Kunst in Moskau

Neue alte Feindbilder

Dmitry Gutovs "A Man in a Beret" (2015) ist Teil der Ausstellung "Rembrandt. A Different Perspective" im Rahmen der 6. Moskauer Biennale.
Wahrscheinlich nicht anstößig ist Dmitry Gutovs "A Man in a Beret" (2015) als Teil der Ausstellung "Rembrandt. A Different Perspective" im Rahmen der 6. Moskauer Biennale. © dpa / picture alliance / ITAR-TASS / Sergei Bobylev
Von Thorsten Jabs · 08.09.2015
Im August zerstörten religiöse Fanatiker mehrere Kunstwerke in einer Moskauer Galerie, nun steht die 6. Moskauer Biennale für zeitgenössische Kunst bevor. Im Vorfeld hat sich unser Korrespondent Thorsten Jabs umgehört, wie die Atmosphäre für die Künstler jetzt ist.
Einige hundert Meter vom Roten Platz entfernt präsentieren junge Künstler aus Deutschland und Polen, aus Rumänien, Luxemburg und Russland ihre Bilder in der Triumph-Galerie. "Transmission – Young Leipzig Artists" heißt die Ausstellung im Herzen Moskaus. Die Ereignisse, die sich Mitte August ganz in der Nähe in der staatlichen Galerie "Manege" abgespielt haben, sind auch hier präsent – auch bei Kristina Semenova, der Kuratorin der Ausstellung, die in Leipzig wohnt und arbeitet aber regelmäßig in ihre Heimat Russland zurückkehrt:
"Hier müssen wir uns auch Sorgen machen. Zum Beispiel haben wir auch nackte Körper und es geht zum Beispiel um Intimität und es geht nicht um Entblößung. Und sogar wenn es um die Entblößung gehen würde, also ich finde, Kunst muss neutral bleiben, dass es nicht so der Politik dient oder dass jetzt so eine Gruppe von Menschen zu einer Ausstellung kommt und einfach fatalistisch diese Skulpturen zerstört, das ist einfach nicht akzeptabel."
In der Manege hatten Aktivisten der orthodoxen Gruppierung "Gottes Wille" am 14. August die Ausstellung "Skulpturen, die wir nicht sehen" angegriffen. Vier Arbeiten des sowjetischen Künstlers Wadim Sidur aus den 1970er-Jahren wurden wegen angeblicher Gotteslästerung beschädigt und teilweise zerstört.
Ende August gab es einen weiteren Übergriff. In der Triumph-Galerie zeigt der russische Künstler Vladimir Potapov Schwarz-Weiß-Bilder von sozialen und politischen Unruhen – unter anderem vom Maidan-Platz in Kiew. Dafür hat er sie mit Klebstoff bestrichen und Pigmentpulver in mehreren Schichten darüber rieseln lassen – als Metapher, um politische Prozesse zu veranschaulichen.
Anschläge auf Kunstwerke: "Diese Stimmung ist normal geworden"
Der 35-Jährige meint, es sei bedauerlich, dass russische Kunst im Westen in erster Linie durch Aktionen radikaler Kräfte bekannt werde. Allerdings spricht er von einer grundlegenden Veränderung:
"Das sind natürlich grausame Aktionen der Aktivisten, die schon zweimal gekommen sind und künstlerische Werke zerstört haben. Es gibt ein Problem in der russischen Gesellschaft mit solchen radikalen Orthodoxen und einer Stimmung, die normal geworden ist."
Das Goethe-Institut in Moskau unterstützt die Ausstellung, die im Rahmenprogramm der anstehenden 6. Biennale stattfindet. Einen Druck von orthodoxen Aktivisten spüre man bisher nicht, erklärt Leiter Rüdiger Bolz. Bedrückend sei für ihn in der Entwicklung seit 2014 aber, dass sich eine Tendenz abzeichne, neue Feindbilder zu pflegen:
"Die moralische Verderbtheit des Westens, die Angst, tatsächlich vereinnahmt zu werden, die eigene Heimat zu verlieren, eigene Werte zu verlieren – das sind so die Grundängste, die auch kräftig geschürt werden."
In Zeiten der Krise gebe es viele Menschen, die sich zurückzögen und den Hort der Sicherheit suchten, sagt Bolz – vor allem außerhalb der Metropolen:
"Da müssen wir differenzieren zwischen der Weltstadt Moskau, wo es Weltoffenheit gibt, und einzelnen Regionen, wo es in der Tat mit den örtlichen Behörden Schwierigkeiten gibt, wo auch mal die Kirche durch eine Intervention eine öffentliche Kunstaktion schafft zu unterbinden. In dieser Dimension findet das statt."
Viele radikale Künstler in Russland ziehen sich zurück
Der Kreml schweigt zumeist zu solchen Schwierigkeiten – auch der Appell zahlreicher Direktoren staatlicher Museen, Kunstvandalismus zu bestrafen, scheint ungehört zu verhallen. Vladimir Potapov beschreibt die Dimensionen. Die Zahlen radikaler Künstler und deren Aktivitäten seien stark gesunken. Viele Kollegen hätten sich zurückgezogen:
"In diesem Sinne fühlt man, dass der Staat die Daumenschrauben anzieht. Die Künstler befürchten, dass der Staat gegen sie für ein Bild an der Wand einen Krimimalprozess eröffnen kann."
Vladimir Potapov lächelt, wenn man ihn nach seiner Zukunft fragt. Seine Bilder über soziale und politische Unruhen bezeichnet er zwar als politische Werke, aber nicht als brisant genug, um derzeit besorgt zu sein:
"Diese Stufe der Offenbarung oder der politischen Kritik, die hier in meinen Werken steckt, stoppt mich noch nicht. Noch habe ich keine Angst um mich und meine Familie."

Die Ausstellung "Transmission" ist bis 20. September in der Moskauer Triumph-Galerie zu sehen.

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