Kunst und Kuratieren

Der endgültige Sieg des Rahmens über das Werk

Ein Mann betrachtet leere Rahmen an einer Museumswand.
Der Betrieb kehrt auf Umwegen zu jener alten Spießigkeit zurück, die den üppigen Goldrahmen mehr zu bewundern weiß als dessen Beinhaltung, sagt Alexander Estis. © Getty Images / Grant Faint
Ein Kommentar von Alexander Estis · 07.07.2022
Das Äußerliche von Kunstwerken ist heute wichtiger als sein Gehalt. Ohne Konzept und Kontext sind viele schlicht wertlos, urteilt der Kolumnist Alexander Estis. Von Kuratoren allein auserkoren, um aufmerksamkeitsökonomische Bedürfnisse zu stillen.
Dem Bourgeois war das Gemälde schon immer zuvorderst Teil der Innenausstattung; die Weltherrschaft des Designs verhalf dieser Sichtweise zu allgemeiner Respektabilität. Dass aber heute auch innerhalb der sogenannten Szene die eigentlichen Äußerlichkeiten des Kunstwerks über dessen Gestalt und Gehalt triumphieren, besiegelt den endgültigen Sieg des Rahmens über das Werk.
Ohne Konzept und Kontext sind die meisten Werke zeitgenössischer Künstler nicht nur unzugänglich, sondern schlicht wertlos. Das Etikett, das Curriculum, der Preis, der Raum, die Präsenz auf Social Media, genauso aber der Entstehungshintergrund, die vorformulierte Programmatik, der politische Standpunkt und die private Historie des Künstlers – all das entscheidet wie selbstverständlich über die Beachtung, die einem bisweilen unbedeutenden und austauschbaren Objekt zuteilwird.

Kurator als Designer eines Fomats

Dass sich die wenigsten modernen Kunstwerke dieser Art in einem realen Bilderrahmen präsentieren, mag dabei nur dem oberflächlichen Blick als Paradoxie erscheinen. Bei aller angeblichen Subversion dieser durch und durch konsumkonformen Kunstavantgarde fügt sie sich keiner anderen Kategorie so treuergeben wie derjenigen des Formats; dieser nämlich vereinigt als Substitut des Rahmens die zuvor aufgezählten Äußerlichkeiten.

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Dadurch profiliert sich die Figur des Kurators, der nichts anderes ist als der Designer eines Formats. Nicht umsonst wurde von einigen Theoretikern der Epochenbegriff „Kurationismus“ geprägt, der diese Prominenz des Kurationsprozesses – wenn nicht gar sein Primat – innerhalb des zeitgenössischen Kulturbetriebs reflektiert.
Die sich kreativ gerierenden Arrangeure beschränken sich mitnichten auf bloße Auswahl der Künstler und Kombinatorik, sondern sehen ihre Tätigkeit als ebenso schöpferisch an wie diejenige der Kuratierten. „Die Kuratoren konzipieren innovative Ausstellungsformate“, heißt es da, tausendfach variiert, in jeder zweiten Presseerklärung.

Rahmen für eine sinnentleerte Kunstproduktion

Das innovative Format kann im besten Fall eine intelligente Konstellation bieten. In der Regel bleibt es bloß die gemäße Präsentationsform einer sinnentleerten Kunstproduktion, die sich, wie schon beschrieben, aalglatt in die vorgegebenen Rahmen einfügt.
In der Konfrontation mit auch nur einigermaßen eigenwertigen Kunstwerken diskreditiert sich das „innovative Format“ jedoch regelmäßig als unbeholfener Kitsch – wie Ausstellungen beweisen, in denen Blumensträuße vor Gemälden der klassischen Moderne angeordnet, pointilistische Farbtupfer in riesenhafte Leuchtdioden übersetzt oder Skulpturen per App zum Leben erweckt werden.
Mit seiner inhärenten Innovationssucht und seinem aufgeregten Eventcharakter überlagert das Format die Wahrnehmung – ganz als hätte man einen fünfzigjährigen Whiskey mit Cola verdünnt, auf dass er ins Format eines modernen Süßgetränks passe.
Die Faszination am kuratorischen, mithin kombinatorischen oder technischen Aspekt verhindert in solchen Fällen eine Konfrontation mit dem Eigentlichen des Kunstwerks. Auf diese Weise kehrt der Betrieb auf Umwegen zu jener alten Spießigkeit zurück, die den üppigen Goldrahmen mehr zu bewundern weiß als dessen Beinhaltung.

Format als risikoarmes Passepartout

Die derart bewirkte Deformation durch Zwangsformatierung ist heute allgegenwärtig. Als eilfertiger Zuarbeiter aufmerksamkeitsökonomischer Bedürfnisse ermöglicht das Format die Reproduzierbarkeit des Besonderen, das Singuläre in Folge. Es bildet ein risikoarmes Passepartout für das Immerneue, und alles potenziell Widerständige zwingt es in die mundgerecht aufbereitete Serialität.
Das Format ist der wahre Plätzchenausstecher der Geisteswelt. Mit einigem Recht darf man daher fragen, ob am Ende nicht allein jene Dinge Format haben, die niemals in ein Format passen können.

Alexander Estis ist Schriftsteller und Kolumnist. 1986 in Moskau geboren, studierte er in Hamburg deutsche und lateinische Philologie, anschließend lehrte er an verschiedenen Universitäten in Deutschland sowie in der Schweiz, wo er seit 2016 als freier Autor lebt. Zuletzt erschien von ihm das „Handwörterbuch der russischen Seele“ bei der Parasitenpresse Köln.

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