Barcelona erfindet sich neu
Barcelona wird der eigene Erfolg zur Last. Die Zahl der Touristen hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht, den Bewohnern ist das zu viel. Nun sucht die Stadt Alternativen zum Massentourismus und besinnt sich ihrer Geschichte als Industrie- und Designmetropole.
"La Barceloneta gefällt mir gut, die Veränderung des Viertels. In den Zeitungen liest man zwar viel Negatives, aber der Übergang ist gelungen, vom rein touristischen Stadtteil zu einem Ort mit guten Restaurants, neuen Geschäften, viel Design. Der Umbau des Historischen Museums und des Hafens, das ist ein Weg in die Zukunft."
"Die Stadt hat es geschafft, die Identität der einzelnen Viertel zu erhalten. Deswegen macht es Spaß, in Barcelona zu leben. Meine Lieblingsgegend ist Sant Andreu, hier haben wir auch das Studio. Die Gegend hat ihr Gesicht erhalten können. Sie sieht noch immer aus wie ein altes Viertel. Aber es gibt neue architektonische Einsprengsel, Innovationen, die Sant Andreu sehr interessant machen. Das alles schafft Lebensqualität."
Barcelona lebendige Stadt am Mittelmeer, Spaniens Wirtschaftsmotor, wichtiger Industriestandort des Landes. Mehr als vier Millionen Menschen leben in ihrem Großraum.
Josep Cortina entwirft Restaurants. Viele Lokale des 37-Jährigen gehören zu den Design-Highlights der Stadt. Es gibt Routen durch die Stadt, auf denen man katalanisches Design kennen lernen kann, von Gaudí über Camper bis zur Eisdiele Eyescream & Friends des 34-jährigen Unternehmers Federico Mendoza. Die Inneneinrichtung und das Food-Design seines Geschäfts sind mehrfach ausgezeichnet worden.
"Den besten Wandel zu gutem Design sehe ich in den Geschäften. Barcelona war etwas heruntergekommen, zur typischen Tourismus-Stadt mit Paella und so ... Alles drehte sich ums Geschäft, ein einziger kommerzieller Zirkus. Aber seit fünf Jahren ungefähr sehe ich neue Ideen, originelle Läden, kreatives Ambiente. Das geht so weit, dass Designer von außerhalb kommen, um sich in Barcelona Inspiration zu holen."
Die Designmetropole Barcelon
Ein neues Museum stellt nun Verbindungen her zwischen dem alten Wirtschaftsstandort und neuen Trends. Das Museu de Disseny de Barcelona macht deutlich, wie stark Produktion und Gestaltung Barcelonas Selbstverständnis bis heute prägen. Auf vier Etagen und mit 7.000 Exponaten erklärt es, wie die Stadt zu ihrem Ruf als Designmetropole gelangt ist, sagt die Leiterin des Hauses, Pilar Vélez
"In der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt Barcelona als Europas wichtigster Produzent bunt bedruckter Baumwollstoffe, der so genannten Telas Indianas. Da gab es schon Design, Stoffdesign. In den Fabriken gab es Unterschiede im Produktionsprozess, einige malten, die anderen druckten - das waren die Vorläufer dessen, was wir heute Design nennen."
Ausgestellt sind dekorative Kunst, vorindustrielle Gestaltung, Industriedesign der 1960er Jahre: Handmixer, Stehlampen, Eiswürfelzangen. Und mehr als 500 Plakate, Verpackungen und Buchcover aus den 1950er Jahren zeigen katalanisches Grafikdesign. Mit ausdrucksstarken Farben und Motiven bewerben sie Psychopharmaka, Hämorrhoidenmittel oder Krimis.
"Die Barceloneser waren schon immer tatkräftig. Die meisten großen europäischen Sammlungen in Wien oder Paris zum Beispiel bestehen vor allem aus Stücken aus Königshäusern oder sind Schenkungen Adeliger. In Barcelona ist das anders. Dort ist die Gesellschaft sehr bürgerlich geprägt. Im 19. Jahrhundert erlebt sie einen großen Aufschwung. Als dann zur selben Zeit die ersten Museen entstehen, ist es dieses Industriebürgertum, das die ersten Exponate sammelt und sich dafür interessiert. Dank dieser Verbindung bekommt das Museum bis heute Schenkungen."
Wortwörtlich der letzte Schrei ist eine interaktive Geräusch-Licht-Installation auf dem Museumsplatz Plaça de Glòries. Er soll verkehrsberuhigt und begrünt werden. Derzeit wird der 130.000 Quadratmeter große Standort noch von drei großen Straßen umgeben. Zwei Tunnel sind im Bau. Der drei Kilometer vom Zentrum entfernte Platz soll neuer Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen werden.
