigen Lebenssituationen, die aus der Coronakrise für viele Kulturschaffende entstanden sind. 
Demonstration "Aufstehen für die Kultur" in München© picture alliance / dpa / Lino Mirgeler
Dieser Vergleich sei "nicht besonders gut", sagt Gebauer. "Zu beiden Zeitpunkten - also nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg - war Kultur enorm gefragt." Allein bei der Betrachtung des Interesses an Büchern - etliche Bücher erreichten damals in Millionenauflagen - oder dem Blick auf die Theater: Die Häuser waren voll, Musik ist wieder gespielt worden, sei diese These falsch: "Da wurde Kultur für außerordentlich wichtig gehalten und dabei hatte da niemand Geld."

Sorge um das Aushalten der Kultur bis nach der Pandemie

Was nun anders sei als in diesen Nachkriegsjahren, sei die Verfügbarkeit von Kulturangeboten, sagt Gebauer. "Der Hunger nach Kultur ist jetzt nicht so sehr stark." Audiovisuell sei vieles eben weiter da, denn statt ins Kino zu gehen, könne man vieles im Heimkino sehen, vieles sei zu Hause sehr schnell verfügbar, etwa zum Lesen und zum Hören. "Also es hat viele auch zurückgezogen in die eigenen vier Wände."
Der Sportsoziologe Gunter Gebauer
Sorgt sich um die Kultur nach der Coronapandemie: der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer.© imago sportfotodienst
In Reaktion auf den Auftritt der Band Die Ärzte in den Tagesthemen am Freitagabend sagte Gebauer, dass dies nicht einfach nur "nett" gewesen sei. Schließlich hätten sie nicht einfach nur die Sendung eröffnet, sondern sich auch erklärt: "Was die drei Musiker dann in der Sendung gesagt haben, war sehr ernst und sehr dezidiert."
Denn sie hätten betont, dass sie voll auf der Seite ihrer Crew seien, auf der Seite ihrer Roadies, und hätten so die Aufmerksamkeit auf die Leute in der Kulturbranche gelenkt, die jetzt Kredite nehmen müssten. Gebauer betont, dass nun die Frage diskutiert und beachtet gehöre - so auch gestellt von den Ärzten im Interview in den Tagesthemen.
"Wie wird es sein, wenn dann diese Krise einmal vorbei ist: Wird dann das Interesse an Kultur noch da sein? Ja, irgendein Interesse wird dann noch da sein, aber da fehlen auch Leute, die dann ausgestiegen sind." Wenn die Coronakrise vorbei ist, bestehe die Gefahr, dass das hohe Interesse an Kultur dann nicht mehr da sei, so Gebauer.
(str)

Gunter Gebauer ist Philosoph, Sportwissenschaftler und Linguist. Seine Veröffentlichungen decken ein breites Spektrum ab: von "Wittgensteins anthropologischem Denken" über die "Poetik des Fußballs" bis zu "Sprachen der Emotion". Bis zu seiner Emeritierung 2012 lehrte Gebauer Philosophie an der Freien Universität Berlin.

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