Wie haben die Künstler Worpswede verändert?
Worpswede war Ende des 19. Jahrhunderts ein Sehnsuchtsort für viele Künstler. Noch heute ist das Dorf bei Bremen von Kunst und Kultur geprägt. Es ist vor allem die Erinnerung an die erste Künstlergeneration, die zählt.
Moor und Wiesen, viel Himmel drüber. Dazu ein Fluss und ein Hügel, den man hier einen Berg nennt. Das ist Worpswede. Schlicht eigentlich.
Und trotzdem verströmt der Name einen eigentümlichen Zauber - Worpswede, dieses kleine Dorf bei Bremen. Zwischen Wiesen, Mooren und Bächen finden Künstler hier Ende des 19. Jahrhunderts ihren Sehnsuchtsort.
Der Dichter Rainer Maria Rilke sah in Worpswede einen "Himmel von unbeschreiblicher Veränderlichkeit und Größe". Und die Malerin Paula Modersohn-Becker schwärmte 1897 von einem "Wunderland".
Tim Voss: "Das Weltkünstlerdorf - hab ich irgendwo gelesen."
"Volle Freiheit jedes einzelnen für sich selbst"
Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich hier - angezogen durch die beeindruckenden Farben der Landschaft, das Licht und den hohen Himmel über dem Moor - die ersten Maler nieder. Die Bilder von Fritz Mackensen, Fritz Overbeck, Otto Modersohn, Hans Am Ende und Heinrich Vogeler hatten großen Erfolg in der Kunstszene und machten Worpswede schlagartig berühmt. 1894 gründen die Worpsweder den "Künstlerverein Worpswede" - es gab eine gemeinsame Satzung:
"Volle Freiheit jedes einzelnen für sich selbst, gesellige Zusammenkünfte finden 14-tägig am Freitagabend statt, Aufnahme neuen Mitglieder kann nur durch Stimmeinheit sämtlicher Mitglieder erfolgen."
Den Worpsweder Künstlern geht es gut, sie verdienen viel Geld, allen voran Fritz Mackensen. Aus den Freundschaften wurde eine Vermarktungsgemeinschaft. Das Label Worpswede war erfolgreich, sagt Björn Herrmann, Kurator und Autor des Buches Mythos und Moderne in Worpswede:
"Man kann dann sehen, dass es dann diese Künstlervillen gibt, das Hans am Ende sein Haus baut, Heinrich Vogeler seinen Barkenhoff massiv umgestaltet, Fritz Mackensen sein Haus baut, das ist die Hochzeit um 1900, als alle richtig erfolgreich sind und dann wirklich hier auch anfangen sich im Ort zu verewigen mit den entsprechenden Bauten und ihren monetären Erfolg hier zeigen."
Schnittmengen zwischen Künstlern und Bauern nicht groß
Worpswede, ein kleines Dorf mit zwei Gesichtern. Auf der einen Seite die reichen, idealistischen Künstler auf der anderen Seite die alteingesessenen Worpsweder - die Schnittmenge war nicht allzu groß:
"Die Bauern haben hier ihr Leben geführt, die Künstler ihr Leben, da gibt es dann immer mal so Bilder, die das deutlich machen, wo dann auch durchaus Malschülerinnen und Maler irgendwo mitten auf dem Weg stehen und der Bauer mit seiner schweren Schubkarre um die drumrum fahren muss. Das zeigt relativ deutlich, dass man da außer gelegentlichem Modellstehen nicht so viel miteinander zu tun hat."
