Kunst

"Maria Lassnig hat ihre Körperempfindung abstrahiert"

Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen, gestikuliert am 10.12.2012 in Hamburg bei der Jahres-Pressekonferenz.
Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Dirk Luckow im Gespräch mit Britta Bürger |
Teilweise habe Maria Lassnig mit geschlossenen Augen gemalt, um ihren Körper von innen heraus zu erforschen, so Dirk Luckow. Ihre "Körperbewusstseinsbilder" hätten großen Einfluss auf die Body Art und Performance-Kunst ausgeübt.
Britta Bürger: Als die österreichische Künstlerin Maria Lassnig im vergangenen Jahr bei der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk geehrt wurde, da ließ sie ausrichten, nun sei sie zu alt für die Reise, außerdem sei in der Stadt zu viel Wasser. Gestern ist sie nun mit 94 Jahren gestorben. Lang hatte Maria Lassnig auf die öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Arbeit warten müssen.
Maria Lassnig: So richtig bin ich nicht durchgekommen, weil nichts hinter mir war, eigentlich. Es war keine Galerie, die hinter mir war, die geschaut hat, dass ich in die Sammlungen komme oder was. Und einzuordnen war ich auch immer schwer, nicht. Und nachdem die Deutschen immer auch päpstlicher als der Papst sind, da muss man in eine Schublade hineinpassen. Und das habe ich eigentlich nicht so leicht. Muss auch nicht sein.
Bürger: Maria Lassnigs Karriere nahm erst spät Fahrt auf. Mit 60, könnte man sagen, ging es aufwärts. 1980 bespielte sie zusammen mit Valie Export den österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig. Rund um ihren 90. Geburtstag dann folgten große Ausstellungen in Graz, München, Wien – derzeit jetzt gerade in der New Yorker MoMa-Dependance P.S.1. Im vergangenen Jahr war ein Großteil dieser Bilder und Filme in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen, und deren Intendant Dirk Luckow ist jetzt für uns am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Luckow!
Die Malerin Maria Lassnig
Die Malerin Maria Lassnig© picture alliance / AP Photo / Foto: David Turner
Dirk Luckow: Guten Tag!
Bürger: Haben Sie Maria Lassnig in Vorbereitung dieser Ausstellung persönlich kennengelernt? Konnte sie vielleicht sogar noch nach Hamburg kommen?
Luckow: Nach Hamburg konnte sie nun leider nicht mehr kommen, dafür war sie einfach nicht mehr fit genug, für so eine anstrengende Reise. Aber ich hatte das Glück, mit Herrn Pakesch vom Joanneum in Graz sie noch in ihrem Wohnatelier in Wien zu besuchen und habe ihr da auch die ersten Entwürfe für die Ausstellungspräsentation hier in den Deichtorhallen gezeigt, und wir haben sogar noch Pläne geschmiedet, hier in der Ostsee baden zu gehen. Da habe ich noch gesagt – also, war ich etwas überrascht darüber, dass sie so Pläne hatte, ins Wasser zu steigen. Und da guckte sie mich fast schon etwas verärgert an, dass ich das in Zweifel gezogen hatte.
Sie erinnerte sich aber, und das fand ich sehr faszinierend – daran kann man ja auch feststellen, wie wach sie noch im Kopf gewesen ist –, sich sehr gut an diese Ausstellung "Der zerbrochene Spiegel", die einmal hier Kaspar König und Hans-Ulrich Obrist in den Deichtorhallen durchgeführt hatten, und dass das eben eine Tageslichthalle hier ist und eben fantastische Voraussetzungen für Malerei. Also, wo einfach das Licht für den Reichtum an Farben, den sie ja in ihrem Werk hat, einfach sehr stimmig ist – also, das hat ihr gut gefallen, das habe ich sofort gespürt. Sie wäre gerne gekommen, aber das klappte dann leider nicht mehr.
Bürger: Sie soll zuletzt auch wirklich nur noch bei ganz starkem Sonnenlicht gemalt haben. Maria Lassnigs wichtigstes Studienobjekt, also ihr Lebensthema, kann man sagen, das war ihr eigener Körper. Keine Nabelschau, sondern ein eher inneres Erforschen. Was war das für eine Art der Selbstanalyse?
Direkt auf der Leinwand hockend gemalt
Luckow: Sie nannte das ja Introspektion. Das war ihr Leitthema, wie Sie sagen, was sie ja in das Feld der Malerei eingeführt hat, und man kann schon sagen, dass sie, so wie Matisse eine Beobachtung abstrahiert hat, so hat Maria Lassnig ihre Körperempfindung abstrahiert. Und man kann es vielleicht daran ganz gut ..., das macht das ganz gut nachvollziehbar, dass sie zum Teil ja direkt auf ihrer Leinwand hockend oder knieend oder sitzend oder auch liegend sich bewegt hat während der Entstehung. Es ging darum, die Distanz zwischen sich und dem Bildträger auf ein Minimum zu reduzieren. Und da merkt man eben, dass diese Werke von der Maria Lassnig nicht nur auf der Oberfläche der Leinwand stattfinden. Das Bild wird gefühlt und damit auch gefühlt zum Betrachter hin erweitert. Und dadurch kommt eine ganz andere Gefühlsdimension in die Werke. Sie werden direkter, unmittelbarer, und es ist nicht so eine Übersetzung von Gedanken und Gefühlen in Malerei, sondern es war sehr unmittelbar. Das ist wirklich schon der Kern ihrer Malerei.
Bürger: Und es war eben auch nicht nur eine psychische Selbstbefragung, sondern tatsächlich auch eine physische Erkundung.