530 bunte LED-Leuchten, Klangsensoren und Megafone verwandeln ihn schon jetzt in eine städtische Spielwiese. Motorenlärm, die Gespräche der Passanten oder direktes Rufen in die Lautsprecher verändern Farbe und Intensität der Lämpchen im Boden. Entworfen wurde das Ganze von dem Designer David Torents.
Torrents arbeitet gemeinsam mit anderen in einem Büro in einem ruhigen, zentralen Stadtviertel, wo viele Kreative leben und arbeiten.
"Hier im Gràcia-Viertel steht dieses Gebäude, und daneben noch vier, und wenn jemand hier mal eine Bombe reinwerfen sollte, dann hätte er die gesamte Designszene des Landes vernichtet, ganz sicher(...)wir sitzen hier alle auf einem Haufen."
Der 52-jährige Torrents gehört zu den besten Designern der Stadt. Für ihn ist die Entwicklung eng mit einer Person verbunden.
"Wir hatten einen Bürgermeister, der uns sehr geholfen hat: Pasqual Maragall. Er ist der Enkel eines bekannten Dichters. Als er regierte, wurde in dieser Stadt Design geschätzt und gefördert. Nicht nur, weil die Industrie es braucht. Es gab den politischen Willen, dass die Leute Design anwenden, mit ihm leben, es verstehen sollten."
Barcelona-Boom durch Olympische Sommerspiele
Pasqual Maragall war von1982 bis 1997 Bürgermeister von Barcelona. In seiner Amtszeit fielen wichtige Entscheidungen, unter anderem die zur Austragung der 25. Olympischen Sommerspiele im Jahr 1992. Maragall selbst leitete damals das Organisationskomitee. Das Maskottchen Cobi, entworfen vom heute wohlhabenden Designer Javier Mariscal, hat damals 1,7 Millionen Besucher begrüßt und ist bis heute die rentabelste Olympiafigur aller Zeiten. Auch Cobi steht im Designmuseum. Es vertritt dort neben anderen Objekten Barcelonas Postmoderne. Sie vermitteln in ihrer farbigen Fröhlichkeit mediterrane Mentalität und haben den weltweiten Barcelona-Boom mit ausgelöst.
"Das ist alles damals entstanden, das war der Ausgangspunkt. Eine ganze Generation, sagen wir die Olympia-Generation, profitierte von den enormen Möglichkeiten. Sie ist bis heute sehr stark und erfolgreich, sie prägt die Wahrnehmung katalanischen Designs noch immer. Ich finde aber, dass wir uns heute besser verkaufen, als wir eigentlich sind."
Barcelona boomt seit mehr als 20 Jahren. Heute liegt die Stadt bei den Ausgaben der Touristen in Europa auf Platz drei, nach London und Paris. Sie lassen jährlich mehr als 12,5 Millionen Euro in der Stadt. Der Tourismus hat die Industrie als wichtigster Wirtschaftsfaktor abgelöst. Aber wie lange noch? Den Bürgern werden die rund 7,5 Millionen Besucher, die jedes Jahr kommen, zu viel. Rund um Gaudís Kirche Sagrada Familia, im ehemaligen Fischerviertel La Barceloneta oder an Barcelonas berühmtester Straße, der Rambla, kam es in den vergangenen vier Jahren immer wieder zu Protesten. In den Gassen der Altstadt sei kein Durchkommen mehr, die Busse seien überfüllt, die Preise zu hoch, beschwerten sich Einheimische. Es gebe zu viele Menschen mit Rollkoffern, zu viele Straßenkünstler, Souvenirshops und Fastfoodrestaurants.
Hier, an der von Touristen überlaufenen Rambla, steht Barcelonas älteste Designschule, die Elisava, an der Generationen katalanischer Designer studiert haben. Auch der Schulleiter Albert Fuster beobachtet den Wandel der Stadt mit Sorge.
"Barcelona ist nicht Singapur oder Cancún. Hier gibt es eine Vergangenheit, eine Tradition, eine Art, einen Stil, die darf der Tourismus nicht völlig verändern."
Fuster nimmt die Studenten mit in die Verantwortung, wenn es um die Verbesserung des Zusammenlebens geht.
"Für uns steht die Figur des Designers nicht abseits des sozialen, wirtschaftlichen und industriellen Lebens. Sie ist kreativ und zugleich fähig, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und hat dabei ausreichend technologische Kenntnisse, um die Welt zu verändern."
Kann Design die Welt verändern? In Barcelona scheint der Tourismus alles zu verdrängen. Am Prachtboulevard Passeig de Gràcia, wo Besucher statistisch ein Viertel ihres Geldes ausgeben, musste kürzlich ein Kultladen schließen: Das Designgeschäft Vinçon, gegründet vor 74 Jahren von der katalanischen Familie Amat.