Viel geändert hat sich seitdem nicht. Mehr als 120 Jahre ist es her, dass sich ein paar junge deutsche Maler in die einsame Siedlung der Torfbauern verliebten, die übrigens nie so arm und verlassen war wie gerne kolportiert wurde, und dort ihre Utopie vom naturnahen Leben und Arbeiten in der Gemeinschaft verwirklichen wollten. Die Utopie scheiterte, aber sie hat das Dorf bis heute geprägt: Worpswede wurde zur Anlaufstätte für Künstler und Kreative, für Aussteiger und Sinnsuchende. Einer davon ist Tim Voss. Er pendelt zwischen Amsterdam und Worpswede und ist Kunstvermittler. Der 49-jährige kuratiert in erster Linie die junge Kunst, die hier noch produziert wird. In den Künstlerhäusern Worpswede:
"Das ist jetzt sozusagen der Input für Worpswede, was das künstlerische angeht. Es gibt viele Künstler, die hier noch wohnen aber die sind im Durchschnitt weit über 60 und wir sorgen dafür, dass immer noch Künstler an diesem Ort hier produzieren."
Die fünf Ateliers liegen etwas außerhalb des alten Dorfes, inmitten von Wiesen und Koppeln, mitten im Moor. Absolute Idylle auch hier.
Tim Voss: "Absolute Idylle - ja -aber Künstler sind halt heute nicht mehr so interessiert an dem Rückzug aufs Land."
Und trotzdem kommen sie immer wieder - und mit ihnen das bildungsbeflissene Bürgertum:
"Worpswede ist ja seltsamerweise sowieso ein Ort, der nicht nur Künstler angezogen hat, sondern ganz schön viele Wirrköpfe ihrer Zeit. Also wenn man hier sieht Anfang der 70er Jahre gab es das sogenannte Experiment Worpswede, wo man die Idee hatte, ein Kreis um Robert Jung, diesen Zukunftsforscher, da hatte man die Idee gegen die Zersiedelung des ländlichen Raums ein Leben und Kunstprojekt hier zu starten, das ging bis zu fertigen Bauzeichnungen, wahrscheinlich wäre das heute ein riesiger Betonklotz."
Junge Kunst hat es in Worpswede nicht immer leicht
140 Künstler leben und arbeiten in dem Dorf mit etwa 5.000 Einwohnern. Ateliers und Werkstätten, Museen und Galerien prägen das Ortsbild und locken nach wie vor zahlreiche Touristen an. Wer nicht in der Gastronomie oder dem Einzelhandel arbeitet, der pendelt nach Bremen zur Arbeit. Oder genießt seine Rente.
"Kunst und Kultur, das muss man festhalten, ist für Worpswede die Kernkompetenz", sagt der Bürgermeister, Stefan Schwenke. Das macht die Entwicklung des Dorfes nicht leicht.
Charakteristisch für Worpswede sind die immer noch historischen Bauernhöfe, die einst den Ortskern bildeten, die schmalen Kopfsteinpflaster-Straßen und die ungewöhnliche Architektur vieler Häuser. Mittelpunkt des sanierten Ortskerns ist die Kunst- und Kulturmeile Bergstraße. Ganze sechs Museen gehören zur Worpsweder Kunstlandschaft. Eines davon ist der Barkenhoff von Martha und Heinrich Vogeler. Die Urenkelin Berit Müller hütet das Gedenken:
"Sie hat hier dieses Museumsensemble erbaut und wir als Familie leben hier und betreuen das Museum und machen das inzwischen in der vierten Generation und die Räume sind auch noch so wie zu ihrer Zeit und dadurch versuchen wir das Ganze noch lebendig zu halten."
Rückbesinnung auf die erste Generation - das steht immer noch im Mittelpunkt. Junge Kunst hat es nicht immer leicht, weiß Tim Voss:
"Es ist natürlich immer wieder zu betonen, dass Paula Modersohn Becker, die ist zu Lebzeiten nie anerkannt worden mit ihrer Kunst und das ist für uns halt immer wieder der Anker, wenn da Ungeduld entsteht oder die Kunst nicht gleich als solche auch erkannt wird, auch das kommt vor, dass wir immer wieder sagen müssen, denkt an eure Paula, seid vorsichtig in den Urteilen, die ihr fällt, heute ist sie eine Ikone, damals als sie gestorben ist, hat sie gedacht, ihre Kunst sei nicht anerkannt."