Luckow: Ja, absolut. Es ist ja nicht so ..., also, sie sprach ja von Druckgefühlen, Spannungen im Körper. Was man heute viel mehr auch erforscht hat, dass das ja ein Spiegel auch der seelischen Zustände ist, und da hat sie teilweise ja mit geschlossenem Auge gemalt, auch völlig verrückt, um eben diese Erforschung des Körpers von innen heraus betreiben zu können. Und das eben gleichzeitig auf die Leinwand umzusetzen.
Bürger: Ihre Körper auf den Bildern sind häufig deformiert, erzählen auch von Beschädigungen, von Mutationen. Fratzen, Torsi, auch Metamorphosen in Maschinen. Woher kam dieses leicht Destruktive?
Luckow: Das ist natürlich, wenn man das dann so psychologisch ausdeuten will, im Blick auf ihre Biografie – also sie hatte, sie war ja mit Arnulf Rainer zusammen und ist mit ihm nach Paris gegangen. Die haben da monatelang unter einer Decke gehockt und dort Zeichnungen angefertigt. Und es kam dann schon zu einem dramatischen Bruch, und solche Beziehungsproblematiken und so weiter, die hat sie intensiv, hat sie einfach gehabt.
Die Arbeiten "Selbst mit Meerschweinchen" (l) und "Du oder Ich (You or me)" von Maria Lassnig nebeneinander an einer Museumswand.
Die Arbeiten "Selbst mit Meerschweinchen" (l) und "Du oder Ich (You or me)" von Maria Lassnig.© dpa / picture alliance / Felix Hörhager
Gleichzeitig wusste sie auch, wie stark sie sich auf sich selbst so fokussieren muss, um diese Konzentration und Intensität in ihren Bildern zu erhalten. Und das hat ja was von Sich-Wegsperren, Sich-Eingraben. Hochnervös auf Begegnungen zu reagieren. Und sie war ja auch in ihrem Kärntner Atelier sehr alleine. Immer wieder ganz auf sich zurückgeworfen. Und Begegnungen haben sie teilweise auch sehr angestrengt, da musste sie sich sozusagen wieder von erholen und solche Sachen. Also das alles, also dieses hochnervös und hochsensibel auch auf andere und anderes zu reagieren, das spiegelt sich natürlich alles in ihren Werken.
Bürger: Maria Lassnig altert nicht betulich, sondern schonungslos, hat die "FAZ" mal geschrieben. Welche Rolle spielte der Tod in ihren Arbeiten?
Luckow: Bei uns hier, in unserer Ausstellung, war das jüngste Bild, also das späteste Bild von ihr, da gab es aus einer so roten "Mensch-Körperinneres"-Figur, da starrte das Auge auf einen Kittel in Weiß. Und dieser Kittel erinnerte an den Arztkittel, das war so ein Krankenhausbild, hat aber gleichzeitig dann die Gestalt einer erschlafften Totenmaske mit Bluttränen im Auge und so. Und das hing genau da, wo sonst die Transfusionsflaschen sich befinden. Und so ein Bild lässt natürlich an Schonungslosigkeit nichts zu wünschen übrig.
Also sie hat diese Realität sozusagen als Ganzes, in einer 360-Grad-Perspektive, immer erfasst, und hat gleichzeitig aber den Humor dann auch wieder nicht da raus gelassen. So, in diesem Spannungsfeld, zwischen – Sie haben es ja schon angedeutet, wie vielseitig ihr Werk auch ist, mit wie vielen Wechseln zwischen den Stilen. Und dass es einerseits sehr realistisch zu ging bei ihr, und dann gab es diese Deformationen bis hin zu, dass Körper androide Maschinen werden. Und dann gibt es diese Mensch-Tier-Mischwesen, mit denen sie immer gearbeitet hat. Und das ist natürlich zum Teil grotesk überzeichnet, kann man sagen, ja, und dann aber auch wieder: das Innerste wird so ganz entblößt. Selbstironisch, auf jeden Fall, und das ist entscheidend, nie so von gefälliger Ästhetik diktiert.
Erste Professorin an Kunsthochschule
Bürger: Maria Lassnig hat Anfang der 40er-Jahre an der Wiener Kunstakademie studiert, musste die Meisterklasse 1943 verlassen, weil man ihre Werke als entartet verfemte. Sie ging nach Paris, nach New York, kam 1980 nach Wien zurück als erste Frau, die an einer Kunsthochschule im deutschsprachigen Raum eine Professur bekam. War sie also nicht nur als Künstlerin eine Pionierin, sondern auch im akademischen Bereich?
Luckow: Ja, das habe ich ja schon versucht, jetzt hier anzudeuten mit dem, dass sie zwischen den Stilen wechselte und, ich würde sagen, in keiner Schublade steckte, und darin war sie natürlich wirklich schon eine ganz große Vorreiterin für künstlerische Positionen ein oder zwei Generationen nach ihr.
Und dass sie auch immer wieder mit den Stereotypen gebrochen hat. Der Einfluss auf die Body-Art, die Performance-Kunst, Körperkunst, das ist ja alles erst nach ihr gekommen. Sie hat ja schon in den 50er-Jahren, frühen 60er-Jahren begonnen mit diesen Introspektionsbildern, mit den Körperbewusstseinsbildern zu experimentieren, ihren Körper zu erforschen. Auch dieses Erforschende, darin steckt ja auch etwas, was man dann bei Bruce Nauman und solchen Figuren nach ihr wiedergefunden hat. Also, sie ist auf jeden Fall eine der radikalsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts und hat darin natürlich auch einen großen Einfluss im akademischen, kunsthistorischen und künstlerischen Sinne gehabt.
Bürger: Dirk Luckow, Intendant der Hamburger Deichtorhallen, zum Tod der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig. Herr Luckow, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Luckow: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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