3.000 Quadratmeter Ladenfläche stehen nun gesichtslosen, internationalen Ketten zur Verfügung. Vinçon verkaufte Schönes zu erschwinglichem Preis. Seit 1941 lebte das Geschäft von der Mittelklasse, von Kunden, die gute Gestaltung schätzten, in der Küche, im Garten oder im Wohnzimmer. Doch immer weniger Einheimische kaufen am von Touristen überlaufenen Passeig de Gràcia ein.
Unter dem Motto "Barcelona erneuert sich", will die Stadt seit 2011 menschlicher, transparenter, nachhaltiger werden – und damit noch Geld verdienen. Die Verwaltung erwartet in den kommenden Jahren ausländische Investitionen in Milliardenhöhe. Neue Technologien sollen Industrie und Tourismus als stärksten Wirtschaftszweig ablösen – Barcelona als "Smart-City" der Zukunft – das ist das Konzept.
Ismael López, der in einer Seitenstraße der Rambla Recyclingmode nach eigenen Entwürfen und Kreationen anderer örtlicher Designer verkauft, sieht diese Entwicklung skeptisch:
"Es geht einfach um Publikum, Kultur und die richtigen Leute. Und um einen angenehmen Lebensstil. Viele ziehen aus dem Ausland hierher oder kehren wieder zurück, nachdem sie ein paar Jahre anderswo gearbeitet haben. Wir haben hier das Meer, gutes Klima und Leute, die Neues sehen wollen. Das ist eine gute Mischung. Die Stadt hat aus dem, was sie hat, das Beste gemacht. Als Smart City würde ich sie deshalb nicht bezeichnen."
HighTech-Firmen im ehemaligen Industrieviertel
Ismael López wohnt im Poble Nou, einem ehemaligen Industrieviertel, in dem sich seit der Jahrtausendwende HighTech-Firmen niedergelassen haben. Außerdem Fernsehsender, Designbüros, Universitäten, Medizinlabore. Sie alle bieten mehr als 50.000 Arbeitsplätze. Die Gegend wird auch Distrit 22@ genannt.
"Das Poble Nou liegt im Trend. Es hat eine Rambla, eine begrünte Flaniermeile, die noch den Bewohnern gehört. Kein Tourist ist zu sehen. Wenig Verkehr. Alte Leute sitzen in Hausschuhen auf Bänken, Kinder spielen mit dem Ball oder schlecken ein Eis."
Hier wohnt und arbeitet auch die Architektin und Städteplanerin Teresa Batlle, die hier Büros-und Laborgebäude gebaut hat. Batlle ist Vizepräsidentin des spanischen Vereins für Nachhaltigkeit und Architektur. Seit 1986 denkt sie über Materialrecycling, Umgang mit Ressourcen und die Lebensdauer ihrer Gebäude nach. Neuerdings beschäftigt sie sich auch mit dem Konzept der Smart City.
"Barcelona setzt stark auf Neue Technologien, keine Frage. Sie vermitteln Optimismus. Alle, die Technologie sehen, staunen und denken: Wow, so weit haben wir es schon gebracht! Wenn Technologie der besseren Organisation dient, wunderbar. Wenn man sie aber nur zur Schau stellt und als Werbung für Barcelona nutzt, verliert sie ihre Bedeutung."
Für die 54-Jährige ist Technologie in erster Linien ein Instrument, mit dem sie das Leben in der Stadt verbessern will.
"Wir verwenden so wenig Haustechnik wie möglich. Gute Raumluft zum Beispiel sollte man nicht mit der Klimaanlage garantieren, die man den ganzen Tag laufen lässt. Man sollte intelligente Detektoren einbauen, die anzeigen, wann die Luft wirklich verbraucht ist. Das bedeutet für mich smart. Wir sollten endlich aufhören, hermetische Gebäude zu bauen. Bei unserem Klima will man doch die Fenster öffnen können! Bei der Verbesserung der Luftwerte muss die Stadt noch viel tun. Anstatt die Fenster geschlossen zu halten, sollten wir lieber die Stadt entgiften."
Teresa Batlle beobachtet und gestaltet seit 30 Jahren die Stadtentwicklung. Für sie ist Barcelona nach vielen Umwegen nun auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadt.
"Seit der Olympiade haben alle fest an Barcelona geglaubt, manchmal zu sehr. Die Stadt wurde als Marke verkauft, auf die alle stolz waren. Ich glaube aber, dass in letzter Zeit viele Dinge richtig gemacht wurden, bei den Themen Mobilität und Verkehrsberuhigung zum Beispiel. Auch Begriffe wie Emissionen und Energie hört man immer öfter. Und endlich ist auch vom Großraum Barcelona die Rede, von Austausch von Ressourcen und Energie. Ich glaube, allmählich wird den Leuten klar, dass die Stadt eine Strategie braucht, nicht nur schöne Formen."