Das parasitäre Penthouse
05:46 Minuten
Ein Penthouse aus Holz in Modular-Bauweise haben zwei Künstler auf das Dach eines Neuköllner Mietshauses gebaut – ohne Wissen des Eigentümers. Die Aktion ist ein Protest gegen Verdrängung durch hohe Mieten. "Aneignung von oben" heißt das Projekt.
Die Augen noch verschlafen, die langen blonden Haare verwuschelt, schleppt sich Jakob Wirth vom Schlafzimmer in die Küche. Der Weg ist nicht weit – ein knapper Meter. Es ist ein warmer Junimorgen in Berlin-Neukölln. Oder besser gesagt. Über Neukölln. Der Künstler stellt seine Espressokanne auf die Mini-Gaskochplatte. Dann öffnet er die Tür seiner aktuellen Wohnbehausung – 21 Meter über den Dächern Berlins.
"Was einem hier so ein bisschen bewusst wird, ist, was einem passieren kann, wenn man so weit oben lebt. Schon nach zwei Wochen fühle ich, dass ich aus dem Alltag entrückt bin. Die Straßen liegen so tief unten, es ist einfach eine andere Welt hier oben."
Komplett aus Holz, drei Meter lang, zwei Meter breit
Vor vier Wochen hat der Künstler und Stadtsoziologe mit seinem Kompagnon Alexander Zakharov ein kleines Häuschen auf das Flachdach eines Mietshauses gesetzt, mitten im durchgentrifizierten Berlin-Neukölln. "Aneignung von oben" nennen sie ihr Kunstprojekt. Das Haus selbst: "Penthouse á la parasit".
"Es ist ein Haus, das in einem modularen System gebaut ist, die einzelnen Stücke sind nicht breiter als ein Meter. Und dadurch kann man durch jedes Dach, jede Dachluke in jede Ecke kommen und innerhalb von zwei, drei Stunden aufbauen. Wir haben so eine sehr mobile flexible Struktur, die sich ähnlich wie ein Parasit andocken kann an unterschiedliche Wirte. Und hier sind wir eben auf einem Mietshaus in Neukölln."
Das Haus ist komplett aus Holz, drei Meter lang, zwei Meter breit, Fenster, Tür, Schreibtisch, Küche, Hochmatratze. Alles sehr liebevoll geschreinert, von ihm und seinem Künstler-Kollegen. Von außen ist es komplett mit Spiegelfolie beschichtet.
"Das ist auch in diesem parasitären Gedanken, dass es die Nische besetzt und sucht und sich anpasst und dadurch immer die Farbe vom Himmel und auch die Häuser widerspiegelt und auf eine Art und Weise scheinbar verschwindet, obwohl es natürlich da ist."
Ein Häuschen wie ein Ufo
Der Parasit sieht aus wie ein kleines Ufo, nur kurz auf dem Mietshausdach gelandet, wie um bald wieder zu verschwinden.
"Man sieht es, aber nur beim zweiten Mal hingucken, und die ganzen Nachbarn in den oberen Stockwerken, die sieht man und ist auch so ein bisschen in Kontakt da inzwischen."
Wir gehen raus in den "Garten", Wirth schenkt mir Kaffee ein, ich laufe damit über die Dächer Neuköllns, während er sich um den Abwasch kümmert – draußen im improvisierten Badezimmer. Wasser kommt aus einem 10 Liter Kanister, daneben steht eine Holzkiste mit ausgeschnittenem Herzchen: ein Mini-Plumpsklo.
"Ne kleine Komposttoilette, da steht jetzt grad der Wasserkanister drauf und ansonsten muss man parasitär auch gucken, wo ist ne Bar, wo man auch mal aufs Klo geht."
Jakob Wirths Kunstprojekt tangiert viele Fragen, die zurzeit die Debatte um bezahlbares Wohnen in Berlin und ganz Deutschland bestimmen: Wem gehört der Boden, wo sind die letzten Freiräume? Letztlich: Wem gehört die Stadt?
"Die Logik von unserem Penthouse ist, sich dieser ganzen Verdrängung symbolisch und auch real zu widersetzen und eben nicht bei steigenden Mieten in die Peripherie ausweichen zu müssen, sondern zu sagen, wir bleiben im Zentrum, da, wo der Diskurs und das Leben spielt, und steigen nochmal aufs Dach. Um dieser ganzen Logik zu widersprechen und auch die letzten Freiräume noch nutzbar zu machen."
Reporter: "Habt ihr das juristisch geklärt?"
"Ja. Du kannst dich hier draufsetzen. Wir haben das geklärt. Wofür wir belangt werden könnten, wäre Hausfriedensbruch. Aber da wir keinen Schaden anrichten, wir hauen hier ja keine Nägel rein oder so, schlägt Artikel 5 Kunstfreiheit den Hausfriedensbruch."
Schnell auf- und wieder abgebaut
Aber der Besitzer seines "Wirts" hat sich ohnehin noch nicht bei den parasitären Bewohnern gemeldet. Und solange es keine Beschwerden oder eine Räumungsklage gibt, soll der Parasit erstmal hier auf dem Dach bleiben. Die übrigen Hausbewohner grüßen sie im Flur, als wären sie ganz normale neue Nachbarn. Zu anonym, zu schnelllebig das Ganze, erzählt Wirth und nippt an seinem Kaffee.
"Wir können schnell aufbauen und natürlich auch schnell wieder abbauen und einen anderen Wirt suchen, ein anderes brachliegendes Dach und haben per Mail auch schon einen Hinweis bekommen, wo wir das Haus aufbauen können, wenn der Wirt zurück kommt, um für Ordnung zu sorgen, ob jetzt Hausverwaltung oder Polizei."
Der 27-Jährige ist erst seit einem halben Jahr in Berlin, das Penthouse auf dem Dach ist im Grunde seine erste eigene Wohnung, die letzten Monate ist er bei Freunden und Bekannten von Couch zu Couch gewechselt.
"Wie es ganz vielen geht, zwei Wochen hier, zwei Wochen da."
"Richtig was gefunden, hast du bis heute nicht?"
"Doch, vor einer Woche hab ich ein WG-Zimmer gefunden, wo ich was länger bleiben kann."
"Richtig was gefunden, hast du bis heute nicht?"
"Doch, vor einer Woche hab ich ein WG-Zimmer gefunden, wo ich was länger bleiben kann."
Mit dem Penthouse wollen sie jetzt mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, die unter hohen Mieten leiden, keine Wohnung mehr finden oder einfach nicht mehr damit einverstanden sind, wie sich der Berliner Wohnungsmarkt entwickelt. Sie können sich für eine Nacht im Penthouse bewerben.
"Man kann dann für eine Nacht so tun, als ob man in einem Penthouse leben würde. Auf einer Ebene, die normalerweise für Normalverdienende oder der unteren Schicht nicht zur Verfügung steht – deshalb fordern wir Weitblick für alle."